RTL zeigt zum Jahreswechsel die Neuverfilmung des Lebens von Kaiserin „Sisi“ – jetzt mit allerhand Sex, Düsternis und Gewalt. Fortschrittlicher als die alte Filmtrilogie ist die Serie dennoch kaum.
Immer wieder war und ist von einem goldenen Zeitalter der TV-Serien die Rede. Mit „Twin Peaks“ fing es an, später folgten Formate wie „Die Sopranos“ und „Game of Thrones“. Ständig witterte man großes Kino für den Fernsehbildschirm. In Deutschland ist von diesem goldenen Serienzeitalter noch immer recht wenig zu spüren. „Babylon Berlin“, mögen einige direkt rufen. Bis auf pompösen Ausstattungs-Muff gibt es allerdings auch dort wenig nachhaltig Beeindruckendes zu sehen.
RTLs „Sisi“ mit Dominique Devenport in der Haupt- und Titelrolle versucht sich nun als weiteres deutsches Großprojekt auf dem Serienmarkt. Erst im Streaming bei RTL+, zum Jahreswechsel auch im Free-TV. Keine Frage: Die Zeichen auf einen Erfolg stehen per se nicht allzu schlecht. Die Kaiserin ist längst zur Marke geworden. Zugleich konnte man sich von Anfang an fragen, ob nicht ein potentielles Zielpublikum eine Neuauflage ohnehin boykottieren würde. „Sisi“ ohne Romy, das ist schließlich wie „Stirb Langsam“ ohne Bruce.
Das Phänomen „Sissi“
Romy Schneider hatte in den „Sissi“-Kostümschinken von Ernst Marischka die ikonische Kaiserin als schillerndes Symbol und populärer Superstar abgelöst — und zerbrach am Hype. Es erstaunt indes wenig, dass man diesen historischen wie künstlerischen Mythos dennoch wieder hervorkramt. Seine Reize besitzt er offensichtlich nach wie vor. Etwas Spähen durchs Schlüsselloch der Schönen und Reichen, Erkennen, dass diese manchmal mit ganz ähnlichen menschlichen Problemen zu kämpfen haben. Hübsch, aber gleichzeitig abschreckend genug, um sich davon abgrenzen und mit dem Kleinen, Vertrauten zufrieden sein zu können. Das ist auch bei der neuen „Sisi“ so.
Ernst Marischkas Trilogie, die gerade 65. Geburtstag feierte, war damals von Nachkriegs-Politikverdrossenheit durchzogen. Elisabeth, ein flottes Naturkind, das ihren Franz Joseph aus der ollen Politik rausziehen wollte, um mit ihm in durchschnittlichen Verhältnissen zu leben. Dass Franzl in Ischl nicht die Néné, sondern die Sissi genommen hat, das war schon längst verziehen. Elisabeth musste lernen, sich dem System zu fügen. Zum Schluss feierte man eine Mama, darauf konnten sich alle Völker gerade noch einigen. Bis heute ist der Habsburger-Schmonz an den Feiertagen beliebt. An Weihnachten gibt man sich schließlich gern dem Stumpfsinn hin. Man entschuldigt es mit Entspannung und Tradition.
Modernisiert mit Sex und Gewalt
Was stellt man mit dieser sagenumwobenen Kaiserinnen-Biographie also heute an? Viele Jahrzehnte später, im Zeitalter von „The Crown“, „Bridgerton“ und „Game of Thrones“? Die RTL-„Sisi“ aktualisiert anhand von äußeren Reizen. Das bedeutet: Alles muss zunächst einmal teurer aussehen als das Durchschnittsfernsehen, wenngleich sich damit gerade in den Streaming-Portalen bereits ein neuer Durchschnitt herausgebildet hat. Opulente Kostüme, große Kulissen, zwischendurch eine blutige Schlachtsequenz mit ein paar Kameratricks. Check! Sex und Gewalt. Die Kaiserin masturbiert, Franz ist unersättlich – im Bett und im brutalen Umgang mit seinen Feinden. Check!
Emanzipation. Che… Naja, Sisi soll nun als sexpositive, selbstbestimmte Frau auftreten, die die Geschicke selbst in die Hand nimmt. Vollends geschieht das erst gegen Ende dieser ersten Staffel. Bis dahin dreht sich ihre Geschichte wieder nur darum, wie sie Franz Vergnügen bereiten, wie sie gefallen kann, auch wenn viel vom Geben und Nehmen geschwafelt wird. Rat holt sie sich bei einer Prostituierten, die sie als getarnte Zofe in die Wiener Hofburg schmuggelt. So weit, so absurd. Später kopuliert man wiederholt in diversen Stellungen durch die kaiserliche Kemenate, ein paar freizügige Schauwerte wähnt man im Jahr 2021 als Muss.
