Der Butler ist beschwipst und stolpert – jedes Jahr, immer wieder. Seit Jahrzehnten lachen die Deutschen an Silvester über den englischsprachigen Sketch „Dinner for one“. Was das mit Freud und Hitler zu tun hat, erklärt ein Lachforscher aus Bremen.
Einfach nur ein mittelmäßig-witziger Sketch? Wer das über den alljährlichen Silvester-Klamauk „Dinner For one“ denkt, mag richtig liegen – und zugleich grundfalsch. Denn „Dinner For one“ verrät mehr über die Deutschen als ihnen beim Lachen darüber bewusst ist – wenn sie überhaupt noch darüber lachen. Nach Ansicht des Bremer Lachforschers Professor Rainer Stollmann sterben dem Sketch nämlich die Zuschauer weg. Im Interview erklärt der Kulturwissenschaftler, wieso das so ist und außerdem, was der britische Sketch mit Hitler zu tun hat und wieso in England keiner über das 20-Minuten-Stück lacht.
Warum lachen wir Deutsche jedes Jahr über dasselbe?
Rainer Stollmann: Lachen über „Dinner For One“ ist wie Waschzwang. Es ist ein Symptom für eine Art Krankheit, denn wir lachen über was anderes, als wir denken. Um das zu verstehen, muss man Freud und die Psychoanalyse bemühen: Das Unbewusste weiß nichts vom Bewusstsein, also was ich nachts träume, kann ich wach auf keinen Fall denken. Es gibt nur gewisse Löcher hin zum Bewusstsein, das sind der Traum – und der Witz. Und bei „Dinner for one“ geht es um die Grenze von Gegenwart und Vergangenheit. Die Deutschen lachen bei dem Sketch unbewusst über ihre eigene Vergangenheit – nämlich das Dritte Reich.
Was hat denn das Dritte Reich mit „Dinner for one“ zu tun?
Stollmann: Es hat damit zu tun, weil man nicht erklären kann, wieso „Dinner For One“ die Deutschen seit mehr als 30 Jahren zum Lachen bringt. Der Sketch ist mittelmäßig und außerdem auf englisch, und eigentlich übersetzen die Deutschen immer alles. Warum also lachen sie darüber? Wieso wurden nicht Loriots „Hoppenstedts“ zum Silvester-Klassiker? Oder Heinz Erhardt? Es muss also etwas mit dem Innersten unserer bundesrepublikanischen Seele zu tun haben.
Das Alleinstellungsmerkmal von „Dinner For One“ ist, dass es die prekäre Grenze von Tod und Leben, von Vergangenheit und Gegenwart zeigt. Das macht der Sketch unter einer englischen, privaten Fassade – die natürlich nichts mit dem Dritten Reich zu tun hat. Aber weil man als Deutscher nicht über die Nazi-Zeit lachen kann, wird diese Fassade benutzt, um darüber unbewusst lachen zu können. Denn als der Sketch herauskam und populär wurde in den sechziger Jahren, wurde die deutsche Vergangenheit noch völlig verdrängt.
Aber gerade für manche junge Leute spielt das Dritte Reich doch gar keine zentrale Rolle mehr im historischen Bewusstsein.
Stollmann: Ich würde deshalb auch sagen, dass die Zuschauer von „Dinner For One“ aussterben. Das könnte bald der Fall sein, denn der Höhepunkt des Sketches ist schon überschritten. Ich glaube der Sketch verschwindet bald, denn die Generation, die darüber lachen konnte, gibt es bald nicht mehr, und die Jungen brauchen „Dinner for one“ nicht mehr.
Und was ist mit den Briten – immerhin ist der Sketch ja aus England?
Stollmann: „Dinner For One“ hat in England noch nie eine Rolle gespielt. Die Engländer sehen es, wie es ist – nämlich als mittelmäßigen Sketch. Wir nehmen den Sketch als britischen Humor wahr, die Engländer aber sehen ihn ganz anders. Denn in dem Sketch sind zum Beispiel aktuelle Anspielungen versteckt. Aber wer will denn einen Scheibenwischer von 1978 jedes Silvester wiedersehen?
Vielen Dank für das Gespräch. [Interview von Alexandra Stahl]
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