Ein nächtliches Meeting erweckte zum Wochenbeginn den Eindruck, dass bei „Newtopia“ offenbar doch nicht alles echt ist. Sat.1 will davon nichts gewusst haben – sollen wir das wirklich glauben?
In „Newtopia“ (vormals: Utopia) steckt das Wort Utopie, das im alltäglichen Sprachgebrauch auch als Synonym für einen von der jeweils vorherrschenden Gesellschaft vorwiegend als unausführbar betrachteten Plan, ein Konzept und eine Vision benutzt wird, so Wikipedia. Was ProSiebenSat.1 bei „Newtopia“ den Zuschauern serviert, sollte Realität sein, war es letztlich dann aber doch nicht. So wird jetzt nicht nur das Programmkonzept, sondern gleich das gesamte Senderkonzept in Frage gestellt.
Eine Utopie ist bei ProSiebenSat.1 nämlich künftig der unausführbare Plan – oder wenn man so will: die Vision – ein innovatives Programmformat noch auf die Beine stellen zu können, das von den Zuschauern noch als glaubwürdig wahrgenommen wird. Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen, sagte einst Altkanzler Helmut Schmidt. Recht hat er. So jedenfalls wird das nichts mehr bei ProSiebenSat.1 mit den Visionen.
Dabei sollte gerade „Newtopia“ die Glaubwürdigkeit der Sendergruppe zurückbringen, die neben geringen Einschaltquoten schon fast gänzlich verloren schien. Fast wissenschaftlich wurde „Newtopia“ als großes Sozial-Experiment angekündigt, bei dem 15 Pioniere in einem abgeschlossenen Areal eine neue Gesellschaft nach ihren Vorstellungen gründen sollten, ganz ohne Einflüsse von Außen. Dann das fatale Eigentor: Montag Nacht fand ein Meeting mit der Executive Producerin der Sendung statt, in der über das weitere Vorgehen und die Frage gesprochen wurde, wie „Newtopia“ wieder mehr Schwung bekommen könnte. Ans Licht kam das nächtliche Treffen dabei dank der 360-Grad-Kamera, die offensichtlich vergessen wurde auszustellen und so die Bilder als Livestream ins Netz übertrug.
„Newtopia“ – ein großer Fake? Ein Scripted-Reality-Format, das als TV-Experiment verkauft wird? Der Privatsender Sat.1, der die Sendung montags bis freitags in seinem Vorabendprogramm ausstrahlt, beeilte sich am Montag sehr, die Schuld von sich zu weisen. Wen wundert es? Ein Eingeständnis, dass man bei der Show im Hintergrund die Strippen zieht und nur den Zuschauer glauben lässt, alles geschehe allein aus der entstandenen Gruppendynamik, käme einem Schuss ins eigene Knie gleich. Es bleibt daher nur abzustreiten, sich zu distanzieren und die Schuld an der Misere in diesem Fall der Produktionsfirma Talpa, deren Mitarbeiterin des Nachts in die Scheune kam, zuzuschieben.
Doch Talpa konterte kurze Zeit später mit eigenem Statement und macht klar, dass der Privatsender in dieser Angelegenheit nicht das Unschuldslamm ist, das er gern wäre. Denn die Produktionsfirma teilte mit, dass es in Reality-Shows üblich sei, dass die Teilnehmer von den Producern der Show beraten und betreut werden. Dass davon Sat.1 nichts gewusst haben will, verwundert. Was ist vor allem schlimmer? Nichts davon gewusst zu haben oder einfach mal die Dinge laufen zu lassen?
In „Newtopia“ und auch im niederländischen Original „Utopia“ geschehe diese Einmischung aber sehr zurückhaltend, hieß es weiter von Produktionsfirma Talpa. Verantwortungsbewusstsein innerhalb der ProSiebenSat.1-Gruppe? Nicht spürbar. Sofortige Absetzung? Fehlanzeige! Wieso auch? Würde das „TV-Experiment“ jetzt vom Bildschirm verschwinden, wäre es nichts anderes als ein Eingeständnis, dass die Zuschauer hier veräppelt wurden. Und das können sich weder Sat.1 noch Talpa leisten.
Innovative TV-Formate sucht man bei der Sendergruppe aus Unterföhring derweil weiter vergebens. Es bleibt bei der unglaubwürdigen Utopie, die im ProSiebenSat.1-Konzern letztlich zur geschäftsschädigend andauernden Newtopie mutierte. Der Ausweg wäre, der Sendung den Stecker zu ziehen – so oder so. [Kommentar von Frances Monsheimer, Redakteurin]
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