„Tatort“: Heute Odenthal-Jubiläum

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Ulrike Folkerts Tatort; © SWR/Sabine Hackenberg
© SWR/Sabine Hackenberg

Was tun mit aggressiven Kindern, die sich und ihr Umfeld gefährden? Dieser Frage geht der „Tatort“-Krimi „Marlon“ nach. Souverän balanciert der Film zwischen Nervenkitzel und Mitgefühl.

In einer Blutspur liegt der fast neunjährige Marlon tot vor einer Schultreppe. Es ist das Ende eines kurzen, konfliktreichen Lebens – und wohl einer der härtesten Fälle für die dienstälteste „Tatort“-Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und ihr Team. „Marlon“ heißt der „Tatort“, den das Erste heute um 20.15 Uhr ausstrahlt. Wie umgehen mit aggressiven Kindern, sogenannten Systemsprengern? Dieser Frage geht der mittlerweile 75. Odenthal-„Tatort“ nach. Es ist ein bitteres Jubiläum. Deutschlands TV-Dauerbrenner hält der Wohlstandsgesellschaft den Spiegel vor.

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Marlon (Lucas Herzog) wurde die Treppe hinabgestoßen und zeigt Spuren eines Kampfes, das ist den Ermittlern schnell klar. Sie bemerken, dass der Tod des Kindes ambivalente Reaktionen hervorruft – bei einigen fast Erleichterung. Marlons Verhalten machte ihn zum Außenseiter, der Lehrer und Eltern sowie Mitschüler an die Grenzen brachte. Der Vater einer Mitschülerin versuchte gar, ihn von der Schule werfen zu lassen. Stück für Stück rekonstruieren die Kommissarinnen die letzten Tage eines Kindes, das mit dem Erwachsenwerden nicht zurechtkam und das viele loswerden wollten.

„Marlon“ ist 75. „Tatort“ für Ermittlerin Lena Odenthal

Regisseurin Isabel Braak leuchtet das Thema Gewalt in vielen Facetten aus. Kinder geben sich stark und sind doch zerbrechlich. Eltern bleiben überfordert zurück. Behörden scheinen hilflos. Nichts verdeutlicht das mehr als ein Dialog in der Schule. Als eine Lehrerin sagt „Wir müssen die Kinder schützen“, fragt Kommissarin Johanna Stern (Lisa Bitter) entgeistert zurück: „Vor sich selbst?“

Ist Marlon nicht zu retten? Der Film beantwortet das nicht. „Kinder sind nicht das Problem – sie haben eins“, sagt etwa Sozialarbeiter Anton Leu (Ludwig Trepte). Auch wenn die Geschichte nicht immer ganz schlüssig und stabil ist: Dieser „Tatort“ lässt viele Deutungen zu.

„Ich habe großen Respekt vor Lehrerinnen und Lehrern und ihrer Arbeit“, sagt Folkerts. Sie sei gern zur Schule gegangen. „Ich hatte Lieblingslehrerinnen, das war wichtig. Jetzt war ich fasziniert und habe gestaunt, wie agil die Kids sind, in den Pausen permanent rennen und schreien und toben und lachen, herrlich, aber ein wirklich wilder Haufen.“ Fans lernen die Kommissarin nach über 30 Dienstjahren neu kennen – ungewöhnlich impulsiv. Als ein Vater sie fragt: „Haben Sie Kinder?“, schnauzt Odenthal zurück: „Nein. Aber ich war mal eins.“

Stilsicher erzählte Folge

Autorin Karlotta Ehrenberg hat ein Sozialdrama ohne erhobenen Zeigefinger geschrieben, das wohl deswegen besonders wirksam ist. Die Konflikte in der 4. Klasse der Wilhelm-Busch-Grundschule Ludwigshafen erscheinen manchmal wie ein Krieg Klein gegen Groß. „Monster“ und „Missgeburt“ ruft der Hausmeister (Georg Blumreiter) den Kindern hinterher. Die Kleinen wünschen ihm einen Strick um den Hals.

Doch auch Marlon sehnt sich nach Elternliebe und Anerkennung. „Mama, du wirst staunen, so hast du mich noch nie gesehen“, kündigt der Junge stolz für die Schulfeier an – die er nicht mehr erlebt. Auch ein verständnisvoller Sozialarbeiter und ein wütender Vater (Urs Jucker) haben eine andere Seite. Eingefangen wird dies in der stilsicher erzählten Folge von einer starken Kamera (Jürgen Carle).

„Die Besonderheit in diesem Fall ist eine, wenn man so will, erhöhte Dramatik, weil es sich bei dem Todesopfer um ein Kind handelt“, sagt Bitter. „Deshalb sind wir als Kommissarinnen besonders mitgenommen, stehen unter dem Druck, die Ermittlungen schnell zu konkreten Ergebnissen zu führen.“ Immer tiefer verstricken sich Kinder in diesem „Tatort“ in eine Spirale aus Ohnmacht und Erwartungen, aus der sie sich kaum mehr befreien können. „Es zerreißt einen“, sagt Marlons Mutter (Julischka Eichel) an einer Stelle und meint die Eltern. Der Satz gilt aber genauso für die Kinder.

Vielleicht vor allem für sie.

[Wolfgang Jung]

Bildquelle:

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