Ein Mord in der jüdischen Gemeinde – „Ein ganz normaler Fall“? Kann man diese Ermittlungen wie alle anderen auch behandeln? Ja, man kann, antwortet der Film am morgigen Sonntag um 20.15 Uhr und plädiert vor allem auf Entspanntheit.
Das Verhältnis zu Menschen jüdischen Glaubens war in Deutschland lange Zeit von einer gewissen Verkrampftheit geprägt. Wie sollte man den Holocaust-Opfern und ihren Nachfahren gegenüber treten, ohne sich befangen zu fühlen? Eine schwierige Frage, die noch heute 66 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer wieder für Verunsicherung sorgt.
Der „Tatort“ an diesem Sonntag in der ARD setzt genau da an: In „Ein ganz normaler Fall“ geschieht ein Mord im Zentrum der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in München. Die Ermittlungen stellen die Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) vor besondere Herausforderungen. Denn über allem steht die Frage, ob Normalität im Umgang miteinander schon möglich ist und wie diese aussehen könnte.
„Normal ist nicht, wenn man immer noch über Normalität extra reden muss“, bringt Leitmayr das Dilemma auf den Punkt. So sieht es auch die Justiziarin der Kultusgemeinde, Claudia Schwarz (Ulrike Knospe) und beschwert sich über gutmeinende Menschen, die sich im Namen der Juden empören, wo diese gar kein Problem sehen und sich zu „Gralshütern des Judentums“ aufschwingen.
Worte, in denen man die Handschrift des Co-Autors Daniel Wolf erkennt, der selbst zur jüdischen Gemeinde in München gehört. „Wir wollen nicht millionenfach ermordet werden, aber auch nicht wie rohe Eier behandelt werden. Wir wollen – ehrlich gesagt – gar nicht behandelt werden, nicht gut, nicht schlecht und schon gar nicht „sonderbehandelt“. Wir wollen einfach nur ganz normale Bürger dieses Landes sein dürfen“, schreibt er im Presseheft.
Dem „Tatort“ unter Regie von Torsten C. Fischer merkt man das Streben nach politischer Korrektheit mitunter an. Manches wirkt etwas lehrbuchhaft, etwa wenn Begriffe wie chassidische Juden erläutert werden. Davon abgesehen ist die Geschichte jedoch spannend und gut gespielt. Besonders überzeugend ist Florian Bartholomäi. Er spielt den leicht behinderten Aaron, einen Schützling des Rabbiners Grünberg. In der Synagoge und im Zentrum hat er die Aufgaben eines Gemeindedieners übernommen und kennt deshalb jeden Winkel.
Ein Mann, der kurz zuvor seine Tochter beerdigt hat, wird tot im jüdischen Gemeindezentrum aufgefunden. Bald gerät der strenggläubige Jonathan Fränkel (Alexander Beyer) unter Verdacht. Er hatte mit dem Toten zuvor einen heftigen Streit. Doch so richtig kommen die Ermittlungen nicht voran. Stattdessen finden die Ermittler heraus, dass die Tochter des Toten vor ihrem Selbstmord offenbar ein Verhältnis hatte und schwanger war. Mit Fingerspitzengefühl versuchen Batic und Leitmayr, Licht in die verworrene Angelegenheit zu bringen.
Der Film gibt nicht nur Einblicke in die Befindlichkeiten von Menschen, die sich vor allem Entspanntheit im gegenseitigen Umgang wünschen. Er gewährt auch interessante Einblicke in das Innere des beeindruckenden Gebäudekomplexes aus Synagoge und Gemeindezentrum in der Münchner Innenstadt, für den vor fünf Jahren der Grundstein gelegt worden war. „Die Dreharbeiten waren eine gute Gelegenheit zu zeigen, dass wir ein offenes Haus sind“, sagt die Gemeindepräsidentin Charlotte Knobloch. Außerdem schätzt sie Krimis auch privat, vor allem wenn sie lebensnah sind: „Ich bin den ganzen Tag in Spannung, da freue ich mich, wenn es am Abend so weitergeht“, meint sie augenzwinkernd.
[Cordula Dieckmann]
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