Ein deutscher Student gerät in die Fänge des IS und zerbricht daran – Stoff für einen Film. Der ist stark, aber nichts für schwache Nerven.
Sein Leben? Wie das Millionen anderer junger Leute in Europa: Jan, lebt in einer WG in Stuttgart, studiert vor sich hin, besucht Partys, trinkt und hat mit seiner Freundin eine Beziehung ohne große Emotionen. Aber: Sein Dasein langweilt Jan (Edin Hasanovic), es fordert ihn nicht wirklich – nur das Schicksal seines WG-Kameraden Tariq (Erol Afsin), einem Arzt in Ausbildung, berührt ihn. Dessen Familie hängt in Syrien fest, um sie herum tobt der Bürgerkrieg.
Mit Jans Orientierungslosigkeit ist es vorbei, als er den aus Bosnien stammenden Prediger Abadin Hasanovic (Tamer Yigit) kennenlernt. Jans Irrweg hat das Erste an diesem Mittwoch (20.15 Uhr) im Zweiteiler „Brüder“ illustriert – parallel zum Auftritt des FC Bayern München in der Champions League beim RSC Anderlecht im ZDF.
„Brüder“ ist kein gewöhnlicher Mittwochsfilm, der im Ersten mal eine Komödie, mal ein Krimi oder auch Sozialdrama sein kann. Wer die beiden 90-Minuten-Stücke sieht, sollte sich unbedingt darauf einlassen und sich nicht ablenken lassen. Die Geschichte des jungen Manns, der in die salafistische Szene abdriftet, dabei sich und andere zerstört, ist deswegen mitreißend, weil sie sich so oder so ähnlich zig-mal in Deutschland in den vergangenen Jahren zugetragen haben mag und der Wahrheit viel näher kommt als jeder andere Krimi oder jedes Drama zu anderen Themen auf diesem Sendeplatz. Der Film enthält brutale Szenen aus dem Terror-Kalifat des IS, die so in deutschsprachiger Fiction noch nicht gezeigt wurden.
Jan konvertiert nämlich zum Islam, fährt mit Tariq nach Syrien und lässt sich zum Schein vom IS entführen – was Jan jedoch nicht weiß: Sein Freund Tariq spielt dem deutschen Verfassungsschutz Informationen zu. Jan wird beim IS an der Waffe ausgebildet, lernt zu morden, erst Attrappen und Tiere, beim Kampfeinsatz Menschen. Doch allmählich kippt seine Stimmung: Jan muss mit ansehen, wie der brutale Kommandant einem Hochzeitspaar die Kehlen durchschneiden lässt oder wie ein Mitkämpfer aus Verzweiflung Selbstmord begeht. Der Stuttgarter, der mit seinen Eltern gebrochen hat, schluckt schwer, gibt aber nicht auf. Schließlich heben türkische Truppen das IS-Lager aus, Jan wird gefangen genommen und nach Deutschland ausgeliefert.
Wie weit darf die gezeigte Gewalt gehen? Die Kamera schwenkt weg, als Jan im IS-Camp einem Huhn den Kopf abschneiden muss, auch als ein kopfüber hängender IS-Gefangener in eine Tonne brodelndes Wasser gelassen wird. In den Augen der Zuschauer muss die Fantasie den Rest erledigen.
„Wir hätten die Gewalt nie so real abgebildet, wie sie der IS in seinen Videos selbst zeigt“, sagt der türkischstämmige Regisseur und Co-Autor Züli Aladag. „Der Zuschauer soll selber ein Gefühl für die Gewaltvorstellung bekommen, wie sie sich in den Köpfen unserer Protagonisten abspielt.“ Auf Aladags Betreiben ist die Film-Passage im syrischen IS-Lager, die zunächst nur drei Minuten umfassen sollte, auf 50 Minuten ausgeweitet worden. Nach den Worten des zuständigen SWR-Redakteurs Jan Berning ist jede Szene vorher mit der Jugendschutzbeauftragten des Senders abgesprochen worden.
Drehbuchautorin Kerstin Derfler sagt im ARD-Interview, sie habe 2014 pausenlos Bilder aus dem kriegszerstörten Aleppo gesehen. „Die Menschen flohen in Massen aus Syrien, zerrieben zwischen Rebellen, IS und Assads Fassbomben. Gleichzeitig zogen junge Männer, Deutsche, in den Krieg nach Syrien, um dort zu kämpfen. Diese Gegenläufigkeit hat mich nicht mehr losgelassen und sehr schnell war mir klar, das ich im Kern eine Geschichte von zwei Freunden erzählen möchte, einem syrischen Medizinstudenten und einem sogenannten „biodeutschen Konvertiten“, die sich im Laufe der Handlung in völlig unterschiedliche Richtungen entwickeln.“
Gedreht wurde in Marokko, wo häufig Stoffe aus dem Nahen Osten fürs TV oder Kino umgesetzt werden. Schwierig sei gewesen, dort Waffen für Filmzwecke zu beschaffen – darauf hat nur eine französische Firma die Lizenz, mit der die ARD folglich zusammenarbeiten musste.
Der Film endet nicht mit der Eroberung des IS-Lagers, sondern geht nach Jans Rückkehr nach Deutschland weiter. Der Verfassungsschutz ist ihm zwar auf den Fersen, kann ihm aber noch nicht nachweisen, freiwillig beim IS gewesen zu sein.
Jan hätte die Chance auf Wiederintegration, selbst sein Vater, vorher in offener Feindschaft zu ihm stehend, hält wieder zu ihm. Doch der Konvertit bleibt Konvertit. Er trifft wieder seinen Prediger, der ihn einst mit seiner kameradschaftlich-huldvollen Manier verführte und organisiert sich mit anderen jungen Salafisten neu. Jan, so scheint es, bereitet jetzt den ganz großen Coup vor. Wird er noch einmal ausholen? Oder erweisen sich der Rest von Anstand und Moral in ihm als stark genug?
Das Erste zeigt beide Teile von „Brüder“ heute ab 20.15 Uhr.
[Carsten Rave]
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