Tatort über Amok-Alarm in München

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Tatort Bild: © WDR
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2016 hielt der Einkaufszentrum-Attentäter eine ganze Stadt in Atem. Der Fall hat sich nicht nur wegen der Toten in das kollektive Gedächtnis Münchens eingebrannt. Die Panik, die damals die Stadt ergriff, thematisiert nun der „Tatort“.

Am 22. Juli wird es vier Jahre her sein, dass ein Teenager im Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) neun Menschen erschoss und dann sich selbst. Die Tat hat sich in Münchens kollektives Gedächtnis eingebrannt – nicht nur wegen der vielen Toten, sondern auch wegen der Panik, die die Stadt ergriff und stundenlang nicht losließ. Jetzt greift der Münchner „Tatort“ mit dem Titel „Unklare Lage“ dieses Phänomen auf. Das Erste strahlt den Krimi am Sonntag (26. Januar, 20.15 Uhr) aus.

„Wissen Sie noch, wie die Leute damals abgegangen sind? Nachdem der Typ aus dem Einkaufszentrum raus ist? Wie plötzlich jeder irgendeinen Typen mit ’ner Knarre gesehen hat?“, fragt der Verdächtige irgendwann im Laufe des Films. „Überall Chaos und jeder verdammte Idiot hat seine eigene Theorie gepostet.“

Wie kann es sein, dass plötzlich überall Täter gesehen wurden, obwohl es nur einen gab? Welche Rolle spielen soziale Medien bei der Verbreitung von Panik? Und wie gelingt es Polizisten, einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn die Stadt um sie herum im Chaos versinkt?

Ausgangspunkt für diese Fragen ist im neuen Fall für Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) ein toter Kontrolleur in einem Münchner Linienbus. Der liegt erschossen und blutüberströmt am Boden, während die Fahrgäste sich panisch zusammenrotten und die Polizei rufen. Der Täter, ein junger, frustrierter Schulabbrecher, ist schnell gefasst – und wird von einem Spezialeinsatzkommando erschossen. Doch was hatte er vor? Ist es nur Zufall, dass der Bus, in dem er schoss, zu seiner alten Schule fuhr? Und handelte er wirklich allein? Oder hatte er einen Komplizen?

Eine Frau im Bus hatte schließlich einen zweiten Vermummten gesehen. Und der Attentäter hatte ein Funkgerät dabei. Das braucht er doch nur, wenn er mit einem Komplizen kommunizieren will – oder? Die zentrale Frage der leitenden Ermittlerin Karola Saalmüller (Corinna Kirchhoff): „Suchen wir offiziell nach einem zweiten Täter mit allem, was es da draußen auslösen wird?“

Die Polizei entscheidet sich dafür – auch weil Leitmayr und Batic felsenfest von einem zweiten Täter überzeugt sind und der tote Attentäter im Internet die Anleitung für den Bau einer Nagelbombe runtergeladen hat. Damit bricht in der Stadt die Hölle los. Das Fernsehen berichtet rund um die Uhr. Dank Twitter und Co. verbreiten sich Nachrichten von angeblichen neuen Tatorten wie ein Lauffeuer. Überall filmen Menschen mit Handys von Balkonen hinunter und befeuern die kollektive Panik. Medien berichten von weiteren Schüssen in der Innenstadt, die es nie gab. „Wir haben heute mehr als 2.000 angebliche Tätersichtungen gehabt“, sagt Saalmüller. Phantomtatorte pflastern die Stadt.

Die Beamten lassen sich zunehmend einfangen – und vereinnahmen – von der atemlosen Atmosphäre in der Stadt, auch bei den Ermittlern liegen die Nerven zusehens blank. Ein Polizist erschießt beinahe einen filmenden Journalisten – nur weil der einen dunklen Kapuzenpullover trägt und einen Rucksack dabei hat. Die große Angst des Einsatzleiters Walter Ohnsorg (Axel Pape): „Ich will hier kein zweites OEZ.“

Regisseurin Pia Strietmann bleibt in ihrem überaus temporeichen und wahnsinnig packend erzählten „Tatort“-Debüt ganz nah dran an den Ermittlern und bugsiert Assistent Kalli (Ferdinand Hofer) in den Führungsstab, um zu zeigen, wie es dort abläuft, wenn Amok-Alarm herrscht in der Großstadt. Der Film wirkt wie ein Echtzeit-Krimi und stellenweise wie eine Polizei-Dokumentation. Dazu passt, dass die SEK-Beamten in diesem „Tatort“ von echten Polizisten gespielt werden, wie Strietmann am Mittwochabend bei der Premiere in der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) in München sagte.

„Panik, Spekulationen und Angst verselbstständigen sich“, beschreibt sie das Thema ihres Films. Sie habe „das schwelende, sich steigernde Gefühl von einer bedrohlichen unklaren Lage an einem solchen Tag“ zeigen wollen – was ihr auf beeindruckende Art und Weise gelingt.

Erfreulich: Der Bayerische Rundfunk hat die Krimi-Novizin Strietmann („Ich wusste nichtmal, wofür die Abkürzung SEK steht“) schon für ihren nächsten „Tatort“ verpflichtet. Sie wird einen Teil der Jubiläums-Doppelfolge drehen, für die der BR mit dem WDR (Leitmayr und Batic mit Peter Faber (Jörg Hartmann) und Martina Bönisch (Anna Schudt)) zusammenarbeiten.

„In der Familie“ soll im Herbst dieses Jahres ausgestrahlt werden. Den zweiten Teil der Doppelfolge übernimmt Krimi-Routinier Dominik Graf.
[Britta Schultejans]

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9 Kommentare im Forum
  1. Ich fand den Tatort ziemlich verworren. Ob das Mädchen jetzt doch die Bombe im Rucksack hatte , wurde nicht aufgelöst. Hätte ich das von Anfang gewusst , dass das nicht gezeigt wird , hätte ich den Film nicht geschaut. Finde so etwas ziemlich bescheuert.
  2. Ich gehe mal davon aus das in dem Rucksack von dem Mädchen keine Bombe war. Im Teletwitter waren so gut wie alle begeistert. Ich fand ihn auch nicht schlecht.
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