Digitalradio bietet im Vergleich zur analogen Verbreitung eine Menge Vorteile. Trotzdem hat es der neue Standard DAB Plus noch schwer, sich durchzusetzen. Im Interview mit Deutschlandradio-Intendant Dr. Willi Steul sprach DIGITAL FERNSEHEN über die aktuelle Situation von DAB Plus, die Vorteile gegenüber Internetradio und die Pläne zur UKW-Abschaltung.
Was macht DAB Plus so besonders, und was verhinderte den Durchbruch von DAB?
Willi Steul: Bei DAB Plus wird ein modernes und effizienteres Toncodierungsverfahren verwendet, so dass die Übertragungskosten pro Programm halbiert werden können. Es können also doppelt so viele Programme wie bei dem klassischen DAB-System in einem Multiplex übertragen werden. Das sind etwa 12 bis 15 Programme pro Multiplex.
Was bisher den Durchbruch von DAB verhinderte, ist sehr vielschichtig: Zunächst gab es keine leistungsstarken Frequenzen, um eine portable Indoor-Versorgung zu realisieren. Erst jetzt stehen mit der Abschaltung des analogen terrestrischen Fernsehens genügend leistungsstarke Frequenzen für Digitalradio zur Verfügung, um eine hohe Versorgungsqualität zu realisieren und erst jetzt kann dem Hörer mit DAB Plus eine hohe Programmvielfalt geboten werden, bei der sich auch vielfältige Zusatzdienste realisieren lassen. Es kommt ein Faktor hinzu, der auch noch jetzt in der Phase mit DAB Plus eine Rolle spielt, dass nämlich sowohl kommerzielle wie auch öffentlich-rechtliche Anbieter von Programmen über ausreichend UKW-Frequenzen verfügen. Deren Betrieb ist zwar wesentlich teurer, ein Umstieg auf die digitale Ausstrahlung bedingt jedoch parallelen Aufwand auf unbestimmte Zeit. Dabei herrscht noch immer Unsicherheit, ob sich die digitale Ausstrahlung durchsetzt. Hier sind auch politische Entscheidungen gefordert, die im föderalen deutschen System kompliziert sind.
Neben Deutschlandradio, das nur mit der digitalen Ausstrahlung seinen Auftrag auf bundesweite Abdeckung erfüllen kann und dem in Sachen Digitalradio schon immer besonders engagierten Bayerischen Rundfunk BR, haben sich nun aber auch die Landesrundfunkanstalten der ARD gemeinsam mit uns auf eine Digitalstrategie verständigt und der Netzaufbau kommt voran. Auch der MDR z.B. kann wegen der UKW-Frequenzknappheit seine Programme nicht im gesamten Gebiet hörbar machen, weshalb auch der MDR sich stark für DAB Plus einsetzt. Wir sind nun auch mit kommerziellen Programm-Anbietern zusammen auf einem insgesamt erfreulich guten Weg. Auch verstärkt zusammen mit der EBU und unseren europäischen Nachbarn.
Immer mehr Hersteller veröffentlichen passende Empfänger für DAB Plus. Haben Sie mit einer derart hohen Resonanz gerechnet?
Steul: Ich muss zugeben: ganz so schnell nicht. Unsere Liste umfasst derzeit bereits 300 unterschiedliche Digitalradio-Empfangsgeräte für den deutschen Markt und es kommen ständig neue hinzu. Mittlerweile gibt es recht preiswerte Digitalradio-Geräte, viele besitzen bereits ein Farbdisplay für Visual Radio (Radio mit Bildern), also ein breites Spektrum ganz unterschiedlicher Geräte für den portablen Empfang im Haus. Dazu kommen Autoradios oder Einheiten für den nachträglichen Einbau von Digitalradio im Auto. Auch wurden bereits Navigationsgeräte eines großen Anbieters mit Digitalradioempfang angekündigt, mit denen insbesondere detaillierte Verkehrsinformationen, die bereits heute über Digitalradio übertragen werden, für eine bessere Routenbestimmung bei Verkehrsstaus genutzt werden können. Zudem gibt es bereits Multimedia-Tablet-PCs mit eingebautem DAB-Empfangsteil. Diese Vielfalt ist erfreulich, aber sicherlich auch notwendig in unserer modernen multimedialen Medienwelt. Auf diese Vielfalt wird sich nun auch der Handel einrichten müssen, wir sehen dort positive Resonanzen.
