Korruption, Zwangsräumungen, politische Häftlinge: Die Kritik an Aserbaidschan vor dem Eurovision Song Contest reißt nicht ab. Einen Boykott lehnt der Menschenrechts-Beauftragte der Bundesregierung aber ab.
Rund sechs Wochen vor dem Eurovision Song Contest in Baku haben Menschenrechtler erneut die Lage in Aserbaidschan angeprangert. „Leider verschlechtert sich die Situation“, sagte Rassul Dschafarow von der Kampagne „Sing For Democracy“ am Dienstag in Berlin. Der Menschenrechts-Beauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, äußerte sich ähnlich. Er sei aber nicht für einen Boykott des Musikwettbewerbs am 26. Mai. „Mein Lieblingsszenario wäre, dass wir einen wunderbaren Eurovision Song Contest haben – und keine politischen Häftlinge im Gefängnis nebenan.“
Löning verwies auf einen Report der Organisation Freedom House zu Aserbaidschan: Alle untersuchten Indikatoren in allen Kategorien, etwa bei Medien und freien Wahlen, seien in den vergangenen zehn Jahren gesunken. Die autoritär regierte Ex-Sowjetrepublik am Kaspischen Meer steht seit längerem wegen Korruption, mangelnder Pressefreiheit, Folter, politischer Häftlinge und Zwangsräumungen zur Stadt-Verschönerung in der Kritik.
Laut Dschafarow wurden nach inoffiziellen Schätzungen 20 000 Häuser in Baku vor dem Song Contest zerstört. Er wünsche sich, dass die Teilnehmer und Gäste vor den negativen Dingen, die im Land passierten, nicht die Augen verschlössen.
Die Vorwürfe der Menschenrechtler werfen kein gutes Licht auf die Regierung von Präsident Ilcham Alijew. Demnach gibt es 14 politische Häftlinge – andere Quellen sprechen von 60 bis 70 – und sechs inhaftierte Journalisten. Eine investigative Journalistin sei mit intimen Fotos und Videos erpresst worden. „Der Staat kontrolliert die Medien“, kritisiert Reporter ohne Grenzen. Das Internet werde stark überwacht.
Was tun? Löning sieht in Thomas D. aus der Jury des deutschen Vorentscheids „Unser Star für Baku“ ein gutes Beispiel. Der Musiker unterstützt die Aserbaidschan-Kritik von Amnesty International. „Das ist genau das Vorbild, das wir brauchen“, findet Löning. Er rief zudem die aserbaidschanische Regierung auf, die Zeit vor dem Grand Prix für die Freilassung von politischen Häftlingen zu nutzen.
An die nach Baku reisenden Medien wurde appelliert, nicht nur über das Musikspektakel zu berichten: Human Rights Watch verteilte bei der Pressekonferenz einen Stadtplan von Baku, auf dem neben touristisch interessanten Orten auch die Stätten von Menschenrechtsverletzungen gelistet sind. ARD-Chefredakteur Thomas Baumann hatte zuletzt Kritik an einer „Weichspül“-Berichterstattung seines Senders öffentlich zurückgewiesen (DIGITALFERNSEHEN.de berichtete).
Der Botschafter Aserbaidschans in Berlin, Parwis Schachbasow, erklärte, die Darstellung der Lage der Pressefreiheit entspreche nicht der Realität. Beispielsweise gebe es mehr als 200 Printmedien, 80 Zeitschriften und über 50 Nachrichtenagenturen im Land. Ein Teil davon stünden der Opposition nahe und veröffentlichten regierungskritische Artikel. Die auflagenstärkste Tageszeitung sei eine oppositionelle Zeitung. Auch die Nutzung des Internets sei unbegrenzt möglich.
Zu den Häusern, die vor dem Song Contest abgerissen werden, teilte der Botschafter mit: „Alle Menschen, denen eine der betreffenden Wohnungen gehört, haben eine Entschädigung von etwa 1500 Euro pro Quadratmeter erhalten.“ Dafür könne man sich in Baku eine bessere Wohnung in einer zentralen Lage der Stadt kaufen. [Caroline Bock/ar]
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