Sisi und Franz sind ein toxisches Paar
Romantik haben derweil schon diverse Hollywood-Erfolge mit toxischen Beziehungen verwechselt. Besonders Stoffe, die sich an ein jugendliches oder junggebliebenes Publikum richten, können die Liebe meist nur noch im Schmerz begreifen und die „Sisi“-Serie zieht nach. Sisi und Franz sind nun zwei Zerrüttete, bei denen man nicht so recht verstehen mag, warum sie ein gutes Paar abgeben sollen. Ihre Beziehung entspinnt sich aus Übergriffigkeiten und Kommunikationsproblemen, von Anfang an ist sie zum Unglück verurteilt. Franz wurde von einer Ungarin verflucht. Politisches und privates Versagen ist damit schnell und billig erklärt. Ein Problempaar, vergleichbar mit Anastasia Steele und Christian Grey, Bella und Edward, Tessa und… Wie hieß der Kerl aus „After Passion“?
Gleich in der ersten Folge bereitet sich Sisi für den Ball vor. An ihrem Oberarm entdeckt sie ein Hämatom, das ihr Franz hinterlassen hat, als er sie im Gruselwald forsch anpackte und das Kleid in Fetzen hing. Die Erotik des Gefährlichen. Jannik Schümann, der den Franz spielt, sieht schließlich trotz allem so heiß aus. Unterkühlte Sexualität und unterkühltes Hofzeremoniell potenzieren sich gegenseitig. Selbst ein vereiteltes Attentat lässt so die Hormone wallen, dass beide stürmisch übereinander herfallen. Das ist ein vergiftetes Beziehungsportrait, das sich nur mäßig progressiv von der altbackenen Leinwandliebelei von Romy Schneider und Karlheinz Böhm abhebt und seine eigene Abgründigkeit mit Absolution verkitscht. Der durchaus talentierte Cast kann auch nach einigen Episoden nicht mehr viel retten.
Jede Menge Figuren-Psychologie
Wie es der Zeitgeist und die heutige Serienkultur wollen, hat man zudem jede Figur unendlich küchenpsychologisch zergliedert. Schließlich lassen sich damit mehrere Staffeln füllen, ohne etwas Spannendes erzählen zu müssen. Selbst die Erzherzogin Sophie, die ambivalenteste Figur der alten Trilogie, hat man damit uninteressanter gemacht. Das war einmal eine Gestalt, die als die Böse markiert wurde, weil sie sich dem privaten, staatsverdrossenen und skandalösen Geplänkel der Kindsbraut Sissi nicht hingeben und stattdessen die Geschäfte und das Zeremoniell wahren wollte.
In der 2021er Verfilmung, nun wird sie gespielt von Désirée Nosbusch, darf sie keine bloße Staatsfrau, keine Repräsentantin eines Systems mehr sein. Nein, es muss final betont werden, dass auch sie ein Mensch aus Fleisch und Blut ist, bis es jeder verstanden hat. Auch sie hat schon einmal Trauriges erlebt, das nun als halbherziges Motiv herhalten muss, dieses oder jenes Verhalten zu erklären.
Opium für die Augen
Ansonsten hat sich im Kern der „Sisi“-Geschichte gar nicht allzu viel verändert. Ja, das mag sich nun an einigen Punkten mehr an historische Fakten orientieren. Alles ist ernster, das soll man bereits an der tristen Farbpalette der Bilder ablesen. Man neigt sich etwas mehr dem Politischen entgegen, europäische Spannungen werden da verhandelt. Aber was genau eigentlich? Napoleon III. ist böse, eine Bluttat in Ungarn verfolgt Franz bis in die Albträume. All das sind überwiegend reine Stichworte. Die soziale Frage steht ebenfalls im Raum. Einmal strandet die junge Kaiserin im Armenviertel, später bricht fast ein Aufstand los. Auch das ist schnell verdrängt. Sisi surft auf der Crowd.
Fragt man sich nach einigen Folgen, was da wirklich erzählt werden soll, wie wir heute von dieser Melange aus historischem Ränkespiel und verruchtem Schmachtfetzen zehren sollen, dann sieht es doch eher finster aus. Völkerverständigung als bloßer Oberflächenreiz. Kein gutes Zeugnis, das man nach sechs Folgen ausstellen kann. Eine zweite Staffel ist dennoch bereits in Auftrag gegeben. Netflix wird 2022 ebenfalls mit einer eigenen Interpretation nachziehen. Ehrlich gesagt, dieser RTL-Fassung begegnet man fast so gleichgültig wie der „Sissi“-Trilogie aus den 50er-Jahren. Alles erscheint nur etwas rauer und aufgeblähter. Ein wenig bekömmliches Opium für die Augen. Das Fernsehen bleibt Medium der Unterforderung.
„Sisi“ ist seit dem 12. Dezember 2021 bei RTL+ zum Streamen verfügbar. Im Free-TV zeigt RTL alle Folgen am 28., 29. und 30. Dezember jeweils zur Primetime.
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Bildquelle:
- SisiundFranz: RTL/ Story House Pictures/ Lukas Salna
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- erzherzoginsophie: RTL/ Story House Pictures/ Lukas Salna
- sisi: RTL / Story House Pictures / Lukas Šalna