Gibt es technologisch bedingte Einschränkungen beim Empfang, z.B. innerhalb der Wohnung oder beim Autofahren mit hoher Geschwindigkeit?
Steul: Der Digitalradiostandard wurde von Anfang an so ausgelegt, dass der Empfang beim Autofahren mit sehr hoher Geschwindigkeit gewährleistet bleibt. Also auch auf deutschen Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. Technologisch bedingte Einschränkungen gibt es immer. Beim Autofahren ist es die Qualität der Antenne. Auch für den portablen Indoor-Empfang in Wohnungen ist die Empfangsqualität eines Gerätes von entscheidender Bedeutung. Dass es hier Streuungen gibt, ist ganz natürlich.
Grundsätzlich kann man jedoch sagen, dass das DAB-Plus-System ein sehr robustes System ist und ein sehr großes Potenzial bietet, was die Empfangbarkeit in schwierigen Situationen angeht, wie kaum ein anderes System. Auch die Empfangstechnik selbst lässt Herstellern einen Spielraum für die Realisierung von qualitativ sehr hochwertigen Empfangsgeräten.
Der Vorteil der DAB-Plus-Technik ist, dass grundsätzlich für den Hörfunk eine geringere Datenrate benötigt wird und deswegen ein störungssicheres Modulationsverfahren verwendet werden kann. Für eine Flächenversorgung und eine mobile Empfangbarkeit ist diese Robustheit, wie sie DAB Plus bietet, jedoch absolut erforderlich.
Wie hoch ist aktuell die Netzabdeckung und welches Niveau wird für die kommenden 12 Monate angestrebt?
Steul: Die aktuelle Netzabdeckung mit dem bundesweiten Multiplex – daneben befinden sich ja auch regionale Multiplexe im Aufbau – erreichte im Januar 2013 eine Flächenversorgung für mobilen Empfang von 50,1 Prozent. Das bedeutet, dass damit statistisch 68 % der Einwohner mit mobilem Digitalradio erreicht werden. Das derzeitige Sendernetz umfasst 46 Senderstandorte, verteilt über ganz Deutschland.
Bei der Betrachtung von portablem Empfang Indoor, also innerhalb von Häusern, wird derzeit eine Flächenversorgung von 28,1 % erreicht. Das entspricht einer Bevölkerung von etwa 53 %. Für die nächsten Monate haben wir bereits sechs weitere zusätzliche Sender für den bundesweiten Multiplex geplant. Dies sind die Standorte Geislingen, um die Autobahn zwischen Stuttgart und Ulm zu versorgen, dann der Bereich um Würzburg, der Sender Wendelstein, Chemnitz, Minden und Gelnhausen an der Schnittstellen zwischen Bayern und Hessen.
Durch diese sechs Sender wird die bundesweite mobile Versorgung noch einmal um 5 % erhöht, wir werden dann Mitte des Jahres bereits 73 % der Bevölkerung erreichen können. Beim portablen Indoor-Empfang sind die Zuwächse etwas kleiner, nämlich ein Plus von etwa 3,6 % der Fläche und erreicht werden dann rund 56 % der Bevölkerung.
Über weitere zusätzliche Standorte im Jahre 2013 müssen sich die Vertragspartner Deutschlandradio für das bundesweite Programmbouquet, Netzbetreiber Media Broadcast und die privaten Programmanbieter noch verständigen. Aber diese Gespräche laufen bereits.
