Als die „Lindenstraße“ im Dezember 1985 erstmals auf Sendung ging, war der dauerhafte Erfolg der ersten deutschen Soap noch nicht abzusehen. Mittlerweile sind alle relevanten Themen abgehandelt und das Format genießt längst Kultcharakter. Am Sonntag feiern Mutter Beimer und Co. ihren 1500. TV-Auftritt.
In der ersten Folge traf sich Familie Beimer zur Hausmusik: Hans und Helga mit ihren drei Kindern Marion, Benny und Klausi. Heute, 29 Jahre später, ist von dieser Idylle längst nichts mehr übrig. Hans und Helga gehen seit langem getrennte Wege, Benny ist tot, Marion weggezogen und Klaus ein geschiedener Sozialhilfeempfänger. Es ist viel passiert in 1500 Folgen „Lindenstraße“. Und es geht weiter: Mindestens bis 2016 ist die Zukunft der ARD-Dauerserie gesichert.
Dabei sollte man meinen, dass sämtliche gesellschaftliche Themen inzwischen abgearbeitet sind: Liebe und Hass, Gesundheit und Krankheit, Geburt und Tod, Verbrechen und Versöhnung – die Liste ist schier unendlich. „Von A wie Aids bis Z wie Zölibat war alles dabei“, sagt „Mutter Beimer“ Marie-Luise Marjan. „Aber oft interessiert die Zuschauer weniger das Spektakuläre als vielmehr der normale Alltag.“
Gerade das war vor allem in den Anfängen der Serie das Erfolgsrezept: Den normalen Alltag von Menschen zeigen. „Das gab es damals im deutschen Fernsehen nicht, dass man gewissermaßen bei anderen durchs Schlüsselloch gucken konnte“, sagt Schauspielerin Sybille Waury (Tanja Schildknecht).
Heute dagegen ist es dank unzähliger Reality-Formate nichts besonderes mehr, Privates im Fernsehen öffentlich zu machen. Auch Tabu-Brüche, wie 1990 der erste Schwulen-Kuss in einer deutschen Serie, sind für die „Lindenstraße“ damit fast unmöglich geworden. „Provokation in der Lautstärke wie früher ist kaum noch möglich“, räumt Produzent Hans W. Geißendörfer im dpa-Interview ein. Aber erreichbar sei immerhin noch eine kontroverse Diskussion über Themen, wie etwa zurzeit über den geplanten Bau einer Moschee.
Die Veränderung der TV-Landschaft mit ihrer heutigen Sendervielfalt spiegelt sich auch in den Zuschauerzahlen wider: Sahen in den 80er Jahren etwa 12 Millionen Menschen zu, schalten jetzt laut WDR im Schnitt noch 2,7 Millionen Zuschauer sonntags um 18.50 Uhr die Serie ein. Hinzu kommen Abrufe über Mediatheken, Internet-Livestream und die App.
Das wichtigste Mittel, um neue Zuschauer zu gewinnen, sei Werbung, sagt Geißendörfer. Doch das werde von der ARD leider nicht finanziert. „Ich vermisse das schon sehr, dass wir da keine Unterstützung kriegen.“
Viele der Zuschauer sind Fans der ersten Stunde. „Eine Riesenzielgruppe für uns sind Menschen, die die Serie früher mal geguckt haben und dann irgendwann ausgestiegen sind“, sagt ein „Lindenstraßen“-Sprecher. Diese versuche man über soziale Netzwerke zu erreichen.
Zumindest theoretisch dürfte diese Zielgruppe vorhanden sein. Denn auch erstaunlich viele derzeitige Nicht-Zuschauer wissen zum Beispiel, dass Mutter Beimer sich zum Trost gerne Spiegeleier brät oder dass „dieser Arzt“ seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt.
Jener „Dr. Dressler“, gespielt von Ludwig Haas, hat sämtliche „Lindenstraßen“-Bewohner kommen und gehen sehen – allein rund 250 Schauspieler waren seit 1985 mit Hauptrollen dabei. Zwölf Schauspieler aus dem ersten Jahr gehören auch heute noch zum Team, darunter neben Haas, Marjan und Waury auch Joachim Hermann Luger, Georg Uecker und Andrea Spatzek.
„Wenn wir Ollen mal weg sind, dann hoffe ich, dass es gelingt, wieder neue Zentralfiguren zu schaffen“, sagt der 81-jährige Haas. Damit stehe und falle der Erfolg der Serie. „Sonst besteht die Gefahr, dass das Ganze zu beliebig wird.“
Die „Lindenstraße“ in Zahlen
Am 28. September läuft in der ARD die 1500. Folge der „Lindenstraße“, die am 8. Dezember 1985 an den Start ging. Rund 250 Schauspieler waren seitdem mit Hauptrollen unter Vertrag, dazu kamen etwa 2100 Gastrollen. 24 000 Komparsen spazierten durch die Straße, ließen sich im Friseursalon die Haare schneiden oder aßen im „Akropolis“. Es gab rund 30 Hochzeiten und mehr als 40 Todesfälle. 25 Regisseure haben die Serie inszeniert. Die Folgen füllen mehr als 71 000 Drehbuchseiten. Im Durchschnitt schalten zurzeit 2,7 Millionen TV-Zuschauer sonntags um 18.50 Uhr die Serie ein, das entspricht einem Marktanteil von 10,7 Prozent.
Besondere Ereignisse in der „Lindenstraße“
Einige prägende Ereignisse in der „Lindenstraße“ sind vielen Zuschauern besonders im Gedächtnis geblieben. Hier ein paar Beispiele:
DER SKANDAL-KUSS: Zum ersten Mal in einer deutschen Serie wird gezeigt, wie sich zwei schwule Männer küssen. Die Liebesbezeugung zwischen Carsten Flöter und Robert Engel am 25. März 1990 geht als Skandal-Kuss in die TV-Geschichte ein. Sieben Jahre später setzen die Serienmacher noch eins drauf: Mit der ersten Schwulenhochzeit im deutschen Fernsehen – zwischen Carsten Flöter und Theo Klages.
DER BRATPFANNEN-MORD: 1995 erschlägt die 13-jährige Lisa den Ex-Priester Matthias Steinbrück mit einer Bratpfanne. Lisa und ihr Freund Olli Klatt legen den Toten auf Bahngleise, so dass er von einem Zug überrollt wird. Alle gehen von Selbstmord aus. Erst 2014 kommt die Wahrheit heraus.
AIDS-SCHOCK: 1988 stirbt der Schreiner Benno Zimmermann an Aids. Er hatte sich durch eine Bluttransfusion infiziert. Die „Lindenstraße“ war die erste Serie, die die Erkrankung thematisierte.
SCHEIDUNGS-DRAMA: Die einstige Traum-Ehe von Helga und Hans Beimer wird 1991 geschieden, nachdem Hans seine „Taube“ für Nachbarin Anna verlassen hat. Damit bricht auch für Millionen „Lindenstraßen“-Fans eine heile Welt zusammen. Hans-Darsteller Joachim Hermann Luger berichtet später, auf dem Markt hätten ihm wildfremde Menschen aus lauter Enttäuschung gedroht, ihn mit faulen Äpfeln zu bewerfen. [Petra Albers/das]
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