Auf die Zeit des Nationalsozialismus blickt niemand gern zurück. Erst recht nicht, wenn die eigenen Vorfahren Teil der Ideologie waren und zu den führenden Verbrechern der Zeit gehörten. Wie einige Menschen mit diesem Erbe zurechtkommen, zeigt die ARD-Dokumentation „Meine Familie, die Nazis und Ich“ am heutigen MIttwoch (13. Juni).
Rainer Höß bricht in Tränen aus, als ein Überlebender des Holocaust ihm in Auschwitz die Hand geben will und ihn dann umarmt. „Du hast es nicht getan“, sagt der ältere Mann dem Enkel des KZ-Kommandanten Rudolph Höß – er war verantwortlich für die Ermordung von mehr als zwei Millionen Juden in den Gaskammern von Auschwitz in Polen. „Ich fühle mich schuldig“, sagt sein Enkel, der in dem einstigen Vernichtungslager auf jüdische Schüler aus Israel trifft.
Die Dokumentation „Meine Familie, die Nazis und Ich“ des israelischen Filmemachers Chanoch Ze’evi zeigt, wie fünf Nachkommen führender Nazi-Verbrecher mit dem Familienerbe umgehen. Das Erste zeigt die Dokumentation an diesem Mittwoch um 23.45 Uhr.
Jeder der fünf Protagonisten hat einen eigenen Weg gefunden, mit der Familiengeschichte zu leben. Sie sind unterschiedlich. Der 80-Minüter zeigt Interviews mit den Nachkommen und begleitet sie bei der Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit, die auch ihre ganz persönlich ist. Der deutsch-israelische Dokumentarfilm aus dem Jahr 2011 wurde für den MDR, WDR und SWR produziert und wurde bislang auch auf zahlreichen internationalen Festivals gezeigt.
Bettina Sellers ist vor knapp 40 Jahren ausgewandert. Sie ist eine geborene Göring. Hermann Göring, Oberbefehlshaber der Luftwaffe von 1935 bis 1945 und zweiter Mann des NS-Regimes neben Adolf Hitler, war ihr Großonkel. Sie sieht ihm ähnlich. Ihren Namen empfand sie als „schwere Last“ und nahm daher früh den ihres damaligen Mannes an. Sie lebt in den USA. „Es ist einfacher für mich, die Vergangenheit meiner Familie von dieser Entfernung aus zu verarbeiten“, sagt sie. Sie hat sich sterilisieren lassen, genauso wie ihr Bruder, „um keine weiteren Görings zu produzieren“.
Niklas Frank ist in die Offensive gegangen gegen seine Eltern und die Grausamkeiten seines Vaters Hans Frank. Frank war Hitler-Berater und Generalgouverneur nach der Besetzung Polens 1939. Über seinen Vater sagt er, er war ein „typisch deutsches Monster“. In seinen Büchern „Der Vater. Eine Abrechnung“ und „Meine deutsche Mutter“ klagt er sie an. Noch heute geht er in Schulen und spricht mit Jugendlichen über die Nationalsozialisten und seine Eltern. Wenn er an die NS-Zeit denke, „dann blutet mein Herz“, sagt Frank.
Monika Hertwig (geborene Göth) brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass ihr Vater ein grausamer NS-Mörder und Sadist war. Lange wurde die Wahrheit in ihrer Familie verdrängt und geleugnet. Sie nennt ihn nicht Vater, sondern bei seinem Vornamen Amon. Der NS-Kommandant und Scharfschütze schoss Hunderte Juden im polnischen Konzentrationslager Krakau-Plaszow brutal nieder. Hertwig erleidet einen Schock, als sie die Gräueltaten ihres Vaters im Holocaust-Drama „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg sieht, wie sie berichtet.
Eldad Beck ist der einzige Angehörige von NS-Opfern in dem Film. Er ist jüdischer Journalist aus Israel und hat einen Teil seiner Familie in Auschwitz verloren. Gemeinsam mit Rainer Höß ist er dorthin gereist. Er ist dabei, als es zu der versöhnlichen Umarmung von Höß mit einem Holocaust-Überlebenden kommt. „Aber nicht jede Geschichte hat ein Happy End“, sagt er. [Özlem Yilmazer/fm]
Bildquelle:
- Inhalte_Fernsehen_Artikelbild: Destina - Fotolia.com