Der tschechoslowakische Botschafter Jan Masaryk erlebt 1938 hautnah, wie Briten und Franzosen sein Land an Hitler verschachern. Den Verrat verarbeitet er bei einem deutschen Psychiater – zumindest in dem Film, den Arte zum 80. Jahrestag des Münchner Abkommens zeigt.
Der Diplomat spielt Klavier, vor ihm verglüht eine Zigarette im Aschenbecher, ein kleiner Junge im Pyjama starrt ihn an. Dann richtet ein Mann ein Gewehr auf ihn. Jan Masaryk blickt auf. „Das ist ein bisschen düster“, sagt er und lässt sich verhaften. Es ist Oktober 1938 und der tschechoslowakische Botschafter will in den USA in die Irrenanstalt eingeliefert werden.
„Masaryk und der Verrat von München“ handelt vom Versuch, den Irrsinn der Geschichte als privates Trauma zu bewältigen. Arte zeigt den preisgekrönten Film von Regisseur Julius Sevcík am 28. September (20.15 Uhr) anlässlich des 80. Jahrestags des Münchner Abkommens.
Verraten wird damals die Tschechoslowakei, als Briten und Franzosen Deutschland erlauben, sich Teile der jungen Republik einzuverleiben – in der irrigen Hoffnung, damit den Frieden zu sichern. Verraten fühlt sich auch Jan Masaryk (Karel Roden) selbst, in den 1930ern zunehmend verzweifelter Botschafter in London, den der Film als kokainsüchtigen Held champagnergetränkter Partys zeigt und als umtriebigen Liebhaber platinblonder Schönheiten – eine davon gespielt von Supermodel Eva Herzigová.
München treibt Masaryk ins Exil und in die Klinik, bloß erscheint dort nicht der amerikanische Arzt, den er erwartet. Stattdessen findet er sich bei einem Dr. Stein wieder, verkörpert vom deutschen Film- und Fernseh-Alleskönner Hanns Zischler („Die fetten Jahre sind vorbei“): einem stoisch-gewitzten deutschen Flüchtling und einstigen Fernschach-Partner von Sigmund Freud.
Nach erstem Entsetzen lässt sich der Diplomat im kalten Weiß des Sanatoriums auf die Therapie ein. In Rückblenden voller Jazz, Marmor und rauchender Männer, zwischen imperialen Amtsstuben und illegalem Boxkampf entspinnt sich nun die Geschichte Masaryks und Europas. „Es fällt Ihnen leichter, über die Probleme der Welt zu sprechen, als über Ihre eigenen“, bemerkt Stein. Aber Masaryks Probleme sind eben auch die der Welt. „Ihr verdient es, dass Hitler euch von der Landkarte wischt“, faucht Masaryks britische Geliebte (Gina Bramhill), als sie ihn verlässt.
Während Hitler die Frage der Sudetendeutschen zur Generalprobe für den Krieg eskalieren lässt, stoßen Masaryks Gesuche um Unterstützung zunehmend an ihre Grenzen. Auch Staatspräsident Edvard Beneš (Oldrich Kaiser) verfolgt seine eigene Strategie. Brüskiert, verzweifelt und allein steht Masaryk schließlich da, während das Schicksal der Tschechoslowakei ohne sie entschieden wird. Als wenige Monate später Hitlers Truppen in Prag einmarschieren, liegt Masaryk blutend am Boden der Anstalt und schreit: „Sie können den Wahnsinn nicht heilen in dieser wahnsinnigen Welt!“ Doch dann fährt Dr. Stein den Diplomaten an einen Strand, wo eine wichtige Person auf ihn wartet.
Dass Jan Masaryk sich 1938 in Behandlung begab, ist frei erfunden – oder eine „legitime Interpretation“ der Lücken in der Faktenlage, wie Drehbuch-Coautor Petr Kolečko in einem Interview mit Radio Prag sagte. Auch sonst gefiel der Spagat zwischen Geschichte und Fiktion nicht allen: Als der Film 2017 auf der Berlinale lief, fielen die Bewertungen eher lauwarm aus. In Tschechien und der Slowakei räumte „Masaryk“ dagegen insgesamt 20 nationale Filmpreise ab, von den Leistungen der Darsteller bis Drehbuch und Musik.
Das mag auch an dem Protagonisten liegen: 1940 wurde Masaryk Außenminister der tschechoslowakischen Exilregierung in London, von wo er legendäre Reden an seine Landsleute über die BBC hielt. 1948 stürzte er aus einem Fenster des Prager Außenministeriums in den Tod – Mord, urteilte eine Untersuchung des Falls zuletzt, nachdem jahrzehntelang von Selbstmord die Rede war.
Sevcíks Film ist meist solide und voller schöner Bilder. Traurige Jazznoten des polnischen Filmkomponisten Michal Lorenc verhallen über dem verregneten London und dunklen Bars in New Jersey. Gelegentlich werfen die späteren düsteren Ereignisse ihre Schatten etwas ungelenk voraus: Immer wieder fallen Sätze wie: „Keine Sorge, es wird schon nicht soweit kommen.“ Andererseits: Was heute wahnsinnig scheinende Geschichte ist, war einst unvorstellbare Zukunft – bis sie Wirklichkeit wurde. [Christina Peters]
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