Hits wie „Vamos a la Playa“ oder „Dolce Vita“ erzählen von ewigen Sommern. Gemeinsam ist ihnen der Glitzersound der 1980er. Eine Doku zeigt Aufstieg und Fall eines Genres, das zu Unrecht verpönt wird.
Es war eine unwiderstehliche Mischung: Popsongs mit synthetischen Klängen, meist englischen Texten und elektronischen Beats eroberten vor rund 40 Jahren quer durch Europa die Diskotheken und Hitparaden. Unter dem Label „Italo Disco“, das auf einen deutschen Plattenproduzenten zurückging, tanzte ganz Europa zu Hits wie „Vamos a la Playa“, „I Love My Radio“ oder „Dolce Vita“. Die spannende Musik-Doku „Italo Disco“ von Alessandro Melazzini, die diesen Samstag um 22.25 Uhr bei 3sat läuft, erkundet in einer unterhaltsamen Zeitreise mit vielen Videoclips diese schillernde, typisch europäische Pop-Epoche.
Dabei wird schnell klar, dass unter dem Begriff „Italo Disco“ ganz unterschiedliche Songs und Künstler vermarktet wurden. Da reicht die Spannbreite vom Mainstream bis zum Underground. Ein süßlicher Ohrwurm wie „I Like Chopin“ gehörte ebenso dazu wie fast schon avantgardistische elektronische Musik in der Tradition der deutschen Pioniere von Kraftwerk.
Selbst Krautrock-Pioniere wie Kraftwerk wurden teilweise als Italo Disco vermarktet
Ein großer Sommerhit von 1983 war „Vamos a la Playa“ von Stefano Rota und Stefano Righi, die als Duo unter dem Namen Righeira auftraten. Der Text war auf Spanisch und alles andere als harmlos, weil er sich durchaus dystopisch um Atombombenversuche drehte. Diese Message ging aber im Spaßsound und dem bunt-psychedelischen Video völlig unter. Dem Duo gelang dann mit „No Tengo Dinero“ (Ich hab kein Geld) ein Jahr später ein weiterer Charterfolg. Das Video zu dem erneuten Hit glänzt im Comicstil. Im Film erläutert Stefano Righi, dass er und sein Partner sich als Futuristen gesehen haben, im Gegensatz zu den Punks und deren Slogan „No Future“.
Zwei zentrale Protagonisten von „Italo Disco“ sind die Brüder Michelangelo und Carmelo La Bionda, die im Film ausführlich zu Wort kommen. Neben dem eigenen Song wie „One For You, One For Me“ haben die Brüder viele Disco-Hits der Zeit produziert. Irgendwann zum Ende der 1980er hin war „Italo Disco“ zur Masche verkommen, es fehlte das Individuelle, wie die Brüder betonen. Es war damals auch durchaus üblich, dass Performer auf der Bühne und Sänger zwei verschiedene Personen waren.
Einen schrillen Schlusspunkt unter die Epoche setzte dann die freizügige Sabrina Salerno mit sinnlicher Vitalität und ihrem Megahit „Boys“. „Soll ich mich etwa verstecken oder wie eine Nonne anziehen?“, meint die junge Sabrina im Interview selbstbewusst. Sie müsse schließlich ein Produkt verkaufen, und natürlich ging es bei „Italo Disco“ vor allem um den Kommerz.
Kulturell dagegen kann man die italienische Discowelle durchaus mit dem Italo-Western vergleichen. Beide Richtungen haben ein amerikanisches Vorbild auf spezifisch europäische Weise neu definiert. Spiel mir das Lied vom Strand!
[Johannes von der Gathen]