Es ist ein jahrzehntealtes Recht: Kirchen bekommen im TV-Programm von Sendern Platz freigeräumt für Gottesdienste und Predigten. Doch ist das angesichts des Mitgliederschwunds noch zeitgemäß?
Nach den Wetteraussichten und vor dem Mord und Totschlag in den Spätfilmen kommt die Kirche. Eingebettet zwischen Nachrichten und Krimis verändert das Fernsehprogramm im öffentlich-rechtlichen ARD-Hauptprogramm Das Erste samstagabends plötzlich Geschwindigkeit und Sound – so als habe man versehentlich einen anderen Kanal eingeschaltet. Man fühlt sich an die Predigt in einer Kirche erinnert. Und in der Tat. „Das Wort zum Sonntag“ ist eine Art Predigt. Und wenn sich der Ton mit der Zeit auch leicht angepasst hat, läuft es im Wesentlichen doch immer noch so ab wie bei der Einführung vor 70 Jahren. In diesem Jahr schauten durchschnittlich 1,4 Millionen Leute zu.
Gedanken zum Tag
Die evangelische und die katholische Kirche haben im öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm feste Sendeplätze, sowohl im Fernsehen als auch im Radio. Hier wird nicht über sie berichtet, die Kirchen haben das Steuer selbst in der Hand. Sonntags werden zum Beispiel im ZDF Gottesdienste übertragen. Und im Frühprogramm etwa des ARD-Informationssenders WDR5 äußern zwischen Interviews und Korrespondentenberichten eine Pastorin oder ein Priester Gedanken zum Tag.
Dieses Privileg haben die Bundesländer den Kirchen vor langer Zeit in Rundfunk-Staatsverträgen eingeräumt. Damals waren fast alle Westdeutschen entweder katholisch oder evangelisch. Die Kirchen wurden vielfach als das moralische Gewissen der Bundesrepublik betrachtet, sie hatten einen nahezu unangreifbaren Status.
Doch mittlerweile hat sich das Bild gewandelt: Heute ist eine knappe Mehrheit der Deutschen nicht mehr Kirchenmitglied. Und das Ansehen der Kirchen ist durch die Serie von Missbrauchsskandalen schwer erschüttert worden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Warum sollten die Kirchen nach wie vor eigene Sendezeit im Fernsehen bekommen?
RBB-Redaktionsausschuss stellte Kirchen-Senderecht infrage
Vereinzelt gab es schon kritische Stimmen. Als der Staatsvertrag für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) 2023 überarbeitet wurde, stellten die Vertreter der Programmmacher in dem ARD-Sender das Kirchen-Senderecht infrage: Es sei „nicht nachvollziehbar, warum die Kirchen nach wie vor selber im RBB Programm machen dürfen – ein Recht, was keiner anderen Gruppierung eingeräumt wird.“ Und weiter hieß es in der Stellungnahme: „Entweder bekommen auch andere gesellschaftliche Gruppen die Möglichkeit, Programm zu machen – oder alle sind gleichermaßen Gegenstand journalistischer Berichterstattung.“
Eine aktuelle Umfrage der Deutschen Presse-Agentur unter Landesregierungen ergibt ein klares Bild: Die Kirchen werden das Senderecht auch weiterhin behalten. Eine grundlegende Änderung wird nicht diskutiert.
Predigt im TV-Programm für ältere Menschen, die nicht mehr in die Kirche gehen können
Eines der Hauptargumente der Länder ist der Dienst an älteren Menschen, die nicht mehr in die Kirche gehen können. Vom Staatsministerium in Baden-Württemberg heißt es: „Da ältere Menschen in großem Umfang Mitglieder der beiden großen Kirchen sind, ist eine entsprechende Regelung weiterhin in Hinblick auf die individuellen Bedürfnisse von älteren und mobilitätseingeschränkten Menschen gerechtfertigt und nicht als Privileg einer Religionsgemeinschaft zu betrachten.“ Der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, weist darauf hin, dass den Gottesdienst-Übertragungen in der Corona-Zeit noch einmal eine zusätzliche Bedeutung zugewachsen sei: Damals waren Präsenz-Gottesdienste lange untersagt, sodass religiöse Menschen nur online oder eben über das Fernsehen daran teilnehmen konnten. Die Sendungen hätten damals auch einen Beitrag zum Zusammenhalt der Gesellschaft geleistet.
Der katholische Kirchenrechtler Thomas Schüller plädiert allerdings mit Blick auf das «Wort zum Sonntag» dafür, auch Vertreter des Judentums und des Islams zu Wort kommen zu lassen. „Es gibt genügend in Deutschland gut ausgebildete Theologinnen und Theologen beider abrahamitischen Religionen, die sprichwörtlich was ‚zu sagen‘ haben“, sagt der Theologe im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Judentum, Buddhismus, Zeugen Jehovas
Anspruch auf Sendezeit im Rundfunk haben je nach Staatsvertrag unterschiedlich ausgeprägt auch andere Religionsgemeinschaften, genannt wird häufig das Judentum. Es gab mit den Jahren immer mal wieder Anpassungen in Staatsverträgen. Von der Senatskanzlei in Berlin heißt es: „Der Grund für die Privilegierung der christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinden liegt in deren hinreichender institutioneller Verfestigung, Geschlossenheit und Repräsentativität gerade unter älteren und mobilitätseingeschränkten Menschen.“ Die Rundfunkveranstalter seien jedoch frei, auch anderen Religionsgemeinschaften von gesellschaftlicher Bedeutung und Weltanschauungsgemeinschaften Sendezeit einzuräumen. Brandenburgs Regierungssprecher Florian Engels teilt mit, dass der Kreis der Anspruchsberechtigten für Drittsendezeiten im neuen RBB-Staatsvertrag auf Weltanschauungsgemeinschaften erweitert worden sei, die in Brandenburg und Berlin bedeutsam seien.
Der Norddeutsche Rundfunk (NDR) listet gleich mehrere Beispiele für Gemeinschaften auf, die derzeit Sendezeit erhalten. Darunter sind die Buddhistische Gesellschaft Hamburg, Jehovas Zeugen in Deutschland oder der Geistige Rat der Bahá’i. Laut der Regierung von Hamburg wurde der NDR-Staatsvertrag 2021 angepasst, um den „gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen“. Die Formulierung wurde offener gefasst und nicht nur auf Kirchen bezogen. Vom ARD-Hauptprogramm Das Erste wiederum ist zu erfahren, dass dort derzeit die evangelische und die katholische Kirche das Drittsenderecht nutzen. Dazu zählen bis zu 17 Gottesdienst-Übertragungen pro Jahr.
Fazit: Das Amen im Fernsehen ist sicher – noch jedenfalls. Langfristig dagegen könnte es womöglich anders aussehen: Eine Untersuchung der Universität Freiburg prognostizierte 2019, dass die Zahl der Kirchenmitglieder – katholisch und evangelisch – bis zum Jahr 2060 um die Hälfte auf knapp 23 Millionen sinken werde. Diese Prognose wird auch von den Kirchen nicht bestritten.
Bildquelle:
- tv-gottesdienst: Richard W. Schaber
- kirche: ZDF/ Ev. Kirchengemeinde TRIANGEL