Lost City – Das Gesetz der Straße

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Lost City
© Lighthouse

Hinter dickem Stahlzaun weggeschlossen und in den Trümmern einer einstigen Stadt sich selbst überlassen, schlagen sich zwei Freunde irgendwie durch. Ihre Träume reichen über die dicken Stäbe des Zauns, der sie von einer besseren Zukunft trennt. Da macht ihnen einer der Gangsterbosse ein Angebot …

Melanie Rosentreter

Der gesamte Süden Italiens ist in einer gar nicht allzu fernen Zukunft nach einer Umweltkatastrophe zu einem toxischen Streifen Land verkommen. Abgeschirmt von meterhohem Stacheldraht regieren brutale Gangs auf den verlassenen Straßen der Geisterstädte und versetzen die ohnehin schon geschundenen Bewohner in Angst und Schrecken. Selbst die Polizei wagt sich nur noch selten in dieses Speergebiet. Um zu Überleben, haben sich die beiden befreundeten Waisen Pietro (Dennis Protopapa) und der unter Anfällen leidende Cristian (Giuliano Soprano) zusammengeschlossen, um sich als Fischer bei einem älteren Herrn zu verdingen, vor den im Hintergrund dampfenden Fabriken. Dieser hat sie zwar von der Straße geholt, doch wartet bei ihm nur ein entbehrungsreiches Leben auf die beiden. Ihr Traum ist die Flucht aus der Ruinenstadt Taranto, weit weg von diesem Höllenloch aus Dreck und Elend. Das Leben auf den Straßen ist nicht leicht und so ist die Freude groß, als eine der Gangs damit beginnt, sich für sie zu interessieren.

Freunde fürs Leben?

Szene aus Lost City
Bildquelle: © Lighthouse, P.Ciriello

Ohne zu Überlegen schließen sie sich einem charismatischen Bandenchef (Alessandro Borghi) an, der ihnen viel Geld verspricht und ihnen Hoffnung auf eine bessere Zukunft macht. Von ihm und seiner Gang werden sie trainiert und müssen hier und da zunächst kleinere Aufträge erledigen. Besonders Cristians große Klappe bringt sie immer wieder in Bedrängnis. Bei einem ihrer Ausflüchte in die „normale“ Welt lernen sie die junge Waise Sabrina (Ludovica Nasti) kennen. Diese schwört, ihr Geheimnis nicht zu verraten, da Leute aus dieser Region geächtet sind. Damit steht nun plötzlich auch noch ein hübsches Mädchen zwischen den beiden, die sich auch so schon voneinander entfernen. Während einer von ihnen nämlich schnell in der Hierarchie aufsteigt, bleibt dem anderen nur das Nachsehen. Eine harte Probe für die Freundschaft. Ihr Gangsterboss wird nicht umsonst von allen nur „Testacalda“, zu Deutsch Hitzkopf, genannt. Er steht ganz oben auf der Liste von Polizistin Katia (Barbara Ronchi), die gnadenlos Jagd auf ihn macht und bereit ist, dafür einige Regeln zu brechen. Für Cristian und Pietro scheint der Traum zu Entkommen im Feuer der Pistolen immer weiter davon zu driften. Werden sie es raus schaffen und zwar zusammen, oder sich im letzten Moment doch noch gegeneinander stellen?

Dystopische Zukunftsmalerei

Szene aus Lost City
Bildquelle: © Lighthouse, P.Ciriello

Der als Regisseur und Autor arbeitende Alessandro Celli hat auf nationaler wie internationaler Ebene bereits so einige Auszeichnungen einheimsen können. Unter anderem mit seinem Film „Uova“ (2007) und eben auch mit seinem ersten, noch nicht ganz ausbalancierten Spielfilm „Mondocane“, so der Originaltitel des vorliegenden Endzeitdramas. Celli versucht sich an einer düster-dystopischen Atmosphäre, indem er Süditalien in eine Umweltkatastrophe stürzt und die Bewohner mehr oder minder sich selbst überlässt. Das abgeschirmte Ghetto mit giftiger Note lebt von Gewalt und Desillusion. Somit braucht Celli auch nicht mit der Science-Fiction Keule zu schwingen, um eine düster-dreckige Zukunft abzuzeichnen. Keine lasergeschützten Festungen, keine fliegenden Autos, implantierte Chips, außer Rand und Band geratene Maschinen oder was sich ein Nerdherz sonst so ausdenken könnte. Stattdessen: dreckige Straßen, verseuchte Landzungen, eingefallene Gebäude, drohende Gewalt von allen Seiten und die Ärmsten der Armen, die damit klarkommen müssen. Gut gewählt ist an diesem Punkt das Element der Freundschaft zweier Kinder, welches durch den ganzen Film trägt und ihm damit von einem schlicht-schnöden Actionthriller wegholt. Hierfür hat Regisseur Celli die zwei Newcomer Giuliano Soprano und Dennis Protopapa vor die Kamera geholt, die ihre Sache durchaus gut machen. Ihre brüderliche Beziehung, die zwischen gesundem Kampfgeist und zerstörerischer Rivalität hin und her zu wanken droht, wirkt in jedem Fall glaubhaft. An ihre Seite gesellt sich noch das sogar hierzulande ein oder andere bekannte Gesicht. Allen voran Alessandro Borghi als unberechenbarer Boss der Gang, der manchem aus „Suburra“ (2015), „Acht Berge“ (2022) oder „Auf meiner Haut“ (2018) schon mal begegnet sein dürfte und einen überaus guten Job als Bösewicht ausübt. Genauso wie Josafat Vagni, der dem Großteil aus der international koproduzierten Serie „Borgia“ (2011-2014) bekannt sein dürfte.

