Kriminelle Ausländer und Rassismus sind die vorherrschenden Themen im ersten „Tatort“ des Jahres 2017. „Land in dieser Zeit“ überrascht dabei mit Lyrik und Musik, weist aber auch einige Längen auf.
Bei einem Brandanschlag auf einen Friseursalon kommt die Auszubildende Melanie ums Leben. „Kill All Nazis“ haben Unbekannte an den Tatort geschmiert. Schnell gerät ein afrikanischer Drogendealer in Verdacht, der vor der Gewalttat einen heftigen Streit mit der Getöteten und ihrer Kollegin Vera gehabt haben soll. Im fünften Fall der Frankfurter Kommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) geht es um den Umgang mit kriminellen Ausländern und um Flüchtlinge, um Rassismus und neue Rechtsradikale. „Land in dieser Zeit“, heißt der erste „Tatort“ des Jahres passenderweise. Das Erste zeigt den Beitrag des Hessischen Rundfunks (hr) am kommenden Sonntag (8. Januar um 20.15 Uhr).
Der Tatverdacht gegen den Afrikaner John Aliou (Warsama Guled) bröckelt aber nach und nach. Stattdessen geraten die labile Friseuse Vera (Jasna Fritzi Bauer) und zwei junge Akademikerinnen in den Blick der Ermittler. Vera hat Kontakte in die rechtsextreme Szene und reagiert aggressiv auf die Nordafrikaner, die sich auf dem Platz vor dem Friseursalon treffen. Ideologisch scheint sie von ihrer WG-Mitbewohnerin Juliane (Anna Brüggemann) geprägt. Die autoritäre und fürsorgliche Juristin gehört offenbar intellektuellen rechtsradikalen Kreisen an, ebenso wie Margaux (Odine Johne), die Enkelin eines Kioskbesitzers.
Neben der Gesinnung verbindet die drei jungen Frauen ein Chor, mit dem sie für einen „fröhlichen Liedgutabend“ proben. „Kein schöner Land in dieser Zeit“ singt der Chor – auch darauf spielt der Titel „Land in dieser Zeit“ an. Im Kontrast dazu steht die laute, aggressive Musik des Clubs, in dem Vera ihre Wut und ihre Verzweiflung auszuleben versucht – ein Treffpunkt der rechten Szene. Am Ende singt sie dann jedoch: „Viel Glück und viel Segen.“
Volksweisen und der ein oder andere Kanon sind in verschiedenen Situationen zu hören. Lieder und Sprache spielen eine tragende Rolle in diesem „Tatort“ – auch in Form gelber Zettel mit Begriffen wie „Holz“ oder „Fisch“. Einer von drei Flüchtlingen, die bei Brix‘ Hauswirtin Fanny (Zazie de Paris) vorübergehend untergekommen sind, klebt die Zettel überall im Haus auf Gegenstände. Es geht ums Deutsch lernen. Überraschender und unvermittelter ist die politische und experimentelle Lyrik des österreichischen Dichters Ernst Jandl (1925-2000). Mit seinen Versen irritiert, überfordert und fasziniert der neue Chef der Mordkommission, Fosco Cariddi (Bruno Cathomas), sein Team – und manchmal auch den Zuschauer.
Was aus Cariddis ebenfalls verschrobenen Vorgänger Henning Riefenstahl (Roeland Wiesnekker) geworden ist, bleibt unklar – wie einiges in diesem „Tatort“. Manche Charaktere werden eingeführt, aber nur schemen- oder rätselhaft, wie die Geflüchtete Najla (Maryam Zaree). Warum interessiert sie sich so für den Polizeiberuf? Und warum fährt sie ungefragt mit Brix‘ altem Auto durch die Gegend, ungewohnt verhüllt? Das Drehbuch hat einerseits Längen, viele der überraschenden Wendungen und die Situationskomik wirken andererseits konstruiert oder oberflächlich.
Afghanistan als Abschiebeland, brutale Gewalt gegen die Kopftuch tragende Najla, Flüchtlinge mit falschen Identitäten und eine neue Rechte: „Land in dieser Zeit“ reißt viele aktuelle gesellschaftspolitische Konflikte und Probleme an, vertieft aber kein Thema.
Nach zwei Frankfurter Fällen innerhalb von drei Wochen („Wendehammer“ lief am 18. Dezember) müssen die Zuschauer jetzt länger auf den nächsten hr-„Tatort“ warten. Broich und Koch ermitteln voraussichtlich im vierten Quartal wieder. Die Dreharbeiten für ihren siebten Fall sollen im März beginnen. Der siebte Fall mit Ulrich Tukur als Wiesbadener LKA-Ermittler Felix Murot wird bereits Anfang des Jahres gedreht und soll auch Ende 2017 zu sehen sein.
[Ira Schaible/buhl]
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