Der Bremer „Tatort“ führt die Zuschauer am kommenden Sonntag in die Abgründe des deutschen Pflegesystems. Hautnah und schonungslos.
Drei Viertel der Pflegebedürftigen werden daheim versorgt. Doch die Rahmenbedingungen für häusliche Pflege sind problematisch. Wie groß die Missstände sind, zeigt an diesem Sonntag (20.15 Uhr) der Bremer „Tatort“-Krimi „Im toten Winkel“. „Es ist deutsche Realität in komprimierter Form“, sagt Sabine Postel alias Hauptkommissarin Inga Lürsen.
Lürsen und ihr Kollege Stedefreund (Oliver Mommsen) müssen sich in ihrem neuen Fall mit der russischen Pflegemafia, überforderten pflegenden Angehörigen und zwielichtigen Gutachtern auseinandersetzen. Der Zuschauer wird nicht geschont. „Dieser Film ist ehrlich“, sagt Postel. „Er fängt mit der Schonungslosigkeit an, die sich durch den ganzen Film zieht.“
Eingangs erstickt der Rentner Horst Claasen (Dieter Schaad) seine Frau Senta (Liane Düsterhöft). Nach jahrelanger Pflege der Alzheimerpatientin ist er am Ende, auch finanziell. Die Ermittler müssen klären, ob sie es mit Mord oder einem gescheiterten Doppelsuizid zu tun haben, und tauchen durch den Gutachter Kühne (Peter Heinrich Brix) immer tiefer in den Alltag von Pflegenden ein. Schließlich bekommt es das Ermittlerduo noch mit einem „richtigen“ Mord zu tun.
Das Drehbuch stammt von Katrin Bühlig und fußt auf umfangreichen Recherchen. „Ich wollte schon sehr lange Zeit einen Film über Pflege machen“, sagt die Autorin. Rund 2,8 Millionen Menschen werden laut Bühlig zuhause von ihren Angehörigen versorgt. Die durchschnittliche Pflegezeit liegt bei zehn Jahren. Eigentlich sei das „für einen „Tatort“ kein Thema und daraus noch dramaturgisch einen Krimi zu machen, war schwierig“.
Der Film sei fast dokumentarisch, räumt Regisseur Philip Koch ein. „Was da draußen passiert, ist so hart“, so Koch. „Es war wichtig, da nicht mit großen künstlerischen Kniffen und Spielereien ranzugehen. Der „Tatort“ soll wachrütteln.“ Koch arbeitete viel mit der Handkamera. Und versuchte „so nah und echt am Menschen wie möglich zu erzählen“. „Philip Koch hat das gut gemacht, ohne Schnickschnack und Sperenzien“, meint Postel. Alles werde „ganz reduziert, ganz puristisch erzählt“.
Die Zuschauer lernen unterschiedliche Pflegeschicksale kennen, unter anderem eine junge Mutter mit Schädelhirntrauma. „Das hat mit dem Alter erstmal nichts zu tun“, sagt Camilla Renschke, die die Tochter und Vorgesetzte der Kommissarin spielt. „Jedes einzelne Schicksal geht unter die Haut, und und man will sich nicht vorstellen, wie die Wirklichkeit aussieht“, sagt Oliver Mommsen.
„Das ist ein brandaktuelles Thema“, sagt Dieter Schaad, der eigene Erfahrungen mit häuslicher Pflege gemacht hat. „Es war ein Kampf, meine Mutter mit Hilfe meiner Frau vor dem Umzug in ein Pflegeheim zu bewahren. Allein hätte ich das nicht gepackt.“
Gedreht wurde im letzten Herbst. Das Thema ließ keinen Beteiligten kalt. „Man hat definitiv eine sehr spezielle Drehatmosphäre gehabt“, sagt Koch. „Das Thema schwebte die ganze Zeit am Set, vom Kabelträger bis zum Regisseur hatten alle großen Respekt“, sagt Nils Dörgeloh, der den mit vielen persönlichen Problemen kämpfenden Sohn der Claasens spielt.
[Berit Böhme]
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