„Die Wahrheit“ hinter zwei seltsamen Morden sucht das Münchner „Tatort“-Duo in seinem neusten Fall. Der nüchterne Blick in die langwierige Arbeit von Leitmayr und Batic dümpelt dabei trotz interner Spannungen vor sich hin.
Die Münchner „Tatort“-Kommissare lassen nach. Bei der Verfolgung Verdächtiger halten sie nicht mehr mit, Kommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec) verliert sogar einen Schuh. Ihn plagen außerdem Schlafstörungen und Panikattacken. Sein Ermittlerkollege Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) wird zwar mit der alleinigen Leitung einer Sonderkommission betraut, ermittelt aber monatelang ohne konkretes Ergebnis – und entgegen den Tipps seines Partners allein nach seinem Gutdünken. Dabei mutet der neue Fall „Wahrheit“, den das Erste am Sonntag (20.15 Uhr) zeigt, an sich schon bizarr an.
Der erste Mord geschieht gleich zu Anfang. Ein am Boden liegender Mann schleppt sich vor einer Ladenfront entlang, ein anderer will ihm aufhelfen – und plötzlich rammt ihm der vermeintlich Hilfsbedürftige gleich mehrfach das Messer in den Oberkörper. Das Ganze vor den Augen der Frau und des kleinen Sohns des couragierten Vaters.
Schnell wird deutlich, dass dieser Fall kein leichter wird für die Kommissare. Für Batic nicht, weil er unprofessionell persönlich berührt vom Schicksal der jungen Familie wirkt. Für Leitmayr nicht, weil er an der Fahndung nach dem Täter als Soko-Leiter zu scheitern droht. Und für das Duo nicht, weil es über die neue Hierarchie im Team zu streiten beginnt: „Meine Soko, meine Verantwortung“, herrscht Leitmayr seinen Kollegen und Kompagnon einmal an.
Die Ermittlungen ziehen sich hin. Immer wieder lässt Regisseur Sebastian Marka die Kamera auf den Wandkalender mit wohlklingenden Sprüchen halten, während Blatt für Blatt abgerissen wird. Unterschiedliche Zeugenaussagen zeigt er in den jeweiligen Szenen – die angeblich gesehenen Täter tragen plötzlich ganz andere Kleidung als in der Sequenz mit der eigentlichen Attacke. Mal sticht der Angreifer einmal zu, mal mehrfach, mal von oben, mal von unten.
Vertrackte Situationen, wie sie vermutlich der Ermittler-Realität entsprechen. Und vermutlich stochern auch die echten Polizisten oft wochenlang im Nebel. Dass selbst Massengentests wie im Film oft nicht die erhofften DNA-Treffer bringen, beweist etwa der waschechte Mordfall Maria Bögerl. So kann man dem Streifen sicher zugutehalten, dass er einen sachlich-nüchternen Blick auf die Kriminalarbeit hat. Doch für den Zuschauer hat sich Autor Erol Yesilkaya gut eine Stunde lang recht wenig einfallen lassen, der Film dümpelt vor sich hin.
Nicht mal ein zweiter Mord kann da Abhilfe schaffen. Zwar ist das Opfer bereits als Verdächtiger verhört worden, und unter einer Schicht Blut hat ihm der Täter den Spruch auf den Rücken geschrieben: „Weil er sich mit fremden Federn schmückte, musste er sterben.“ Aber auch in diesem Fall kommen die Kommissare nicht wirklich weiter.
François Werner, der die Fan-Homepage „tatort-fundus“ betreut, findet gerade das gut an dem „Knaller“-„Tatort“: „Genau das ist auch ein Anspruch des „Tatorts“, die Realität der Polizeiarbeit zu zeigen.“
Erst in den letzten 25 Minuten wird es richtig spannend. Im Haus der Witwe taucht nachts ein Unbekannter auf. Kaum Licht, nur das Atmen der Frau. Die Inszenierung ist solide, nicht besonders pfiffig – aber sie funktioniert für einen Sonntagabendkrimi. Auch der rettende Polizeieinsatz in Slow Motion stammt wohl aus der filmerischen Trickkiste längst vergangener Tage. Bloß nicht zu viel Aufregung rund um die Senioren-Ermittler in der „Tatort“-Republik.
Bleibt die Frage nach der titelgebenden Wahrheit. Beide Kommissare müssen sie jeweils für sich beantworten. Und für Batic stellt sie sich in abgewandelter Form, formuliert von der Ehefrau des ersten Opfers: „Haben Sie denn niemanden, für den es sich lohnt zu lügen?“
[Marco Krefting/buhl]
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