Zehn Jahre versuchte 9 Live, anrufenden Glücksrittern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Der umstrittene Spielsender rief Medienwächter auf den Plan und gab C-Prominenten eine Fernsehheimat. Ab dem heutigen Mittwoch zieht Eigentümer Pro Sieben Sat 1 den Stecker und baut 9 Live zum Serienkanal um.
Sirenen, blinkende Lampen, ein flehender Jürgen und meist sinnlose Fragen: Knapp zehn Jahre lang hat 9 Live viele Millionen Anrufer mit der Aussicht auf das schnelle Geld gelockt. Doch den meisten blieb nur die saftige Telefonrechnung für viele vergebliche Versuche, den hektischen Moderatoren scheinbar simple Lösungen ins Ohr zu sagen.
Umstritten war der Quizsender immer. Betrug, riefen viele Kritiker. Den Medienwächtern war 9 Live stets ein Dorn im Auge. Doch nun hat die liebe Seele ruh: Seit dem gestrigen Dienstag ist auf 9 Live erstmal nichts mehr live sein. Pro Sieben Sat 1 stellt den zuletzt ungeliebten Sender kalt. Zunächst flimmern Serien und andere Archivware über den Schirm. Ob der Sender im analogen Kabel mittelfristig von Sixx ersetzt wird, wie viele Beobachter spekulieren, demnächst unter neuem Titel über den Bildschirm flimmert oder komplett eingestellt wird, ist dabei völlig offen.
Damit geht ein – für Kritiker unerfreuliches – Stück deutscher Fernsehgeschichte zu Ende. Etliche als C-Prominente verspottete Moderatoren werden ihre TV-Heimat verlieren, wie etwa die einstigen „Big-Brother“-Teilnehmer Alida-Nadine Kurras oder Jürgen Milski. Umsatzeinbruch durch verschärfte Gewinnspiel-Regeln
Im September 2001 war 9 Live unter der Regie der Medienmanagerin Christiane zu Salm, heute Kofler, entstanden – und von Beginn an umstritten, wenn auch zunächst durchaus wirtschaftlich erfolgreich.
Das hat sich erledigt, der einstige Zankapfel wird nun erstmal eine Abspielstation für Fernsehkonserven. Der Schnitt hatte sich seit langem angedeutet: Das zwielichtige Image des Senders sorgte in der Pro-Sieben-Sat-1-Zentrale vermehrt für Kopfschmerzen, Bußgelder und Betrugsvorwürfe können nämlich abfärben – und seit der Verschärfung der Regeln für TV-Gewinnspiele wuchs die Zahl der Verfahren, während die Umsätze des Senders schrumpften – allein im ersten Quartal 2011 gingen sie um gut ein Drittel auf 9,2 Millionen Euro zurück (DIGITAL FERNSEHEN berichtete).
Auch die Suche nach allzu absurden Wörtern wie „Baum-Hausfensterbrettputzgarnitur“ war mit den Verschärfungen vorbei, die Abschaltung der analogen Satelliten-Ausstrahlung beschleunigte das Siechtum von 9 Live. Und Pro-Sieben-Sat-1-Chef Thomas Ebeling gilt nicht eben als langmütig, wenn es um fehlende Erfolge und sinkende Umsätze geht.
Der frühere Pharmamanager hat die Senderfamilie kräftig umgebaut und soll den RTL-Konkurrenten dauerhaft auf Profit trimmen. Schmerzhafte Entscheidungen eingeschlossen. Angesichts der Lage dürfte bei 9 Live eigentlich niemand über das Ende überrascht gewesen sein. Ebeling selbst machte nie einen Hehl daraus, dass er nicht der größte Fan des Senders ist. „Mit dem jetzigen Geschäftsmodell kann man leben – aber es ist kein attraktives Leben“, sagte er noch vor wenigen Monaten.9 Live wird zur Serien-Abspielstation umgebaut
Nachdem Ende des Live-Betriebs wird es ab dem heutigen Mittwoch bei 9 Live stattSpiel-Shows vor allem eins zu sehen geben: Serien. Die Sendergruppe ProSieben Sat 1 nutzt den Sender als Zweit- und Dritt-Verwertungsmaschine. Dabei stellt der Senderverbund den rar gesähteninternationalen Highlights wie „Nip/Tuck“ deutsche Eigenproduktionen wie“Alles außer Sex“ an die Seite.
Die erwartete Flut an billigproduzierten Astro-Fernsehen und Infomercial-Blöcken bleibt demZuschauer aber dennoch nicht erspart. Am Abend zwischen 18.45 Uhr und 01.50 Uhr regieren dann die Serien.Zunächst werden Eigenproduktionen gezeigt, zu denen neben der „Sex andthe City“-Copycat „Alles außer Sex“ auch die Krankenhaus-Serie „KlinikumBerlin Mitte“ und die Anwaltsserie „Typisch Sophie“ gehören.
Amspäteren Abend ab 22.30 Uhr zeigt der Sender WiederholungenUS-amerikanischer Serien. Dazu gehören unter anderem die sarkastischeSchöhnheits-OP-Serie „Nip/Tuck“, die Sitcom „Samantha Who“, dieJustiz-Serie „The Practice“ und Sitcom-Oldie „Wer ist hier der Boss“.Die Nacht wird dann wenig überraschend mit mehr oder weniger nacktenTatsachen gefüllt.
[Sebastian Raabe/ar]
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