Südlich des Alpenhauptkamms Digitalradioprogramme aus Bayern zu empfangen, klingt unmöglich bis verrückt. Zumal die Berge schlicht zu hoch sind, als dass die Signale ihren Weg ins südliche Österreich finden könnten. Wir wurden eines Besseren belehrt.
Ausgangssituation
Aller Logik entsprechend waren auch wir in unserem Büro im osttiroler Lienz dieser Auffassung. Kein Wunder. Schließlich befinden wir uns in einem kleinen Talkessel der von über 2 500 bis 2 900 m hohen Bergen umgeben ist. Der ebenfalls nahe Alpenhauptkamm besteht in unserer Region aus über 30 Dreitausendern. Also klar, dass da nichts aus dem Norden rüberschwappen kann.
Ein Zufall?
Ende Juni stellten wir mit unserer Unterdach-Testantenne Dank der Spektrumsanzeige der Software Qirx fest, dass anscheinend auf DAB-Plus-Kanälen schwache Signale zu erkennen sind, wo hier eigentlich nichts sein kann und bislang auch noch nie etwas zu erahnen war. Und zwar auf Kanal 7A, 10A, 11D und gelegentlich auch auf 5C. Ein Kontrollblick zur Antenne verriet uns, dass sie anders als üblich nach Norden zeigte. Vermutlich war sie mal zufällig versehentlich worden.
Während der nächsten Tage beobachteten wir diese Frequenzen weiter. Und siehe da, ab und zu zeigte uns Qirx für einige Sekunden EId-Nummern an. Sie sind jedem DAB-Plus-Multiplex individuell zugeordnet und sind somit ein eindeutiges Identifikationszeichen. Anhand dessen gelang s uns auch, den Obberbayern/Schwaben-Mux, den landesweiten Kanal 11D des BR, den Voralpenmux und den ersten deutsche Bundesmux zu identifizieren.
Überreichweiten?
Der Sommer ist bekanntlich jene Zeit, in der immer wieder spannende Überreichweiten auftreten. Sie sind nicht von Dauer. Sie dauern mal zehn Minuten, mal einen halben Tag und sorgen für Empfänge, die vielleicht nur ein- oder zweimal im Jahr gelingen. Für uns war klar, diese Signale haben wir solchen Überreichweiten zu verdanken.
Doch wir beobachteten weiter und stellten fest, dass das Signal unabhängig von der Tageszeit immer da war. Allerdings auf extrem schwachem Niveau und stark schwankend.
Welchen Sender empfangen wir?
Der uns nächstgelegene bayerische Senderstandort wäre der Wendelstein. Selbstverständlich auf der anderen Seite der Alpen. Auf ihn richteten wir unsere 12-Element-Testantenne mit zwei in Serie nachgeschalteten Verstärkern, aus. Und siehe da, der Empfang wurde wirklich etwas besser. Gelegentlich kamen nun auch die Multiplex-Namen, so wie sie auch unsere Radios anzeigen, durch. Plötzlich stand da „1162 Obb/Schw“, „10A5 Bayern“ und so weiter. Ab und zu wurden für einige Sekunden sogar die Senderlisten der Multiplexe eingeblendet.
Beobachten und warten
Was uns aber noch fehlte, war die eindeutige Identifikation des Senderstandortes via TII-Nummer. Obwohl wir die bayerischen Signale täglich eindeutig anhand der EId-Nummer und so weiter nachweisen konnten, ließ die TII-Nummer bis Ende August auf sich warten. Immerhin wurde uns allmählich klar, dass es sich hier eigentlich nicht um klassische Überreichweiten handeln konnte. Zudem beobachteten wir, dass sich die Signale stets im selben Signalstärkespektrum bewegten.
Identifikation
Das ausharren hatte sich gelohnt. Bei Kanal 10A und 11D zeigte uns Qirx schließlich die TII-Daten 1 15, bei Kanal 7A 35 02 und beim Bundesmux 12 18 an. Hinter diesen Zahlen verbirgt sich der Herzogstand, der auf dem 1 627 m hohen Fahrenbergkopf steht. Dieser liegt nur 900 m vom namensgebenden Gipfel entfernt. Der Sender befindet sich zwischen Bad Tölz und Garmisch-Partenkirchen, beziehungsweise rund 37 km nördlich von Innsbruck. Von dem Standort werden tatsächlich alle vier empfangenen Multiplexe mit jeweils 5 kW ausgestrahlt. Was wiederum erklärt, weshalb sie bei uns in etwa gleich stark, oder besser gesagt, gleich schwach, ankommen. Denn Audioempfang war uns bislang nicht gegönnt.
