Nach dem Desaster mit Xavier Naidoo steht nun endlich fest, wer für Deutschland zum Eurovision Song Contest fährt: Manga-Sängerin Jamie-Lee setzte sich beim ESC-Vorentscheid gegen die Konkurrenz durch.
Es ist ein deutscher ESC-Vorentscheid, bei dem viele Namen von Musikern fallen, die gar nicht auf der Bühne stehen: Xavier Naidoo, Andreas Kümmert und vor allem Lena Meyer-Landrut. Letzterer besonders oft, als feststeht, wer für Deutschland zum Eurovision Song Contest 2016 fährt – die 17 Jahre alte Jamie-Lee Kriewitz. In ihrem opulenten Kopfschmuck steckt ein Panda-Püppchen, im Arm hängt ein kulleräugiges Kuscheltier, als sie nach dem Sieg gefragt wird, ob sie das nicht irgendwie nerve, ständig mit Lena verglichen zu werden.
Viele Künstler verweisen bei solchen Fragen auf das deutsche Schubladendenken und dass man ein eigenständiger Musiker sei. Kriewitz aber sagt: „Ich kann’s verstehen, dass ich mit ihr verglichen werde“. Was will sie es auch leugnen. Teenager, aus der Region Hannover, eigenwillige Bühnen-Präsenz – zumindest oberflächlich gibt es da einige Parallelen.
Nach Andreas Kümmert haben die Deutschen erneut eine Stimme aus der ProSiebenSat.1-Show „The Voice of Germany“ zu ihrem Kandidaten für den großen europäischen Gesangswettbewerb bestimmt – der Privatsender mutiert damit in gewisser Weise zur Talentschmiede für die ARD. Kriewitz setzte sich gegen ein kunterbuntes Kandidatenfeld durch, bei dem sich selbst Ralph Siegel mit der Sängerin Laura Pinski wieder Hoffnungen auf eine ESC-Teilnahme machen durfte – es wäre wohl seine letzte gewesen, hatte er noch beteuert.
Kriewitz blieb ihrem Stil bei „Unser Lied für Stockholm“ treu. Ihr knallbuntes Outfit stammt aus der asiatischen Manga-Kultur. Wer mal die Zeichentrickserie „Sailor Moon“ gesehen hat, erkennt Parallelen. Ihr Sieger-Lied „Ghost“ ist hingegen solider West-Pop, der manche eher an die barbadische R&B-Sängerin Rihanna („Umbrella“) als an Fernost erinnert.
Der Eurovision Song Contest war aus deutscher Sicht zuletzt ein etwas belastetes Kapitel gewesen. 2015 setzte sich „The Voice“-Sieger Kümmert im Vorentscheid durch – wollte dann aber überraschend doch nicht für Deutschland singen. Für ihn fuhr dann die Zweitplatzierte Ann Sophie zum Finale – und bekam keinen einzigen Punkt. Danach nominierte die ARD Xavier Naidoo („Dieser Weg“) als einzigen Kandidaten. Weil der Sänger wegen einiger politischer Äußerungen aber umstritten ist, musste die Nominierung nach Protesten wieder kassiert werden – Eurovision Song Chaos.
Vorentscheid-Moderatorin Barbara Schöneberger ging mit der ganzen Vorgeschichte wohl auf die einzig mögliche Art um: mit Selbstironie. Statt den Hickhack unter den Teppich zu kehren, eröffnete sie den Abend mit einem ESC-Medley, in dem sie zu Naidoo-Melodien trällerte, dass „dieser Weg“ kein leichter werde, denn „ohne Xavier müssen wir tapfer sein“. Sie drohte: „Wenn du mir den Kümmert machst Baby, dann mach ich Hackfleisch aus dir.“ Und wer wollte, konnte in ihrer Moderation auch einen Satz der Bundeskanzlerin wiedererkennen: „Wir haben hier ein Motto und es heißt: Ja, wir schaffen das“.
Dass Deutschland in der aktuellen politischen Gemengelage empfänglich für versöhnliche Botschaften sein kann, zeigte der etwas überraschende zweite Platz des bayerischen Gitarrenspielers Alex Diehl, der seinen Song „Nur ein Lied“ nach den Anschlägen von Paris geschrieben hatte und in Köln fast keine große Friedensgeste ausließ, Peace-Zeichen und Beschwörung von John Lennon inklusive.
Jetzt müsste sich nur noch Europa für eine Sängerin erwärmen können, die der asiatischen Popkultur frönt. Und Ralph Siegel müsste wieder einen neuen Anlauf nehmen. [Jonas-Erik Schmidt/fs]
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