Eingestaubt

Die Handlung steigt ohne weitere Erklärung ins Geschehen ein und ist unterdes gespickt von zeitweise langatmigen Passagen. Erst in der Mitte des Films wird die Ursache zumindest schemenhaft erklärt. Dass hier und da Schüsse fallen oder das ein oder andere Gebäude in Flammen steht, heißt nicht automatisch, dass es sich um einen Actionfilm handelt. Statt angekündigtem Endzeit-Thriller, die eher selten in der italienischen Filmproduktion vorkommen, präsentiert Alessandro Celli tatsächlich eher ein Drama um zwei Kinder und einer Zukunft für alle, die es zu verhindern gilt. So zeigt Celli die Jungen bei der Ausbildung innerhalb der mafiösen Strukturen und wie schnell die Abwärtsspirale trotz eigentlich guter Absichten sich zu drehen beginnt. Das passt auch ganz gut zu Alessandro Celli, der bisher eher für Jugendfilmproduktionen tätig war. So war er unter anderem auch für Disney bei der 15 Folgen umfassenden Abenteuer-Fantasy-Serie „Die Ritter von Castelcorvo“ (2020) als Regisseur tätig. Mit „Lost City – Das Gesetz der Straße“ bringt er seine bisherige Arbeit also auf eine neue Ebene und lädt Erwachsene in dieser Endzeitgeschichte ein, das Leben der Kinder durch ihre Augen zu sehen sowie das Elend, das ihnen droht. Insbesondere in Form der Gangs, die sich auf die Rekrutierung von Kindern spezialisiert zu haben scheinen. Im Kontrast dazu steht das schöne, „normale“ Leben mit all den Strandbars, teuren Gegenständen und glücklich unbesorgten Menschen auf der anderen Seite des Zauns. An dieser Stelle wären ausgefallene Elemente wie sie bei anderen dystopischen Endzeitfilmen wie u.a. bei der „Mad Max“-Reihe, „Die Bestimmung“ (2016) oder gar „Tank Girl“ (1995) zu finden sind, eher störend und zu abgespaced. Actionszenen spielen sich hauptsächlich im Kampf gegen die Polizei sowie gegen rivalisierende Gangs ab und fügen sich in die Gesamthandlung, als würde der erste Part von „Slumdog Millionär“ (2008) mit der Mafia-Serie „Gomorrha“ (2014) gekreuzt werden. Die schauspielerische Leistung aller Protagonisten, ganz gleich ob Newcomer oder alter Hase, liefert der Geschichte einen durchaus glaubwürdigen Nährboden. Technisch wurde sauber gearbeitet, indem die im Gelbspektrum angesiedelte Farbpalette an den Dreck auf der Haut bei Sonnenuntergang erinnert. Die Kostüme und die Kulisse wirken realistisch, wenn auch die Fabrik im Hintergrund an mancher Stelle reingesetzt wirkt. Ausschweifende Kamerawackler sorgen für die nötige Intensität, hätten allerdings ohne Probleme auch ruhiger ausfallen können. Die Vertonung in DTS-HD MA 5.1 ist grundsolide und ebenfalls in italienischer Originaltonspur zu erleben. Musikalisch wird sich während der Verfolgungs- und Actionszenen an einem futuristischen Klangerlebnis versucht.

Mit Unterstützung des Filmförderfonds des italienischen Kulturministeriums MiC und in Zusammenarbeit mit Cinecittà.

Bildquelle:

  • df-lost-city-blu-ray: Lighthouse
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