[Interview] Woody Allen träumt von einer Zeitreise

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Bild: Destina - Fotolia.com
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Mit Filmen, die in New York spielen, wurde Woody Allen berühmt. Doch dann kam der US-Regisseur vor einigen Jahren zum Drehen nach Europa. Paris. Wovor er keine Angst hat und was er von Zeitreisen hält, verriet der 75-jährige Allen im Interview.

Zuerst ging Allen nach London, wo er Werke wie „Match Point“ kreierte. Dann ging er für „Vicky Cristina Barcelona“ nach Spanien. Nun kommt sein aktueller Film „Midnight in Paris“ in die Kinos – gedreht in Paris.
 
Herr Allen, in „Midnight in Paris“ träumt die Figur von Owen Wilson davon, in einer anderen Zeit zu leben. Was hat Sie an dieser Idee gereizt?

Woody Allen: Der Impuls ist, nicht dort zu sein, wo man gerade ist. Es tut immer sehr weh in der Realität. Das Leben ist sehr schwer und so eine Tortur und so voll von Trauer und Enttäuschungen, dass man irgendwo anders sein möchte. Du denkst: Bringt mich hier raus! Manchmal träumt man geografisch und denkt: „Wenn ich in London leben könnte oder in Johannesburg oder auf Bora Bora, dann wäre das Leben so viel besser!“. Oder man denkt „Wenn ich doch nur in den 20er Jahren gelebt hätte oder vor 50 Jahren.
 
Würde das wirklich helfen?
 
Allen: Die bittere Wahrheit ist, dass man, wenn man an diese Dinge denkt, nur an die schönen Dinge denkt. Wenn ich zum Beispiel an die Belle Époque in Paris denke, denke ich an Gigi, Maxime, Champagner, Kerzenlicht. Aber wenn man es sich mal genauer überlegt, realistischer, dann gab es damals viele schreckliche Dinge: Frauen starben bei der Geburt des Kindes, Menschen starben an Tuberkulose und Syphilis. Es gab viele solcher Dinge, an die man in seinen nostalgisch verklärten Erinnerungen nicht denkt. Also: Ich selber würde nicht gerne zu einer anderen Zeit leben. Es wäre aber schön, wenn ich mal für einen Tag zeitreisen könnte – Mittagessen in den Zwanzigern.
 
In den vergangenen Jahren haben Sie Ihre Filme in Europa gedreht: in London, Barcelona und Paris. Mögen Sie das Reisen nach Europa?
 
Allen: Europa hat für mich viele Vorteile. Dinge, die ich zu Hause nicht habe. Es gibt aber natürlich auch einige Nachteile.
 
Was zum Beispiel?
 
Allen: Meine Dusche! Zu Hause habe ich eine wundervolle Dusche. Das Wasser kommt heiß und kräftig heraus. Jeden Tag. Aber immer, wenn ich in ein europäisches Hotel gehe, ist die Dusche so lala. Das enttäuscht mich sehr. Das ist für mich sehr wichtig, wenn ich für drei Monate in Paris oder in Rom lebe – ebenso die Klimaanlage. Und wenn ich im Sommer in Rom drehe, werde ich Baseball vermissen. Aber ich gewinne natürlich andere Dinge – ich lebe in Rom, das ist ein Genuss.

Konflikte ganz anderer Natur spielen immer wieder in Ihren Filmen eine Rolle. Zum Beispiel der von Paaren, wo der Mann Künstler sein möchte und die Frau darunter leidet. Spüren Sie eine gewisse Sympathie für Frauen, die mit Möchtegern-Künstlern zusammenleben?
 
Allen: Es gibt immer einen Konflikt, wenn jemand versucht, ein Künstler zu sein und das nicht schafft. In meinem Film „Ich sehe den Mann deiner Träume“ war Josh Brolin ein frustrierter Autor, der nicht an seinem Ziel ankommt. Das kreiert eine Menge Probleme, für ihn und die Leute um ihn herum, vor allem seine Frau. Das ist in diesem Film ähnlich: Owen Wilson möchte ein ernsteres Leben als bisher leben und kann dafür auch auf den kommerziellen Erfolg verzichten. Seine Frau Rachel hat damit aber Probleme. Sie möchte ihn heiraten, nach Kalifornien in ein schönes Haus ziehen und den Ruhm und das Geld genießen. Das wiederum interessiert ihn nicht – und das ergibt einen guten Konflikt.
 
Ganz anders als Sie. Sie produzieren sehr regelmäßig neue Drehbücher und Filme. Haben Sie keine Angst, dass Sie mal keine Idee zum Schreiben haben könnten?
 
Allen: Nein, interessanterweise ist das die einzige Angst, die ich nicht habe (lacht). Ich habe Angst vor allem Möglichen und mache mir um alles Sorgen, aber ich hatte nie Angst vor so etwas – ich hatte auch nie eine Schreibblockade. Das gehört eben fest zu mir dazu. Man könnte mir zum Beispiel sagen: „Ich gebe dir Geld, schreib einen Film, der in Serbien spielt.“ Ich würde nach Hause gehen und einen solchen Film schreiben, auch wenn ich noch nie dagewesen bin. Da bin ich mir ziemlich sicher – diese eine Angst habe ich einfach nicht.
 
Warum? Können Sie sich das erklären?
 
Allen: Möglicherweise liegt das am Beginn meiner Karriere, als ich für eine wöchentliche Fernsehsendung schrieb. Ich war sehr jung, erst 16. Wir mussten für jeden Samstag eine neue Show schreiben. Am Montagmorgen kam man zur Arbeit – und musste schreiben. Sie brauchten das Drehbuch. Du konntest nicht dasitzen und auf deine Muse warten. Du musstest schreiben. Noch heute kann ich in einem Raum sitzen und mich zum Schreiben zwingen. Die Ängste der Charaktere aus meinen Filmen kenne ich also nicht.
 
Wie schreiben Sie?
 
Allen: Noch immer so wie zu Beginn. Ich sehe keinen Grund, das zu ändern. Ich habe einen gelben Block und einen Bleistift. Und wenn ich dann fertig bin, tippe ich es ab. Ich habe dieselbe deutsche Schreibmaschine, die ich gekauft habe, als ich 16 Jahre alt war. Sie ist perfekt. Wenn ich sie Ihnen verkaufen würde, würden Sie denken, sie sei brandneu, dass sie gerade erst aus der Fabrik gekommen sei. Alles funktioniert. Einige Teile musste ich noch nie reparieren oder ersetzen.
 
Herr Allen, vielen Dank für das Gespräch.
 
DIGITAL FERNSEHEN präsentiert Ihnen an dieser Stelle jedenSonntag ein Star-Interview der Woche mit Prominenten aus Film undFernsehen. Lesen Sie hier das letzte Gespräch mit „München 72“-Regisseur Zahavi.INTERVIEWs im Überblick
[Aliki Nassoufis]

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  • Inhalte_Fernsehen_Artikelbild: Destina - Fotolia.com
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