Kritik: „Polizeiruf“ aus Rostock – Geschundene Seele

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Bild: Destina - Fotolia.com
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Er ist ein schnodderiger Kiez-Bulle – launisch, schmuddelig, mit diffuser Vergangenheit. Sie ist LKA-Spezialistin – selbstbewusst, redegewandt, weltoffen. Im Rostocker „Polizeiruf 110“ passt so einiges nicht zusammen – und das ist gut für den Zuschauer.

Sie sind eines der gegensätzlichsten Ermittlerpaare im deutschen Fernsehkrimi – und eigentlich sind sie gar nicht mal ein richtiges Team, der Rostocker Kriminalpolizist Alexander „Sascha“ Bukow (Charly Hübner) und die LKA-Profilerin Katrin König (Anneke Kim Sarnau). Denn die burschikose Spezialermittlerin ist dem schnodderigen Kiez-Bullen nur deshalb an die Seite gestellt worden, um ihn zu überprüfen: Was hat Bukow bei seinen Ermittlungen im Umfeld der Organisierten Kriminalität damals in Berlin wirklich gemacht? Wie viel Dreck hat er am Stecken? So umtänzeln sich die beiden Polizisten seit zwei Jahren mal ironisch, mal bissig, mal misstrauisch, mal aufeinanderzugehend im Rostocker „Polizeiruf 110“.

Doch in ihrem aktuellen Fall „Einer trage des anderen Last“, am heutigen Sonntag um 20.15 Uhr in der ARD, tänzelt nur einer – und es ist ein schwerer, unrhythmischer Tanz, den Buckow da aufführt. König wurde bei einem Einsatz angeschossen und liegt im Koma, und natürlich gibt sich Bukow die Schuld.
 
Es ist ein Fall, der wieder einmal an seinen Nerven zehrt – und das nicht nur wegen der verletzten Kollegin. Zwei als Polizisten verkleidete Ganoven haben den jungen Gelegenheitsverbrecher Kevin Schulz bei einem Gefängnistransport befreit, gefoltert und dann umgebracht. Warum tut man das? Und warum hat der Gefangenenbus überhaupt, gegen jede Vorschrift, auf freier Strecke angehalten? Gibt es einen Zusammenhang mit einem brutalen Geldtransporterüberfall vor fünf Jahren? Fragen türmen sich auf, doch Bukow rennt gegen Wände.

Da gibt es zwielichtige Gefängnisaufseher, eine Prostituierte, die mehr weiß als sie sagt, die Schwester des Getöteten, die ein Geheimnis birgt (die im Juli 2011 im Alter von 26 Jahren gestorbene Maria Kwiatkowsky in ihrem letzten vollendeten Film) und zwei ehemalige Kriminelle, die mittlerweile auf seriöse Geschäftsleute machen. Recht schnell wird Buckow und seinen Kollegen klar, dass diese beiden der Dreh- und Angelpunkt des Falls sind – doch kommt Bukow mit seinen Rambo-Methoden, mit Brüllen, Drohen, Handgreiflichkeiten nicht weiter.
 
Er regt sich auf: „Da steht’n Lackaffe im Armani-Anzug, ist durch und durch kriminell verseucht und wir sollen immer schön sachlich bleiben und demokratisch ermittlen. Das kotzt mich an. So kriegen wir keinen einzelnen von diesen Arschlöchern aus dem Verkehr gezogen. Und wir sollen immer nur Beweise liefern, Beweise, Beweise, Beweise – das kotzt mich an“. Lakonischer Kommentar des Kollegen: „Ja, genau so ist das. Wir müssen der letzten Drecksau beweisen, dass sie auch wirklich eine ist. Ansonsten haben wir die Arschkarte gezogen“.

Es geht deftig zu im Rostocker „Polizeiruf“: Beamte, die aus Leidenschaft auch mal die Grenzen des Erlaubten übertreten, für einen Fall das heimische Bett mit dem Bürostuhl tauchen, sich tagelang in den gleichen Klamotten durch den Fall schleppen. Manchmal nicht ganz glaubwürdig, wie Bukow und seine Kollegen Pöschel (Andreas Guenther) und Thiesler (Josef Heynert) mit gezogener Waffe vorpreschen, ohne aufs Einsatzkommando zu warten. Doch nimmt man ihnen das Engagement, die allzu menschliche Verzweiflung über das kriminelle Element und das System zweiffellos ab.
 
Charly Hübner schafft es, diesen Typ von desillusioniertem, aber leidenschaftlichem Polizisten ohne falsche Schimanski-Attitüde glaubhaft rüber zu bringen. Besonders im aktuellen Fall, inszeniert von Christian von Castelberg nach einem Buch von Eckhard Theophil, lässt er den Zuschauer tief in eine geschundene Seele blicken, ohne psychologisch zu überziehen. Und nebenbei wird auch noch klar, ob König ihren Kollegen Bukow wirklich belastet oder nicht.

[Patrick T. Neumann/rh]

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