Aserbaidschan, der diesjährige Austragungsort des Eurovision Song Contest,gerät zunehmend wegen seiner Haltung zur Pressefreiheit in die Kritik, da die autoritäre Regierung gegen kritische Meldungen rigoros vorgeht.
Mit ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest im vergangenen Jahr, lenkten die gewinner Ell und Nikki die Aufmerksamkeit der Welt auf ihr Heimatland Aserbaidschan, wo der Wettbewerb dieses Jahr ausgetragen wird. Während die Regierung alles dafür tut, sich im rechten Licht zu präsentieren, kritisieren Menschenrechtler das rigorose Vorgehen gegen Oppositionelle und die Beschneidung der Pressefreiheit.
Istanbul – Ein Land putzt sich heraus: Für Aserbaidschan wird die Ausrichtung des Eurovision Song Contest 2012 die wohl größte internationale Veranstaltung in der jüngeren Geschichte. Das Innenministerium der Kaukasus-Republik hat den Polizisten schon Englischkurse verordnet, um die ausländischen Gäste vorbildlich schützen zu können, wie es ein Sprecher des Innenministeriums erklärt hat. Die Beamten sollen die öffentliche Ordnung garantieren, den Besuchern aber auch Kultur und Geschichte nahe bringen.
Tatsächlich hat die an Öl und Gas reiche Republik viele liebenswürdige Seiten. Dazu gehört in der Hauptstadt Baku die Mischung aus einer orientalischen Altstadt und Prachtbauten aus der Zeit des ersten Ölbooms. Aserbaidschan ist mit schöner Natur gesegnet. Viele der rund neun Millionen Aserbaidschaner haben sich am Rande Europas eine gewisse ländliche Arglosigkeit bewahrt. Freunde opulenter Fleischgerichte und vorzüglich gebrannter Spirituosen werden eine Reise in das Land auf jeden Fall genießen können.
Und doch liegt ein Schatten auf dem Jubel-Jahr. Denn die Führung um den autoritären Staatschef Ilcham Alijew ist in den vergangenen Jahren immer wieder wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen und Einschränkungen der Pressefreiheit kritisiert worden.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen führte das Land auf ihrer Rangliste der Pressefreiheit zuletzt auf Platz 152, noch knapp hinter Afghanistan, der Demokratischen Republik Kongo und Pakistan. Der Staatsapparat drangsaliert kritische Journalisten und Oppositionelle, die mal nach fragwürdigen Prozessen zu Haft verurteilt, mal von Schlägertrupps misshandelt werden. Auch Tote gab es.
Die Führung in Baku hat in den vergangenen Monaten mehrere Gesten in Richtung Entspannung gemacht. So kam der regierungskritische Reporter Ejnulla Fatullajew nach vierjähriger Haft vorzeitig frei. Er war 2007 verhaftet und trotz internationaler Proteste unter anderem wegen Anstachelung zu nationalem Hass zu achteinhalb Jahren verurteilt worden. Ausgerechnet in einem Hochsicherheitsgefängnis wollen Beamte dann bei ihm Heroin gefunden haben. Menschenrechtler gehen davon aus, dass es ihm gezielt untergeschoben wurde. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte sich für den inhaftierten Journalisten eingesetzt.
Die Polizei ging im vergangenen Jahr auch brutal gegen Demonstranten vor, die gegen das Regime demonstrierten. „Wer in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku laut Freiheit ruft, riskiert bis zu zehn Tage Gefängnis“, kritisierte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. „Das Gastland des Eurovision Song Contest 2012 versucht, jede kritische Stimme zum Schweigen zu bringen“, erklärt Tim Schröder, Südkaukasus-Experte der Organisation. „Auch 20 Jahre Unabhängigkeit, wirtschaftlicher Wohlstand und relative Stabilität haben nicht dazu geführt, dass die Regierung in Aserbaidschan ihren Bürgern grundlegende Rechte und Freiheiten gewährt.“
Aber im Bemühen um internationales Ansehen zieht die Führung um Alijew, der um die strategische Bedeutung seines Landes weiß, alle Register. Ende September feierte seine Frau Mehriban im Deutschen Historischen Museum in Berlin 20 Jahre Unabhängigkeit ihres Landes – wie auch in anderen europäischen Hauptstädten. Unter den Gästen in Berlin waren frühere Bundesminister und Bettina Wulff, die Frau des Bundespräsidenten. Weltoffen und freundlich gibt sich Aserbaidschan bei solchen Anlässen. Mehriban Alijewa sagte, ihr Land arbeite an einem neuen politischen System.
Doch dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Markus Löning, war erst im Monat zuvor ein Treffen mit einem mutmaßlichen politischen Gefangenen in Aserbaidschan verweigert worden. Nach seiner Rückkehr nach Berlin kritisierte Löning die Inhaftierung von politischen Gefangenen in Aserbaidschan und den Abriss von Häusern, die Oppositionspolitikern gehören. Der Eurovision Song Contest sei eine „gute Chance“, um auf die Missstände aufmerksam zu machen. Löning: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass man Lieder trällern kann, während ein paar Kilometer weiter Leute ohne Grund im Gefängnis sitzen.“[Carsten Hoffmann/ fm]
Bildquelle:
- Inhalte_Fernsehen_Artikelbild: Destina - Fotolia.com