Nachdem Streamingdienste dem Fernsehen in Sachen flächendeckende Unterhaltung den Rang abgelaufen haben, etablieren sich auch neue Methoden, das Zuschauerverhalten zu analysieren. Einschaltquoten gehören längst der Vergangenheit an – die rasant wachsenden neuen Medienanbieter setzen auf ganz andere Faktoren.
„Wir sind hinter der Zeit möglichst vieler Menschen auf der Welt her.“ – dieses Zitat von Netflix-Mediachef Sarandos fasst die Business-Maxime des Streaming-Riesen Netflix wohl recht bündig zusammen. Wie den Zuschauern diese wertvolle Ressource grenzenlos entlockt werden kann, erklärt die Entwicklung der Methoden moderner Entertainment-Giganten.
Wo uns früher noch „Wetten dass …“ familenweise drei Stunden lang vor dem Fernseher bündelte, haben die Unterhaltungsmaschinerien der Gegenwart andere Mittel und Wege:
Es muss gar nicht mehr eine Show geben, die uns alle zumindest teilweise zufrieden stellt. Waren Fernsehmacher früher gezwungen, virtuos abzuwägen, wie man sämtliche „werberelevanten Zielgruppen“ an einen Tisch bekommt, müssen Netflix, Prime Video und andere Streaminganbieter sich keine Gedanken mehr um eine Einschaltquote machen.
Immerhin ist Fernseh-Zeit kein so lineares Phänomen mehr wie in der Ära der Block-für-Block-Austrahlung von Inhalten auf festen Sendeplätzen. Deshalb gelten für die Anbieter der Mediathek-basierten Unterhaltung auch andere Naturgesetze: Wie viel Zeit verbringen User mit dem Konsum der favorisierten Inhalte? Waren früher noch Sendezeiten begrenzt und damit auch die Laufzeit der Nischeninhalte für bestimmte Interessengruppen, können wir heutzutage all Lieblingsserien grenzenlos konsumieren.
Damit das auch lückenlos passiert, arbeitet im Hintergrund der großen Streaminganbieter eine monströse Maschinerie von Algorithmen, Datenauswertung und einer schwer suggestiven Gestaltung der Mediatheken. So ist es für Normalsterbliche nahezu unmöglich, eine einzelne Folge irgendeiner Serie anzuschauen: Die Schlussmelodie einer Episode ist noch nicht verklungen, schon flimmert die nächste Runde relativ ungefragt über den Bildschirm, bevor man das TV-Erlebnis in Frieden für fertig portioniert befinden konnte. Das ganze ähnelt beizeiten fliegenden Straßenhändlern, die einem Hüte aufsetzen, während man sich eine Sonnenbrille aussucht: Kaum ist Kundenkontakt aufgebaut, wird das Maximum an Geschäftserfolg mit teilweise aggressiven Mitteln erreicht.
Und das nicht ohne Grund: 100 Millionen Netflix-Abonnenten sind wir laut Süddeutscher Zeitung mittlerweile. Wir müssen allerdings auch gehalten und deshalb lückenlos mit maßgeschneiderten Entertainment-Angeboten in unseren sogenannten „Taste Groups“ – völlig jenseits der starren Alterssparten alter Werbezielgruppen – gebunden werden. Deshalb arbeitet der Steaming-Riese auch pausenlos an seinen Algorithmen. Schließlich kann jeder von uns mit wenigen Klicks sein Abonnement kündigen – und die Konkurrenz schläft nicht:
Die notorischen Datensammler von Facebook und Amazon sind mittlerweile auch auf den Entertainment-Markt gedrängt und verfügen bekanntlicherweise über ein schier grenzenloses Maß an Informationen zu ihrer potentiellen Kundschaft. Dass der vertrauliche Umgang mit Nutzerdaten gerade bei Facebook nicht sonderlich ernst genommen wird ist uns mittlerweile auch ausreichend bewusst. So ist fest damit zu rechnen, dass der Social-Media-Leviathan unsere personenbezogenen Daten und öffentlichen Vorlieben rückhaltlos dazu nutzt, uns ein eigenes Unterhaltungskorsett auf den Leib zu schneidern. Aus dem müssen wir uns jetzt schon immer mehr freikämpfen, als dass wir es maß- und mußevoll nutzen können.
[rs]
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