Ein flächendeckender Ausbau soll dann Ende 2015 erreicht sein. Allerdings gibt es ja neben dem bundesweiten Angebot auch die regionalen Programme der ARD und den privaten Hörfunk. Insgesamt sind damit schon heute in rund 80 Prozent der Fläche Deutschlands Digitalradioprogramme mit einem guten digitalen Autoradio mobil empfangbar. Eine genaue Empfangsprognose gibt es im Internet unter www.digitalradio.de.
Welche Bedeutung nimmt DAB Plus in einer immer stärker vernetzten Welt ein? Wird DAB Plus überflüssig, sobald WLAN-Netze überall verfügbar sind?
Steul: Zeigen Sie mir das WLAN-Netz, das auf allen Straßen über Land, Feld und Wald empfangbar sein wird – und zwar stabil! Nein. Digitalradio wird in der immer stärker vernetzten Welt einen ganz wichtigen Beitrag bei der Flächenversorgung leisten. Das Ziel ist es, eine quasi 100%ige Flächenversorgung mit digitalem Radio, mit Verkehrsdaten und mit vielfältigen digitalen Informationen für die mobile und portable Nutzung sicherzustellen. Und das auch für den Stau auf einer Landstraße oder den Bauer auf dem Feld. Radio ist ein Massenmedium, was überall auch in Zukunft flächendeckend verfügbar sein muss. Dass zu Hause oder auch in Ballungsgebieten noch zusätzlich WLAN‑Netze verfügbar sind, ist eine sinnvolle Ergänzung, aber es kann das digitale Radio mit all seinen Möglichkeiten, multimediale Dienste in der Fläche zu verbreiten, nicht und in keiner Weise vollständig ersetzen.
Ein Rundfunkübertragungssystem ist für ein Massenmedium wie Radio sowohl was den Aufwand für die Infrastruktur, als auch was die Energiebilanz angeht, immer effizienter als viele Individualkanäle über WLAN oder Mobilfunk.
Wann wird der verrauschte UKW-Empfang endgültig durch das digitale Radio abgelöst bzw. wann werden die digitalen Empfänger die analogen Geräte überholt haben?
Steul: Unser Ziel ist, den Umstieg in die digitale Welt so schnell wie möglich zu vollziehen. Was beim Fernsehen gelungen ist, muss auch beim Radio gelingen.
Andere Länder sind da schneller, Dänemark will ab 2017 ausschließlich digital verbreiten, Norwegen 2019 und Großbritannien will die Entscheidung in diesem Jahr fällen. Wir müssen aber realistisch bleiben. Insgesamt dürften zwischen 250 und 300 Mio Radios vorhanden sein. Wenn ab heute nur noch Digitalradios statt analoger Radiogeräte verkauft würden, nämlich 7 Mio. Geräte pro Jahr in ganz Deutschland, so würde es 12 Jahre dauern, bis im Schnitt jeder Einwohner der Bundesrepublik Deutschland ein digitales Radiogerät hätte, er besitzt aber mehrere. Wir gehen jedoch davon aus, dass der Abverkauf von Digitalradiogeräten mittelfristig deutlich schneller stattfinden wird, als der reine Ersatz von analogen Radiogeräten. Auch die Nachrüstung bei Automobilen wird sich beschleunigen.
Aber was wir aus dieser Rechnung lernen sollten ist, dass es sich heute definitiv nicht mehr lohnt, ein reines analoges Radiogerät zu kaufen. Die Programmvielfalt bei Digitalradio ist heute schon an manchen Empfangsorten wesentlich größer als die des analogen Radios und außerdem werden wir den Netzausbau immer weiter voran bringen, so dass Sie mit dem Kauf von Digitalradio immer auf der besseren, auf der zukunftssicheren Seite sind. Digitalradio, das Radio der Zukunft.
Vielen Dank für das Gespräch.[Maria Hollwitz/hjv]
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