Nachdem der Herzogstand etwa 60 km westlich des Wendelsteins liegt, haben wir unsere Testantenne etwas weiter nach Westen verdreht. Mit dem Erfolg, dass sich der Empfang spürbar verbesserte. Wobei wir immer noch von äußerst niedrigem Niveau sprechen. Immerhin werden seitdem die Senderlisten häufig vollständig eingelesen und immer wieder können wir zumindest jene Programme, die mit besserem Fehlerschutz ausgestrahlt werden, hören.
Der Weg über den Alpenhauptkamm
Sobald Qirx den TII-Code auswerten kann, zeigt in der eingearbeiteten OpenStreetMap-Karte nicht nur die Lage des empfangenen Senders an, sondern berechnet aufgrund des ebenfalls markierten Empfangsorts auch die Distanz zwischen beiden Orten. Bei unserem Bayern-Empfang attestiert uns die Software 142 km. Zudem verrät sie uns, dass es in rund 85 km Entfernung einen markanten Reflexionspunkt zu geben scheint, über den die Signale den Weg zu uns finden.
In unserem Fall kann es sich dabei nur um einen großen Berg handeln. Also suchen wir mit der Liniealfunktion von Google Earth und werden in 85 km tatsächlich fündig. Südlich von Innsbruck im Bereich des Hintertuxer Gletschers. Hier stoßen wir auf den Olperer, einem 3 476 m hohen Berg in den Zillertaler Alpen. Zoomt man in das Satellitenbild hinein, findet man eine nach Nordost zeigende Felswand.
Schnell eine Verbindung vom Sender zur besagten Felswand und von dieser zu uns gezeichnet. Und siehe da, soweit sich das über ein Satellitenbild sagen lässt, entspricht der Einfalls- gleich dem Ausfallswinkel. Reflexionen funktionieren schließlich nach demselben Prinzip wie ein Spiegel. Leuchtet man zum Beispiel von links in ihn rein, wird der Lichtstrahl zur rechten Seite reflektiert werden. Damit kommen die bayerischen Radiosignale vom 1 627 m hohen Herzogstand, nicht nur über eine Ecke zu uns. Sie überwinden irgendwo in 3 400 m Höhe den Alpenhauptkamm und nehmen den Weg zu uns weiter, ohne dabei wesentliche weitere Hindernisse überqueren zu müssen, indem sie in etwa dem Verlauf einiger Täler folgen.
Dauerhafter Fastempfang
Inzwischen ist der September ins Land gezogen und wir konnten die bayerischen Multiplexe nun schon seit einigen Monaten jeden Tag beobachten. Womit wir davon ausgehen können, dass es sich dabei doch um etwas Dauerhaftes handeln muss. Dafür spricht auch, dass wir immer nur die Signale eines einzigen Senderstandorts einfangen konnten.
Anspruchsvoll
Eines hat uns diese Erfahrung gelehrt. Es ist nicht unmöglich, dass Funksignale ihren Weg über die Alpen finden. Es gehört aber auch etwas Glück und eine Portion Zufall dazu. Für Otto Normalverbraucher eignet sich, zumindest unser Empfang im Herzen Osttirols, nicht. Diese schwachen Restsignale schreien nach mindestens einer großen Dachantenne und sehr guten Verstärkern. Dann ist es nicht ausgeschlossen, zumindest die Kanäle 7A, 10A und 11D so stark zu bekommen, dass sie, wohl knapp über der Grasnarbe annähernd dauerhaft spielen könnten. Beim bundesweiten deutschen Multiplex schätzen wir die Chancen dafür geringer ein. Aber all das ist vorerst nicht mehr, als eine Vermutung.
Nachtrag
Entdeckt hatten wir diese Signale 2019. Daraufhin wurde eine Zwillingsantenne über Dach mit rauscharmem Verstärker aufgebaut. Die Signale sind tatsächlich ständig da. Mal etwas stärker, mal auch ziemlich schwach und insgesamt auf sehr niedrigem Niveau. Aber oft können wir damit tatsächlich DAB+ aus Bayern direkt empfangen.
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