Konrad Adenauer gab ihm 1945 den Auftrag, den Menschen das Lachen zurückzugeben. Willy Millowitsch hat das getan – doch er persönlich war alles andere als ein geselliger Spaßvogel.
Nur ein einziger Einwohner Kölns hat schon zu Lebzeiten ein Denkmal bekommen: Willy Millowitsch. In Bronze gegossen sitzt er auf dem Willy-Millowitsch-Platz in der Innenstadt auf einer Bank. Und da der Platz neben ihm frei ist, kann man sich jederzeit zu ihm setzen. So wirkt der Komiker, der vor 25 Jahren (am 20. September 1999) starb, immer noch wie der nette Nachbar von nebenan. Dabei verbarg sich hinter der Maske des stets gut gelaunten Rheinländers ein völlig anderer, weit komplexerer Charakter.
Vater glaubte nicht an Willy Millowitsch
Der 1909 geborene Millowitsch stammte aus einer Familie von Mundart-Schauspielern. 1936 konnte sein Vater Peter erstmals eine feste Spielstätte anmieten, das spätere Millowitsch-Theater. Auch Sohn Willy wollte unbedingt auf die Bühne – doch sein Vater traute ihm das nicht zu.
Als er einmal für den erkrankten Vater einspringen durfte, schien die Reaktion des Publikums alle Vorbehalte zu bestätigen: Einige Zuschauer sprangen auf und verließen den Saal. Diese Erfahrung soll bleibende Spuren bei Millowitsch hinterlassen haben: Immer wieder brauchte er später den Applaus, um sich davon zu überzeugen, dass er jetzt wirklich geliebt wurde.
Die Wende kam mit dem Krieg. Der Familie bot sich die Möglichkeit, als Fronttheater der Wehrmacht hinterher zu ziehen. Da der Vater schon zu krank war, kam der vermeintlich untalentierte Willy zum Zug.
Bei zahllosen Vorstellungen im besetzten Belgien und in Frankreich machte er zwei entscheidende Erfahrungen: Anders als von seinem Vater behauptet, konnte er die Menschen durchaus zum Lachen bringen. Und das galt nicht nur für Kölner, sondern auch für Bayern, Friesen, Schlesier – er musste dafür nur die kölsche Mundart durch ein gemäßigtes Rheinisch ersetzen.
Der heiß geliebte Willy in der Kölner Trümmerlandschaft
1945 starb der alte Millowitsch, sodass Willy an die Spitze des Familienbetriebs aufrückte. Allerdings hatte das Theater kein Dach mehr. Doch nun geschah etwas Unerwartetes: Der wieder eingesetzte Oberbürgermeister Konrad Adenauer bestellte Millowitsch zu sich und verkündete: „Ich will, dat Se so bald wie möglich wieder Theater spielen können. Die Leute sollen wieder wat zu lachen haben.“ Das Material zum Wiederaufbau werde er bekommen, versprach ihm der spätere Bundeskanzler.
So wurde das Millowitsch-Theater das erste in Köln, das wieder öffnete. Der Regisseur und Intendant Jürgen Flimm, der in dieser Zeit in Köln aufwuchs, schilderte einmal, wie es war, als kleiner Junge die Kindervorstellungen zu erleben: wie man Willy hörte, noch bevor man ihn sehen konnte, weil seine heisere Stimme aus den Kulissen tönte. Und wie er dann – Rumms! – mit einem Mal auf der Bühne stand. „Mein heiß geliebter Willy! Die Augen rollen, die roten Haare zittern, die Zähne blitzen, das Lachen so unendlich ansteckend!“
Am Ende, als dieser Willy seinen Blick durch die Reihen der Zuschauer streifen ließ, hatte der kleine Jürgen das Gefühl, er würde nur ihn ansehen. So ging es vielen. Später sind sie vielleicht weggezogen an weit entfernte Orte, aber wenn sie dort einen anderen Kölner, eine andere Kölnerin trafen, reichten fünf Silben, und sie waren wieder zu Hause: Wil-ly-Mil-lo-witsch!
