Nicht die übliche „Tatort“-Kost will der neue Fall „Borwoski und das dunkle Netz“ liefern. Die Suche nach Hinweisen im Darknet ist ungewohnt brutal und gespickt mit dunklem, sarkastischen Humor.
Wer keinen Geschmack daran findet, einen blutenden abgehackten Finger in Nahaufnahme zu sehen oder eine nackte, rund 125 Kilo schwere Dame, sollte an diesem Sonntag (20.15 Uhr) den Kieler ARD-„Tatort“-Krimi „Borowski und das dunkle Netz“ nicht einschalten. Brutale Gewalt, mit schwarzem Humor in Szene gesetzt, und sarkastische Dialoge prägen diesen in verschiedener Hinsicht außergewöhnlichen „Tatort“.
Der Film werde die Zuschauer polarisieren, prophezeit Drehbuchautor und Regisseur David Wnendt. „Beim ‚Tatort‘ gibt es viele Gewohnheitsseher, die womöglich enttäuscht sein werden. Die einen wollen einen 0815-‚Tatort‘, den anderen wird mein Film zusagen“, sagt Wnendt im ARD-Interview.
Mit seinen Kinofilmen „Kriegerin“, „Feuchtgebiete“ oder der Hitler-Satire „Er ist wieder da“ hat der Dresdner schon Kontroversen ausgelöst. Als Drehbuchautor („Mitten in Deutschland: NSU“ – Die Täter – Heute ist nicht alle Tage“) erhielt er 2016 den Fernsehfilmfilmpreis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste.
Gruselig-grausam beginnt „Borowski und das dunkle Netz“: In der Nacht sucht ein Auftragskiller mit Wolfsmaske (unheimlich irre: Maximilian Brauer) ein Fitnessstudio auf und schießt sofort los. Die Kamera schaut aus seiner Sicht über die gezückte Pistole, der Zuschauer ist quasi als Täter mittendrin. Dessen schweres Atmen wird untermalt von dazu überhaupt nicht passender entspannter Klaviermusik.
Der Killer streift – aufgenommen mit Wackelkamera – durch die Kellerräume des Studios, zielt mal auf sich selbst im Spiegel, dann auf einen korpulenten Mann unter der Dusche, den er verschont. Schließlich spürt der Killer sein gesuchtes Opfer in einem Umkleideraum auf, schießt ihm in den Kopf.
Beim Rückzug überrascht der hünenhafte Studiobetreiber den Killer und wirft ihm einen Feuerlöscher und Hanteln ins Kreuz, der Zuschauer hört das Stöhnen. Der schafft es noch, den Widersacher zu erschießen und arg lädiert (vorerst) zu entkommen. Das Mordopfer ist der Leiter der Spezialabteilung Cybercrime des Landeskriminalamtes.
Kommissar Borowski (Axel Milberg) und seine Kollegin Sarah Brandt (Sibel Kekilli), beide aus eher ruhigeren Kieler Krimis bekannt, übernehmen den Fall als bewährtes Tandem: Er der Grübler ohne große Ahnung von Handys und dem Internet, sie als begabte Hackerin und sportliche Ermittlerin, die sich mit dem Täter eine atemberaubende Verfolgungsjagd durch Kiel liefert – erinnernd an „Lola rennt“.
Sarkastische, launige oder sexistische Dialoge sind Gegenpol zu drastischen Gewaltszenen, die aber auch noch irgendwie komisch inszeniert sind. Den als besonders guten Ermittler der Kieler Kripo bekannten Borowski charakterisiert der Chef des rivalisierenden Landeskriminalamtes kurz vorm Zusammentreffen mit den Adjektiven „aufgeblasen, eingebildet, überschätzt“. Und über Borowskis Kollegin Sarah Brandt sagt er: „Das ist wohl seine Kaffeetasse…“
Borowski muss sich manches anhören, etwa wenn die Tochter des erschossenen Dezernatsleiter ihren Vater beschreibt: „So wie Sie, alt und frustriert.“
Ach ja, das Thema des Krimis? Es geht ums Darknet im Internet, in dem verdeckt Pornographisches und Waffen gehandelt werden. Das aber usprünglich von den USA entwickelt wurden, damit Journalisten oder Dissidenten in Diktaturen eine Plattform haben, ohne dass sie identifizierbar sind. Hier dient das Darknet für Auftragsmorde.
Zwei karikaturenhafte Nerds – zum Kringeln komisch Yung Ngo auf Inlinskatern und Mirco Kreibich – sind bisher die einzigen Mitarbeiter des Dezernats Cybercrime der Landespolizei in Kiel, das in einer riesigen, fast leeren Halle sein kümmerliches Dasein fristet. In eingeblendeten Comic-Sequenzen wird dem Zuschauer erklärt, was das Darknet ist und wie es funktioniert.
Im Fokus der kriminalistischen Ermittlungen steht die Frage, wer Auftraggeber des Killers ist – wobei Borowski ein Leck bei der Polizei vermutet. Der Killer selbst ist da schon längst tot.
Nach dem Verbrechen im Fitnessstudio hatte er im Hotel Oase Zuflucht gesucht und sich bei einem Malheur den kleinen Finger abgehackt. Rosi, die dralle Dame vom Empfang, stellte ihm just in dem Moment nach („Geht es ihnen gut?“), um schließlich im Zimmer den Finger zu finden und im Klo runterzuspülen. Den ohnmächtigen Täter packt sie aufs Bett, zieht ihn bis auf die Unterhose aus und schaut dort nach, ob sich was regt. Sie selbst liegt nackt neben dem Ohnmächtigen, der zwangsliebkost aufwacht. „Sie schmecken nach Schokolade“, sagt er. „Sie schmecken nach Blut“, erwidert sie, ehe sie kurz darauf tot ist.
Der Killer darf laut Drehbuch da noch weiterleben. Das überraschende Finale mit der Aufklärung, wer der geheimnisvolle Auftraggeber ist, ist ebenfalls grausam-schaurig in Szene gesetzt und mit langsamen Walzer-Klängen unterlegt – ein mal etwas anderer „Tatort“ mit filmischen Assoziationen von James Bond bis zu Quentin Tarantino.
[Matthias Hoenig/buhl]
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