
Der Privatsender Sat.1 steckt in einer tiefen Krise. Die bekannten Gesichter verlassen den Sender und im Programm wird ständig experimentiert, sodass von Kontinuität nur noch bedingt zu sprechen ist. Ein klares Profil hat Sat.1 schon vor langer Zeit verloren – und ein neues scheint nicht in Sicht.
Britt Hagedorn war die letzte tägliche Talkerin im deutschen Fernsehen. Zwölf Jahre lang plauderte sie auf Sat.1 mit ihren Gästen über Fremdgehen, Eifersuchtsdramen, Vaterschaftstests und Körperhygiene. Die letzte Mohikanerin ihres Genres verschwindet zur Jahresmitte vom Bildschirm. Die Quoten, die Quoten. Mit Hagedorn verliert der Münchner Privatsender eines seiner letzten bekannten Gesichter. Viele Experten fragen sich: Wohin steuert Sat.1, wofür steht Sat.1.
Sat.1 ist mit gut acht Prozent Marktanteil noch das stärkste Mitglied im ProSiebenSat.1-Verbund. „Im Rahmen der Senderfamilie hat ProSieben mit vielen US-Serien und Programmen aus der Schmiede von Brainpool ein klares, jugendliches Profil“, sagt der Medienexperte Bernd Gäbler, früher Leiter des Grimme-Instituts. „Ebenso Kabel Eins als Spielfilmsender für die Oldies oder Sixx als einigermaßen flotter Frauensender. Sat.1 soll das Dickschiff in der Flotte sein – der Sender für alle ist tatsächlich aber ein Sender für niemanden so richtig.“
Sat.1 hatte noch vor kurzem versucht, bewährte Kräfte wie Ulla Kock am Brink („Die perfekte Minute“) und Linda de Mol („The Winner is…“) als Sendergesichter zu aktivieren. Doch auch sie wurden von der Quotenseuche befallen. Cheftalker Harald Schmidt, der reihenweise Fans verlor, verließ den Sender in Richtung Sky, die Champions League wanderte für 50 Millionen Euro an das ZDF, eigenproduzierte Serien wie „Der Cop und der Snob“ scheiterten reihenweise, die Model-Castingshow „The Million Dollar Shootingstar“ scheiterte. Richterin Barbara Salesch ging in Ruhestand, Psychologin Angelika Kallwass rutschte ins Quoten-Tief und muss aufhören.
Die Reihe lässt sich mühelos fortsetzen: Eigenproduzierte Filme am Dienstag haben kaum noch Akzeptanz: 1,38 Millionen Zuschauer für „Zur Sache, Macho“ am vergangenen Dienstag entsprechen der Größenordnung einer RTL2-Dokusoap und nicht dem Anspruch eines Senders, der in der ersten privaten Liga mitspielen will und nicht wie RTL2 in der zweiten. Auch die als Eventfilm angekündigte Satire „Der Minister“ fiel mit 4,44 Millionen Zuschauer vergleichsweise mau aus, ganz zu schweigen vom Stalkerdrama „Der Feind in meinem Leben“ mit Eisläuferin Katarina Witt mit 1,7 Millionen Zuschauern.
„Es fehlt an Profil“, sagt Experte Gäbler. „Früher gab es einmal ‚ran‘, Schreinemakers, wunderbare Filme wie ‚Tanz mit dem Teufel‘, ‚Wambo‘ oder ‚Das Wunder von Lengede‘. Heute sind da allenfalls noch ‚Danni Lowinski‘ und ‚Der letzte Bulle‘. Sat.1 ist ein Vollprogramm ohne Nachrichten, die man für voll nehmen kann. Manche Eigenproduktion riecht nach einem gewollten Programm für die ganze Familie. Die versammelt sich aber kaum noch im Halbkreis um den Bildschirm. Die Kleinsender funktionieren – sie kreisen aber um einen Hohlkörper in der Mitte der ProSiebenSat.1-Gruppe.“
Die medialen Gewohnheiten des Publikums haben sich geändert. War das Potpourri-Magazin „Schreinemakers“ früher hip, ist es jetzt für jüngere Leute das Netz. Dies trifft vor allem alteingesessene Anbieter. Seit Herbst 2012 ist der TV-Profi Nicolas Paalzow, früher ProSieben-Chef, bei Sat.1 als Geschäftsführer am Ruder. Mit ihm soll sich der Sender wandeln. „Dass wir generell an neuen Formaten für unseren Nachmittag und den Vorabend arbeiten, ist kein Geheimnis“, sagt Sat.1-Sprecherin Diana Schardt. „Wir haben Ende letzten und Anfang diesen Jahres so viele Produktionen angestoßen wie noch nie: Im Moment arbeiten wir an über 40 Formaten, die wir in diesem Jahr einsetzen.“
Deutsche Fiction läuft nach Sat.1-Auffassung dagegen gut. Kein anderer privater Sender investiere so viel in eigene Produktionen wie Sat.1 und habe mit dem Dienstagabend einen seit Jahren gelernten festen Sendeplatz. Serien wie „Der letzte Bulle“ und „Danni Lowinski“ liefen gut. Dennoch: „Leider haben die Zuschauer uns bei den drei Serien-Neuentwicklungen im letzten Jahr eine klare Absage erteilt. Aber wir wissen: Es kann funktionieren. Deswegen arbeiten wir natürlich weiterhin an neuen Serienentwicklungen“, sagt Schardt.
Mit „vollem Einsatz“ arbeite Sat.1 an der „Daytime und Access Prime“ am Vorabend, beteuert die Sprecherin. „Und unsere an vielen Abenden sehr gut funktionierende Prime Time stärken wir zusätzlich mit neuen Formaten aus den Bereichen Reality, Factual und Entertainment.“ Am 5. April startet die Kinder-Castingshow „The Voice Kids“ – zwei weitere Showreihen am Freitagabend sollen folgen. Und dann kommt irgendwann in diesem Jahr die internationale Krimi-Koproduktion „Crossing Lines“ in zehn Folgen. Ob diese Neuheiten wirklich Innovationen sind, wird sich zeigen. [Carsten Rave/fm]
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