Erfolgreichster Volksschauspieler Deutschlands
So hat er das mit den Kölnern gemacht. Und so machte er es wenig später auch mit den Deutschen. Sehr früh erkannte er die große Zukunft des Fernsehens und rannte dem Rundfunk-Intendanten die Türen ein. 1953 wurde erstmals ein Schwank aus seinem Theater übertragen – so etwas hatte es nie zuvor in dem jungen Medium gegeben. Wieder war Millowitsch der Erste, und der Erste prägt sich ein. 1962 erzielte das Stück «Tante Jutta aus Kalkutta» eine Einschaltquote von 88 Prozent.
Nun war Millowitsch der bekannteste deutsche Volksschauspieler und die Verkörperung rheinischen Frohsinns. Der Erwartungshaltung seines Publikums war er sich so bewusst, dass er einmal, als er sich für eine Rolle seinen Schnurrbart abrasieren musste, einen künstlichen anfertigen ließ, den er sich nach der Vorstellung für den Heimweg anklebte: Autofahrer, die ihn unterwegs erkannten, sollten nicht irritiert sein.
Er war Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Für seine Familie hatte er wenig Zeit. Wenn die Kinder mittags aus der Schule kamen, hieß es: „Pscht! Papa schläft!“ Und dann war er auch schon wieder weg – ins Theater. Nur in den seltenen Momenten, in denen er keinen fremden Blicken ausgesetzt war, konnte er sich so geben, wie er war – und das war nun so gar nicht der Typ des geselligen Rheinländers.
„Für mich war er ein bisschen Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, hat seine Tochter, die Schauspielerin Mariele Millowitsch („Nikola“, „Marie Brand“) einmal gesagt. „Auf der Bühne Willy Millowitsch und zu Hause mein Vater. Die beiden hatten miteinander nicht viel zu tun.“
Elke Heidenreich, eine Freundin der Familie, beschrieb ihn als einen „sehr melancholischen, grantigen, oft sehr schlecht gelaunten Menschen. Ich hab‘ ihn nicht als Spaßmacher und ewig lustigen Vogel in Erinnerung, sondern als einen, der weiß, dass das Komische zwei Stunden auf der Bühne ist, und danach kommen die Nächte, wo man wach liegt und traurig ist und denkt: ‚Hab‘ ich wohl alles richtig gemacht?'“
Die letzten Jahre waren schwierig, weil er nicht loslassen konnte. So bestand er noch mit weit über 80 Jahren darauf, Auto zu fahren – bis er einen jungen Mann anfuhr und lebensgefährlich verletzte.
Auch im Theater gab er das Steuer nicht ab. Sein Sohn Peter, der ihn immer nur mit „Chef“ ansprach, nie mit „Papa“, sagte der Deutschen Presse-Agentur einmal: „Ich glaube, mein Vater hatte furchtbare Angst vor dem Tod. Und er wollte dem Tod erklären: ‚Ich bin unglaublich wichtig hier, du kannst mich nicht holen.'“
„Ich bin ene kölsche Jung“
Der Tod kam ein Dreivierteljahr nach den Feiern zu seinem 90. Geburtstag. Seit Konrad Adenauer hat Köln niemandem mehr ein solches Begräbnis ausgerichtet wie ihm. Ein unvergesslicher Moment war für viele, als am Ende des Requiems im Dom der mit Sonnenblumen geschmückte Sarg durch den Mittelgang getragen wurde.
Da erklang plötzlich das Lied, das man wie kein anderes mit ihm verband. Willys Lied. „Ich bin ene kölsche Jung, wat willste maache? Ich ben ene kölsche Jung und tu gern laache…“
Bildquelle:
- df-marie-brand-zdf: ZDF