Die Sex-Komödie „American Pie“ prägte eine ganze Generation. Heute sind einige Szenen schwer auszuhalten und doch erinnert man sich an sie. Ist Milde notwendig?
Der Apfelkuchen. Die Flöte „dieses eine Mal“ im Ferienlager. Und natürlich: „Stiflers Mom“. Wer nach Lektüre dieser Begriffe zugeben muss, dass ihm Bilder ins Bewusstsein rutschen, die er lange vergessen glaubte, der war vor 25 Jahren wohl jung – oder zumindest noch nicht ganz so alt. 1999, im Juli vor einem Vierteljahrhundert, lief die Teenie-Komödie „American Pie“ in den US-Kinos an und wurde schlagartig zu einem Phänomen. Einer dieser Filme, den irgendwann jeder auf dem Schulhof gesehen hatte.
Erinnerungswürdig ist das, weil man supererfolgreichen Filmen, die sich an ein Publikum wenden, das gerade dabei ist, erwachsen zu werden, doch einen gewissen Einfluss auf eben jenes Erwachsenwerden zusprechen kann. Und weil man sich als jemand, der damals dabei war, heute fragt: Wie konnte ich das so witzig finden? Und wie viel von „American Pie“ steckt noch in mir? Der ungebrochene Fan ergänzt an dieser Stelle: „Hihi – steckt!“
Denn in „American Pie“ ging es um Sex. Die damals noch relativ unbekannten Paul und Chris Weitz – Regisseur und Produzent – zeigten vier Jungs an der Highschool, die unbedingt mit Frauen schlafen wollen und einen großen Schmerz verspüren, dass dies noch nicht – so wie sie das definieren – geschehen ist. „Wir landen alle noch unberührt auf dem College, ist euch das klar?!“, gibt sich Jim (Jason Biggs) bei seinen Freunden alarmistisch. Der Jungs-Trupp schließt daher einen Pakt: Bis zum Abschlussball muss es passiert sein.
„American Pie“ war ein Ereignis
Die Plot klingt gar nicht mal so revolutionär und wurde auch entsprechend verrissen („billig gedrehte Teenager-Komödie mit krassem Fäkal- und Masturbationshumor“) – aber der Film war anders als vieles, was man kannte. „American Pie“ sticht aus dem Sumpf der zahlreichen Jungs-entdecken-ihren-Penis-Filme hervor, von denen er nicht wenige durch seinen Erfolg selbst provozierte. „American Pie“ war ein Ereignis.
„Ich war zu dieser Zeit nach Amerika gereist und hatte einen Freund gefragt, was ich mir auf jeden Fall mal anschauen sollte“, erinnert sich Joachim Friedmann, Professor für Serial Storytelling an der Internationalen Filmschule Köln ifs – und Zeitzeuge. „Und der sagte: ‚American Pie‘, das sei die Sensation gerade.“
Rein handwerklich betrachtet sei der Film auch heute noch sehr gut, sagt er. „Aus meiner Sicht war es eine der ersten Teenie-Komödien, die eine Multiperspektive eingenommen hat“, so Friedmann. Jeder im Freundeskreis hatte seinen eigenen Erzählstrang und seine eigenen Probleme. „Das ist sehr dominant. So dominant wie wir es heute aus Serien kennen.“ Hinzu kam der Sex. „Der Sex war derartig explizit, dass es nicht nur für Teenager faszinierend war“, sagt Friedmann. „So etwas hatte man in einer Komödie noch nicht gesehen.“ Und im Sexualkunde-Unterricht mit dem Bio-Lehrer auch nicht.
Der arme Apfelkuchen
Bei den Kopulationsbemühungen der Jungs-Clique reihte sich zudem extreme Peinlichkeit an extreme Peinlichkeit. Manchmal transportierte der Film dabei seltsame Botschaften, etwa, dass ein vorzeitiger Samenerguss das Schlimmste ist, was im Leben drohen kann. Manchmal wurden durch seine Grellheit aber auch all die Mikro-Verletzungen greifbarer, die man in der Pubertät durchlebt. Besonders hart trifft es im Film stets Jim, der von seinem Vater dabei überrascht wird, wie er den titelgebenden Apfelkuchen sexuell zweckentfremdet.
Die Antworten und Rollenbilder, die der Film seinem mutmaßlich sexuell noch mäandernden Teenager-Publikum präsentierte, wirken 25 Jahre und einige kluge Debatten später dennoch befremdlich. Die Austauschschülerin heimlich und ungefragt beim Umziehen filmen? Das halten fast alle sofort für eine Spitzenidee („Alles, was du brauchst ist eine Mikro-Kamera. Die koppelst du ans Internet an und sagst mir die Adresse!“). Heimliche Kultfigur des Films? Stifler, der selten fragt, sondern oft eher macht. Toxische Männlichkeit und was sie bedeutet, war damals noch nichts, über das man sich groß Gedanken machte. Die Frauenfiguren sind eher flach gezeichnet – entweder als mystische Heilige oder als verschrobene Phantome.
Die Rache der Film-Geschichte
„Das heteronormative, männliche, weiße Weltbild, das da drinsteckt – das würde man heute auch nicht mehr so machen“, sagt Film-Professor Friedmann. Wobei er auch sagt: „Die männlichen Figuren werden in dem Film alle bestraft, für das, was sie sexuell und emotional falsch machen.“ Selbst Stifler, der irgendwann seine Mutter – „Stiflers Mom“ – ausgerechnet mit jenem Typen antrifft, den er vorher gemobbt hat.
Von den Darstellerinnen und Darstellern machten danach vor allem die Frauen Karrieren – etwa Alyson Hannigan („How I Met Your Mother“) und Jennifer Coolidge („The White Lotus„). Die Männer – nunja. Womöglich war es die Rache der Film-Geschichte für einen eher dümmlichen Pakt.
Text: Jonas-Erik Schmidt/dpa
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