Die Wiener „Tatort“-Ermittler Fellner und Eisner tauchen in ihrem neuen Fall tief ins Millieu ab. Prostitution und Menschenhandel treibt die Kommissare um – und Fellner kämpft dabei zunehmend mit ihrer eigenen Vergangenheit.
Eine Frau geht in Flammen auf. Ein Kind als Mörder. Und eine in Nahaufnahme brutal verprügelte Majorin Bibi Fellner. Der „Tatort“-Fall „Angezählt“ vom ORF ist nichts für empfindliche Seelen. Oberstleutnant Moritz Eisner ermittelt in seinem 31. Fall im brutalen Milieu von Menschenhandel und Prostitution. Schonungslos und mit vielen realen Bezügen zeigt Regisseurin Sabine Derfinger Wien als Drehscheibe für Menschenhandel, bei dem junge Zwangsprostituierte aus Osteuropa schon für 30 Euro „mit allem“ zu haben sind.
Im Mittelpunkt des Österreich-„Tatorts“ am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten steht Bibi Fellner (Adele Neuhauser), die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird: Ihre Zeit bei der Sittenpolizei spielt ebenso eine Rolle wie ihre lieblose Kindheit. Trotz packendem Hauptstrang wirken jedoch die inneren Konflikte der sonst so resoluten Polizistin konstruiert, der Text erscheint oft unpassend.
In ihrer Therapiestunde erreicht Fellner ein Anruf, den sie wegen der anonymen Nummer aber wegdrückt. Später stellt sich heraus, dass die Anruferin eine bulgarische Ex-Prostituierte (Daniela Golpashin) ist, die kurz darauf in Flammen aufgeht. Ein zwölfjähriger Junge (Abdul Kadir Tuncel) hat die Frau mit einer benzingefüllten Spielzeug-Pumpgun besprüht, als sie eine Zigarette raucht. Fellner kennt Yulya Bakalova noch aus ihrer Zeit bei der „Sitte“, sie war in einem Prozess gegen den kaltblütigen Zuhälter Ilhan Aziz (Murathan Muslu) ihre wichtigste Zeugin. Sie macht sich schwere Vorwürfe.
Als klar wird, dass Aziz vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen wurde, ist für Fellner die Sache klar: Der gnadenlose Schläger benutzte das strafunmündige Kind einer weiteren Prostituierten, um sich an Bakalova zu rächen. Sie stirbt an ihren Verletzungen. Doch die vielen Indizien reichen nicht, um den Mann dranzukriegen. Und dann ist da noch der einsame und traumatisierte Junge, der Fellner an ihre eigene Kindheit erinnert und ungeahnte Muttergefühle weckt.
„Diese Geschichte hat mich sehr berührt und nachhaltig beschäftigt. Das war kein alltäglicher ‚Tatort‘ für mich“, sagte Neuhauser. Mal wieder ist der ARD-Dauerbrenner nah an der Realität: Das Wiener Rotlichtmilieu ist grausam, erst 2010 zündete ein Zuhälter eine aufmüpfige Prostituierte auf offener Straße an, davor wurden weitere verbrannte Leichen osteuropäischer Frauen gefunden.
Im Film verliert Fellner angesichts der menschenverachtenden Zustände die Distanz, prügelt auf den Zuhälter ein oder schimpft über „diese Arschlöcher, die alle wegschauen – sind ja nur Ausländerinnen“. 6000 völlig rechtlose Illegale müssten meist unter Zwang in Wien anschaffen. In Wiener Edelbordellen fänden sich Minderjährige: „Und jeder weiß das und keiner tut was dagegen. Weil die, die was dagegen tun könnten, sich auch gern von einer 15-Jährigen einen blasen lassen.“ Eisner wirkt angesichts seiner emotional agierenden Kollegin besorgt, hält aber voll zu ihr.
Zudem erfährt der Zuschauer mehr über Fellners Herkunft: Als sie vier ist, stirbt die Mutter. Der Vater, „dem auch mal die Hand ausrutscht“, gibt sie zu den Großeltern und besucht sie nie. Diese inneren Konflikte wirken aber klischeehaft: Im Nebel-Traum taucht ihre Mutter auf und schließt sie in die Arme. Ihre blonde, miniberockte Therapeutin mit einlullender Stimme will natürlich als erstes über die Kindheit reden und streicht ihr mitfühlend über den Rücken und rät: „Atmen sie.“
[Miriam Bandar/fm]
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