Wie hat es denn geschmeckt? Alt und abgestanden! So, oder so ähnlich könnte das Fazit des deutschen Vorentscheides zum Eurovision Song Contest lauten.
Was hatten wir nicht für kuriose, manchmal auch unfreiwillig komische aber doch vorwiegend erfrischend ehrliche Beiträge. Ganze zwölf Songs, die die Bandbreite der denkbaren und undenkbaren Musikrichtungen abdeckten. Aber gab es nicht einen Song, der irgendwie bekannt vorkam oder besser, bekannt vorkommen sollte?
Wir erinnern uns: Keine Geringere als die Vorjahressiegerin Loreen leitete mit dem Lied „Euphoria“ den deutschen Vorentscheid ein, knapp zwei Stunden später trat Cascada mit dem Titel Glorious auf. Mein erster Gedanke: Mädel, geh von der Bühne, die Miniplaybackshow ist schon lange vorbei! Mein zweiter Gedanke: Bevor Cascada das Lied beendet hat, wird Loreen wutentbrannt den Stecker ziehen. Doch es passierte nichts und es stellten sich mir weitere Fragen: Warum lässt man solch ein dreistes Plagiat überhaupt auf die Bühne? Hat Deutschland nach Guttenberg und Schavan nicht schon genug in dieser Sache gelitten?
Doch während ich meine Gedanken noch sammeln musste und weiterhinfassungslos auf den Bildschirm blickte, nahm das weitere Unheil seinenLauf. Haben Sie die Abstimmung der Radiosender gesehen? Gut, dasAbschneiden von LaBrassBanda war erfreulich, auch wenn ich mit dieserMusik nichts anfangen kann (dass die Jungs es ehrlich meinen, rechne ichihnen aber hoch an), nein, ich meine vielmehr die Übereinstimmungsämtlicher ach so verschiedener Radiostationen. Dagegen sind diePreisabsprachen an den Tankstellen ja die reinste Wundertüte! Und alsich dachte, bekloppter kann der Abend nicht mehr werden, belehrte michdie „Tun-wir-doch-mal-so-als-hätten-wir-Ahnung-von-Musik“-Jury einesBesseren: Nur ein Punkt für LaBrassBanda, Cascada dagegen weit vorn!
Ok, ok, ich gebe zu: Am liebsten hätte ich an diesem Punkt die Damen und Herren durch die Leitung gezogen oder noch besser, zur Strafe auf die „DSDS“-Bühne gestellt und von Dieter Bohlen bewerten lassen, doch es kam noch besser! Die Auswertung der Abstimmung der Fernsehzuschauer ergab: 12 Punkte für Cascada! Wie schön, dass man diesen Blödsinn auch einfach abschalten kann! Ich sagte mir: Die Veranstaltung in Malmö werde ich mir nicht einmal auszugsweise anschauen, denn ich will mich nicht für diesen dreisten Musikklon schämen müssen.
Am nächsten Tag war der Frust schon wieder etwas verflogen, doch was hörte ich da im Radio: Platz 1 der CD-Charts belegt Heino, mit dem Album „Mit freundlichen Grüßen“. Und jetzt raten Sie doch mal, warum das Album so erfolgreich ist. Richtig: Alle Lieder gab es schon Mal, aber immerhin covert der gute Heino die Lieder ja hochoffiziell. Dennoch vervollständigte sich das Puzzle allmählich: Oliver Geissen kramt auf RTL eine Leiche nach der anderen aus dem Musikkeller und Millionen schauen zu, Heino wärmt alte Kamellen auf und stürmt damit auf Platz eins und Cascada gewinnt den deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest mit einem Lied, das kaum vom Vorjahrestitel zu unterscheiden ist.
Ob der deutsche Musikhörer unter chronischem Gedächtnisschwund leidet oder schlicht nicht hinhört, wenn die Musik im Hintergrund dudelt, sei dahingestellt, im Gegensatz zu Heino hoffe ich allerdings, dass der Erfolg von Cascada nur ein Versehen war und der Schwindel am Ende auffliegt. LaBrassBanda entspricht zwar nicht meinem Musikgeschmack und ich befürchte, dass wir mit dem Song „Nackert“ kein Land in Malmö sehen, aber ich würde mir die Show auf alle Fälle anschauen. Also, lieber NDR: Beende diese Farce, schick Cascada zurück an den Music-Maker und mach den Weg frei für LaBrassBanda. Dafür braucht es keinen wissenschaftlichen Beweis, sondern lediglich logischen Menschenverstand. [Christian Trotzinski]
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