Ulrich Tukurs zweiter „Tatort“ als LKA-Kommissar hebt sich vom Format der beliebten ARD-Reihe deutlich ab. Die Krimi-Produktion verwischt Wirklichkeit und Fantasie und spielt mit Klassikern wie Edgar Wallace und der Rocky-Horror-Picture-Show.
Starschauspieler Ulrich Tukur strandet als LKA-Ermittler Felix Murot wegen seines quälenden Gehirntumors in einem Dorf im Taunus. Beide – der aktive Tumor und das geheimnisvolle Dorf – ziehen den Kommissar in fremde, mitunter surreale Welten. „Das ist schon das Ballett eines Menschen, der nicht mehr so ganz bei sich ist“, sagt Tukur. Doch Murot ist nur scheinbar völlig ausgeliefert und deckt am Ende einen Fall von organisierter Kriminalität auf. Die Produktion des Hessischen Rundfunks „Das Dorf“ ist am morgigen Sonntag um 20.15 Uhr in der ARD zu sehen – gut ein Jahr nach dem Debüt Tukurs als Wiesbadener Ermittler.
Edgar Wallace, Agatha Christie, Alfred Hitchcock, Rocky-Horror-Picture-Show und ein wenig Stanley Kubrick: Der farbarme, meist nahezu in Schwarz-Weiß gehaltene „Tatort“ nach dem Drehbuch von Grimme-Preisträger Daniel Nocke spielt mit Zitaten berühmter Filmklassiker. Stimmungsvolle Bilder und grandiose Einstellungen verwässern Wirklichkeit und Fantasie. Der Zuschauer kann aber auch richtig lachen – etwa wenn das dröge Dorfkneipen-Publikum plötzlich rockt, oder die Kessler-Zwillinge Ellen und Alice im Kerzenschein eines mittelalterlichen Schlosssaals zu singen und zu tanzen beginnen – begleitet vom Kommissar am Klavier.
„Es geht in diesem Fall nicht um einen Fall, sondern um einen Menschen, der am Abgrund des Lebens steht und in eine parallele Welt hineinrutscht, in der alles irgendwie daneben ist“, sagte Tukur in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Und prophezeit: „Es ist kein typischer „Tatort“. Er wird sehr polarisieren.“
Regisseur Justus von Dohnányi und die Kameraführung von Carl-Friedrich Koschnick („Jud Süß – Film ohne Gewissen“) sind weit davon entfernt, eine Klamotte in Szene zu setzen. Sie erzählen einen dichten, unterhaltsamen und spannenden Krimi, der außer den Bildern und den Schauspielern auch von stimmigen Dialogen lebt. Tukur lobt den Mut des HR für dieses ungewöhnliche Experiment. „Ich finde, sie haben nicht nur einen guten Geschmack, sondern sind auch für Fernsehredakteure enorm mutig.“
Neben Tukur in der Hauptrolle sind auch andere Rollen recht prominent besetzt, etwa mit dem mehrfach ausgezeichneten Devid Striesow, der selbst als neuer SR-„Tatort“-Kommissar gehandelt wird (DIGITALFERNSEHEN.de berichtete). Thomas Thieme spielt den charismatischen Bemering, der im Dorf patengleich das Sagen hat. Claudia Michelsen ist als geheimnisvoll erotische Ärztin Dr. Herkenrath zu sehen, die eine für ein Dorf völlig überdimensionierte mysteriöse Praxis betreibt. Eindrucksvoll die warm-ironischen Dialoge zwischen Barbara Philipp – Murots fürsorglicher Assistentin Magda Wächter – und dem einsam-nostalgischen Kommissar, der gelegentlich mit seinem Tumor
„Lilly“ spricht.
Der dritte Fall des mehrfach ausgezeichneten Schauspielers und Musikers als LKA-Mann wird im nächsten Jahr gedreht, allerdings erst 2013 ausgestrahlt. Damit müssen die Zuschauer voraussichtlich bis April 2012 auf den nächsten HR-„Tatort“ warten. Dann ermittelt das Frankfurter Duo Joachim Król und Nina Kunzendorf zum dritten Mal. Tukur verrät schon mal, dass er im Zirkus weiter ermitteln könnte. „Ich liebe den Zirkus. Das hat auch was mit der Musik zu tun, die ich mache.“
Wie viele Folgen der schwer kranke Ermittler noch durchhalten wird? „Ich kann mir vorstellen, dass die Krankheit verschwindet“, sagte Tukur. Und: „Er soll so lange leben, wie die Figur interessant ist und die Zuschauer sich nicht gähnend abwenden. Wenn es ausgereizt ist, lässt man ihn einfach in netter Form sterben.“
[Ira Schaible]
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