Die Sensation war groß, als 1991 die Gletschermumie „Ötzi“ gefunden wurde. Felix Randau hat aus der sagenumwobenen Lebensgeschichte des Toten einen Film gemacht. Heute Abend zum ersten Mal im Free TV.
„Der Mann aus dem Eis“ führt zurück in die Jungsteinzeit. Vor etwa 5.300 Jahren lebt Kelab mit seiner Familie in den Ötztaler Alpen. Die Idylle wird jäh zerstört, als eine Gruppe von Räubern die Siedlung überfällt. Das Heiligtum wird entwendet, Kelabs gesamte Sippe wird grausam ermordet. Das wütende Dorfoberhaupt macht sich auf den Weg, um sich an den Verbrechern zu rächen.
Bei Felix Randaus Abenteuerstreifen handelt es sich um eines dieser Werke, das in der Kritik gerne mal mit Argumenten umschrieben wird, die mit der Formulierung „Für einen deutschen Film…“ beginnen. Tatsächlich muss man sagen, dass die letzten Tage des Ötzi „für einen deutschen Film“ eindrucksvoll bebildert sind. Hier ist alles auf Naturalismus getrimmt, der raue Alltag in den Alpen soll so ungeschönt wie möglich eingefangen werden. Das gelingt dem Film durchaus passabel.
Man bekommt einen Eindruck davon vermittelt, wie es sich angefühlt haben muss, in dieser kargen Zeit gelebt zu haben. Immer in Angst vor dem nächsten gewaltsamen Überfall. Und es geschehen noch Wunder: In „Der Mann aus dem Eis“ darf sich sogar die Kamera ab und an mal von der Stelle bewegen. Äußerst ungewöhnlich „für einen deutschen Film“! Und doch muss man sich fragen: Wie niedrig muss der Anspruch an das Kino sein, wenn man ausgehend von diesen ansehnlichen Naturaufnahmen schon in Jubelstürme ausbricht?
Der deutsche „Revenant“?
Einige fühlten sich im Zuge des Kinostarts im Jahr 2017 so frei, „Der Mann aus dem Eis“ als „deutsche Antwort auf ‚The Revenant'“ zu betiteln. Nun, der Ötzi-Film ist letztendlich genau so, wie man sich eine deutsche Antwort auf „The Revenant“ vorstellen würde. Solide geklaut, ansonsten nichts Eigenes. Wo Alejandro González Iñárritus Survivaltrip mit Leonardo DiCaprio tatsächlich zur groß angelegten, archaischen Kinoerfahrung wurde, fühlt sich „Der Mann aus dem Eis“ doch eher so an, als wäre man in das örtliche Archäologie-Museum eingebrochen und hätte dann im Wald mit Pfeil und Bogen Steinzeit gespielt.
Von seiner Künstlichkeit kann sich der Abenteuerfilm nicht befreien. Alles ist auf „echt“ getrimmt. Ein paar Brocken Fantasie-Ursprache werden geraunt. Natürlich ohne Untertitel! Es würde ja die Authentizität zerstören. Jürgen Vogel darf dabei mit vollem Einsatz als deutscher Leonardo DiCaprio eine Extremwanderung durch Berg und Tal und Eisspalten absolvieren und ein wenig in der Matschepampe rühren. Ist nett gemeint und allemal interessanter als die Kultur der deutschen Kinokomödien. Aber was fängt man mit dieser zähen Bergwanderung an?
Vergeben und vergessen
Die erdachte Vision vom Tod des Ötzi ist hier nicht mehr als eine altbackene Western-Rachegeschichte, wie man sie inzwischen im Schlaf nacherzählen könnte. Es wirkt ein wenig so, als hätte man hier in erster Linie versucht, ein paar Beschreibungen aus dem Geschichtslehrbuch in Bilder zu packen. Damit man sich am Ende auf die Schulter klopfen kann und denkt: So muss es gewesen sein! Ein Glück, ist das weit entfernt. Naja, vielleicht ist es das gar nicht.
Hier verpasst man es gänzlich, unsere Gegenwart mit dieser Erzählung in Beziehung zu setzen, sondern verbannt die Bilder stattdessen in die Vergangenheit. Reine Schauwerte. Eine Historienstunde, die nur im Trüben fischt. Man möchte es den Schülerinnen und Schülern in Deutschland gönnen, dass sie von ihren Geschichtslehrern nicht mit diesem trägen Alpenschinken terrorisiert werden!
„Der Mann aus dem Eis“ läuft heute Abend um 23.45 Uhr im ZDF in der Reihe „Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten„. Bis zum 14. August ist der Film außerdem in der ZDF Mediathek als Stream verfügbar.
Bildquelle:
- dermannausdemeis: ZDF/ Martin Rattini