Der „Tatort“ zeigt sich wieder von seiner politisch-aktuellen Seite: Ein Asylbewerber wird verhaftet und verbrennt über Nacht bei lebendigem Leib in seiner Zelle. Die Polizisten weisen alle Schuld von sich. „Verbrannt“ ist dabei keine reine Fiktion, sondern beruht auf einem wahren Fall.
Die Klänge der deutschen Nationalhymne und die Kulisse einer niedersächsischen Kleinstadt. Passt das zusammen? Im „Tatort“ bilden sie eine Einheit. Es ist schon dunkel, als sich die Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) auf die Lauer legen, um zwei dunkelhäutige Männer dingfest zu machen, die mutmaßlich mit gefälschten Pässen handeln. Dann der Zugriff. Die Täter entkommen zunächst, schließlich verpasst einer von ihnen Katharina Lorenz einen Schlag in die Magengrube, bis Falke eintrifft und den Mann krankenhausreif schlägt – fast besinnungslos vor Wut.
Doch dann fängt der Krimi „Verbrannt“, an diesem Sonntag (20.15 Uhr) im Ersten zu sehen, erst richtig an. Auf der Polizeiwache werden die beiden Männer durchsucht. Der Griff in die Tüte mit der Dealerware ergibt: es waren Fußballbilder! Peinliche Geschichte für die Bundespolizisten. Doch für die Asylbewerber bedeutet der harmlose Fund längst keine Freiheit. Der immer noch stark blutende Afrikaner wird in einer Zelle an Armen und Beinen gefesselt. Am frühen Morgen schlagen Flammen in der Zelle hoch, der Mann verbrennt, unter den wachhabenden Polizisten will keiner die Schuld tragen.
Unwirklich? In Deutschland unmöglich? Nein. Der neue „Tatort“ nach dem Drehbuch von Stefan Kolditz beruht auf dem Fall von Oury Jalloh, der vor gut zehn Jahren in Dessau (Sachsen-Anhalt) in Polizeigewahrsam verbrannte. Noch heute wird unter Fachleuten, Freunden und Justizkritikern erregt über den Tod des Mannes aus Sierra Leone diskutiert. Der damalige Dienstgruppenleiter der Polizei wurde 2012 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10 800 Euro verurteilt. Der Bundesgerichtshof (BGH) wies 2014 alle Einsprüche gegen das Urteil des Magdeburger Landgerichts zurück. „Tatort“-Autor Kolditz („Unsere Mütter, unsere Väter“) spricht von „obszön lächerlichen Strafen“. Die Dessauer Polizei habe die Ermittlungen behindert.
Im Film ermitteln praktischerweise gleich die Bundespolizisten, die zunächst die Observierung der Asylbewerber im Duldungsstatus übernommen hatten, gegen die Kleinstadt-Polizei. Falke, den nach seiner ersten Überreaktion ein schlechtes Gewissen umtreibt, will es wissen. Nur nicht der Revierleiter Werl (Werner Wölbern), der sich schützend vor seine Mannschaft stellt und die in TV-Filmen sehr beliebte Mauer des Schweigens aufbaut. Auch der Gerichtsmediziner Arnold (Peter Jordan) steckt mitten im Sumpf und will den Hergang des Brandes verschleiern, hat doch seine Tochter ein Kind vom toten Asylbewerber. Zum Schluss gibt es einen Täter, aber moralisch folgerichtig für solch einen TV-Fall viele Schuldige.
Der Journalist Pagonis Pagonakis war früh dran am Fall Oury Jalloh (über den er auch einen ARD-Film drehte) und erinnert sich noch an die erste Pressemitteilung, die nach dem Feuer von Dessau an die Öffentlichkeit ging: „Brand in Zellentrakt – eine Person vermisst“, zitierte Pagonakis auf einer Podiumsdiskussion am 28. September aus der Mitteilung, um damit zu dokumentieren, welche Probleme die Polizei in seinen Augen mit der raschen Aufklärung des Todes von Oury Jalloh gehabt habe. Pagonakis: „Die einzige, die während der Ermittlungen die Wahrheit sagte, war die Putzfrau.“
Für das „Tatort“-Team Möhring/Schmidt-Schaller war „Verbrannt“ die letzte gemeinsame Zusammenarbeit in der Reihe. Die 35-jährige Schauspielerin, deren Vater schon zu DDR-Zeiten Ermittler im „Polizeiruf 110“ war, steigt aus. Für sie rückt die gleichaltrige Österreicherin Franziska Weisz nach.
[Carsten Rave/fs]
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