Vor einem halben Jahrhundert erlebte die Maus ein blaues Wunder: Plötzlich trat ein kleiner Elefant in ihr Leben. Heute ist er fast so berühmt wie seine große Freundin. Zeit für eine Würdigung.
Die Geschichte beginnt mit einer Selbstüberschätzung, vielleicht auch mit Hochmut und Überheblichkeit. Ganz sicher mit einer Frechheit. Das Jahr 1975 hat gerade begonnen, als eine unbekannte Figur in der „Sendung mit der Maus“ auftaucht: ein kleiner Elefant. Mit einem Schild kündigt er der Maus de facto die Übernahme ihres Arbeitsplatzes an: „Die Sendung mit dem Elefanten“ ist darauf zu lesen. Für seine bescheide Größe ziemlich kühn – und ziemlich erfolglos. Denn die Maus ist nicht nur Maus, sondern auch Platzhirsch. Sie stutzt den Eindringling zurecht und behält ihre Show.
Was damals relativ konfliktreich begann, ist heute eine der bekanntesten Freundschaften im Fernsehen geworden. Der Elefant bekam zwar – erst einmal – keine eigene Show, wurde aber fester Bestandteil der „Sendung mit der Maus“. In diesen Tagen kann man ihm gratulieren: Sein erster Auftritt, den der Westdeutsche Rundfunk (WDR) auf den 5. Januar 1975 datiert, liegt genau ein halbes Jahrhundert zurück. Der Elefant wird 50 Jahre alt.
Der blaue Tröter ist damit so etwas wie der berühmteste Zweitgeborene des deutschen Kinderfernsehens. Eine Art Prinz Harry, nur komplett skandalfrei. Denn auch wenn man eine Verwandtschaft biologisch ausschließen kann, ähnelt das Verhältnis des Elefanten zur Maus dem eines kleinen Bruders zu einer großen Schwester. Der Elefant ist verspielter, tapsiger, intuitiver. Die Maus planvoller, durchdachter und manchmal auch ein bisschen streberhafter.
Der Maus fehlte ein Freund
Erfunden hat den Elefanten der berühmte Maus-Trickfilmer Friedrich Streich (1934-2014). Erstmals soll er ihn im Juli 1974 gezeichnet haben. Zuvor war im WDR die Idee aufgekommen, einen „Spielkameraden“ für die Maus zu entwickeln, die schon seit 1971 auf Sendung war.
„Die Maus hatte sich damals vier Jahre lang praktisch allein beschäftigen müssen“, sagt Elefanten-Kennerin und WDR-Redakteurin Heike Sistig. „Sie erlebte viele schöne Abenteuer, aber es war manchmal auch ein bisschen traurig, weil ihr ein Freund zum Spielen und Interagieren fehlte.“
In einem Spot – wie die kurzen Trickfilme in der Sendung heißen – teilte sich die Maus beispielsweise mit einem Reißverschluss selbst in zwei Hälften, um auf einer Wippe wippen zu können. Man kennt das Phänomen: Wer lange allein ist, wird mitunter wunderlich.
Friedrich Streich wählte ganz bewusst die Farbe Blau für seine neue Kreation. Es ist die Komplementärfarbe zu Orange – die Farbe der Maus. „Es sollte etwas Gegensätzliches sein. Der neue Freund der Maus sollte ein völlig anderer Charakter sein, auch ästhetisch“, sagt Expertin Sistig.
„Ihm passieren die Dinge“
Die Maus sei von ihrem Wesen her ein Grundschulkind, sagt die WDR-Redakteurin, die schon 1988 als Praktikantin bei der „Sendung mit der Maus“ anfing. Sie denke nach und komme durch ihr Wissen zu Lösungen. Sie kann etwa einen Ball aus einem Glas holen, indem sie es mit Wasser füllt, bis der Ball oben schwimmt.
Der Elefant sei dagegen ganz klar ein Kita-Kind, sagt Sistig. „Ihm passieren die Dinge.“ Er sei sehr sozial, sehr liebenswert, sehr naiv und offen. „Er geht unvoreingenommen durch die Welt“, sagt sie. Auch eine gewisse Bodenständigkeit gehört zu seinem Charakter.
Zeitweise ließ Friedrich Streich den Rüsselträger auch mal aufrecht auf zwei Beinen laufen. „Das wurde dann aber wieder geändert, denn der Elefant ist auf vier Füßen sehr viel geerdeter“, sagt Sistig.
An diesen Charakterzügen des Maus-Kumpels hat sich in all den Jahrzehnten nicht viel verändert. Nur sein Status wurde etwas angehoben. Obwohl es beim Einstieg arg knirschte, wurden die beiden Kinderstars bald unverbrüchliche Freunde. Aus dem kleinen Störenfried vom Anfang ist in den Geschichten zunehmend eine Figur auf Augenhöhe geworden. Auch wenn der Superstar-Status der Maus unangetastet bleibt. Niemand steht so bewundernswert souverän in der zweiten Reihe wie der Elefant.
Erst 2007 erfüllt sich sein Traum
Dass die Figur gut ankam, merkte der WDR an seiner Publikumspost. Im Juli 1975 informierte der Sender die Öffentlichkeit, dass die Maus den Elefanten „akzeptiert“ habe – was wieder ein wenig nach Königshaus klingt. „Das liebevolle Miteinander und Gegeneinander wird nun ausgebaut“, hieß es in der Bekanntmachung. Mittlerweile gibt es laut WDR 620 Spots aus der „Sendung mit der Maus“. 359 davon seien mit dem Elefanten.
2007 erfüllte sich schließlich der Traum von einer eigenen Sendung. Es entstand „Die Sendung mit dem Elefanten“, die ganz zu seinem Profil passt. Sie richtet sie an kleinere Kinder als die „Sendung mit der Maus“. Heike Sistig ist die verantwortliche Redakteurin. Zum Jubiläum spendiert der WDR neben einigen anderen Aktionen eine Geburtstagsfolge (KiKA, 3. Januar, 6.55 Uhr; WDR Fernsehen, 4. Januar, 7.35 Uhr; ARD-Mediathek schon ab 2. Januar).
Erst 1987 bekamen Maus und Elefant noch eine weitere Freundin: eine gelbe Ente. Aber das ist noch einmal eine ganz andere Geschichte.
Jonas-Erik Schmidt
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