Carmen Thomas war eine der ersten Medienfrauen ohne Netzstrümpfe und Lider-Klappern. Obwohl sie schon lange nicht mehr im Fernsehen oder im Rundfunk präsent ist, kennt man sie noch: von „Hallo Ü-Wagen“ – und von „Schalke 05“. Jetzt wird sie 65.
Carmen Thomas war die erste Frau, die das „Aktuelle Sportstudio“ moderierte. Stichwort Schalke 05. Ihr legendärer Versprecher. Dann die gelebte Rundfunk-Demokratie von „Hallo Ü-Wagen“. Am Samstag (7. Mai) wird sie 65, und es ist still um sie geworden. Ein Fall von Altersmilde?
Wenn man sie besucht, könnte man meinen, sie habe sich zur Ruhe gesetzt. Carmen Thomas, die als Erste ganz normale Leute im Radio zu Wort kommen ließ, residiert auf einem Schloss. Jedenfalls beruflich. Schloss Ehreshoven bei Köln im Bergischen Land. Gemeinde Engelskirchen. Unter ihrem Fenster grasen nachgezüchtete Auerochsen.
Ein fester Händedruck. „Wollen Sie Kaffee? Dann nehmen Sie mal die Tasse hier und kommen Sie mit! Halten Sie die Tasse da drunter! Ich drücke. Wenn Sie genug haben, sagen Sie „Stopp“!“ Es ist merkwürdig, aber irgendwie tut man, was diese Frau sagt. Das ist keine gute Voraussetzung für ein kritisches Interview. Zumal sie von Anfang an nicht nur selbst Fragen stellt, sondern den Interviewer auch unaufhörlich testet. Mit Aufgaben, Spielchen und Rätseln. Das macht sie auch bei den Teilnehmern ihrer Moderationsseminare: Managern oder Politikern, die ihre Kommunikationsfähigkeiten verbessern wollen.
Man könnte natürlich sagen: „Lassen Sie das jetzt mal.“ Aber das haben schon ganz andere Leute nicht geschafft. Carmen Thomas ist tough. Als sie kurz vor ihrer zweiten „Sportstudio“-Moderation erfuhr, dass „Bild am Sonntag“ bereits eine vernichtende Kritik geschrieben hatte, bevor die Sendung überhaupt angefangen hatte, kaufte sie sich schnell noch eine Ausgabe am Kiosk und verlas die Kritik vor laufender Kamera.
Dafür hat „Bild“ dann später die Sache mit „Schalke 05“ ein bisschen größer gefahren. Auch jetzt noch, 38 Jahre danach, wird Carmen Thomas ständig darauf angesprochen. „Eine Geschichte war, als ich mir ein Visum bei der Botschaft von Tansania in Bonn besorgen wollte. Bei dem tiefschwarzen Pförtner dachte ich so bei mir, ob ich ihn überhaupt auf Deutsch ansprechen kann. Doch noch bevor ich den Mund aufmachen konnte, lächelte er mich an und sagte: „Ooh, Schalke 05!““ Heute nützt ihr die Erinnerung an den Versprecher bei ihren Moderationsseminaren, weil die Teilnehmer wissen: Die ist auch nicht perfekt und steht dazu.
Thomas war eine der ersten Fernsehfrauen ohne Netzstrümpfe und Lider-Klappern. Sie hat sich nie angebiedert und so manches anders gemacht. Ihre große Lebensleistung ist die Sendung „Hallo Ü-Wagen“, die sie 1974 übernahm und 20 Jahre behielt. Es war die Zeit von „Mehr Demokratie wagen“. Thomas brachte ganz normale Hörer mit Politikern und Experten zusammen, und zwar nicht in der demütigen Manier von „Bürger fragen – Politiker antworten“, sondern eher nach dem Motto: „Jetzt reden wir mal Tacheles!“ Das war neu. Immer wieder haben später Hörer erzählt, erst mit dieser Sendung hätten sie wirklich akzeptiert, dass es zu jedem Thema unterschiedliche Wahrheiten gibt und dass eine harte Diskussion noch kein Streit sein muss.
„Hallo Ü-Wagen“ brachte es auf bis zu sechs Millionen Hörer – einzigartig für eine regionale Radiosendung, in der zudem nur geredet wurde. Woche für Woche war das bevölkerungsreichste Bundesland NRW am Donnerstagvormittag ganz Ohr – wie zu grauer Vor-Fernseh-Zeit. Es passierte aber auch so einiges, wenn der Ü-Wagen vorfuhr (immer an einem anderen Ort): „Es haben sich Leute geschlagen, die RAF war zu Besuch, Johannes Rau ist im Sturm fast von einem Stahlschild erschlagen worden, ich bin bei laufender Sendung kopfüber vom Ü-Wagen gefallen, eine alte Frau ist vor meinen Augen gestorben…“
Nebenher schrieb Thomas noch ein Dutzend Bücher, in denen sie unter anderem Tipps für den Umgang mit Leichen oder das Gurgeln mit Eigenurin gab. Heute konzentriert sie sich auf ihre Moderationsakademie, in den Medien macht sie nichts mehr: Die Zeit, die sie dort benötigen würde, um ihren Themen gerecht zu werden, bekomme sie nicht mehr, sagt sie. Fehlen tut ihr die Publicity nicht – zumal sie immer noch auf der Straße angesprochen wird. Manchmal sogar auf andere Dinge als auf Schalke 05. [Christoph Driessen/ar]
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