Die erste Radiosendung war 1923 zu hören. Seitdem hat sich das Radio als Massenmedium behauptet und sieht nun seinem 90 jährigen Bestehen entgegen. Der Medienwissenschaftler Wolfgang Mühl-Bennighausen der Humboldt-Universität Berlin äußerte sich zu diesem Anlass im Interview.
Am 29. Oktober 1923 wurde Geschichte geschrieben: Vor 90 Jahren wurde die erste offizielle Radiosendung in Deutschland vom Berliner Vox-Haus aus gesendet. Nach einem schwierigen Start während der Inflation in der Weimarer Republik benutzte die NSDAP das neue Massenmedium für ihre Propaganda. Wie wichtig das Radio zukünftig bleibt und auf welche Weise das Internet das Medium heute schon verändert, erklärt Medienwissenschaftler Wolfgang Mühl-Benninghaus von der Humboldt-Universität Berlin im Interview.
Herr Mühl-Bennighaus, wie reagierten die Zeitgenossen vor 90 Jahren auf das neue Medium?
Wolfgang Mühl-Bennighaus: Die Kosten für die ersten Rundfunkgeräte und auch die Gebühren waren sehr hoch. Das konnte sich kaum jemand leisten. Die Angst, dass der Rundfunk in falsche Hände geraten und es Anti-Staatspropaganda geben könnte, war dabei bis zum Ende der Weimarer Republik immer gegenwärtig. Man ging von einem beeinflussbaren Publikum aus, so dass man glaubte, über das Radio wieder eine Revolution auslösen zu können. Die frühen Inhalte der Sendungen orientierten sich vor allem an der sogenannten Hochkultur, während massenattraktive Programme die Ausnahme bildeten.
Wie kam es dann zum Durchbruch?
Mühl-Bennighaus: Die Geräte waren ja so teuer, weil Hersteller Telefunken ein wichtiges Patent hielt und dementsprechend einen Aufschlag forderte. 1932, als das Patent dann ausgelaufen war, gab es dann die ersten Überlegungen für einen Volksempfänger, der dann ja auch relativ kurz nach dem Antritt der Nazis produziert worden ist, und einen großen Teil der Bevölkerung vor das Radio geholt hat.
Wie wird der Hörfunk heute genutzt?
Mühl-Bennighaus: Radio ist ein „Nebenbei-Medium“. Das heißt, man wird geweckt mit dem Radio, man steht auf und rasiert sich mit dem Radio, frühstückt mit den Kindern und nebenbei läuft das Radio. Im Auto läuft es auch. In den Morgenstunden wird Hörfunk heute am häufigsten gehört.
Das Internet bildet eine starke Konkurrenz für den Print-Journalismus. Hilft oder schadet das Netz dem Radio?
Mühl-Bennighaus: Die Bindung des Hörers an das Radio wird durch das Internet gestärkt. Beliebte Moderatoren werden auf den Seiten der Sender vorgestellt und unterschiedlichste Aktionen durchgeführt – auch im direkten Bezug zu den gehörten Sendungen. Wir haben vor allem nach 2000 eine ganz enge Verbindung zwischen Internet und den Radiostationen. Radio ist eben nicht mehr nur der klassische UKW-Empfänger, wie wir ihn bis in die 90er Jahre kannten. Heute ist es ein Medium, dass auf den unterschiedlichsten Plattformen abrufbar ist.
Ist die Zukunft nicht aber auch durch Musikstreaming-Angebote wie Spotify oder Napster gefährdet, bei denen Nutzer zeitlich unabhängig hören, was sie wollen?
Mühl-Bennighaus: Das ist völlig richtig, aber Spotify setzt voraus, dass Sie genau wissen, was Sie jetzt hören wollen. Im Radio bekommen Sie, ohne dass Sie irgendetwas tun müssen, die Musikrichtung, für die sie sich erwärmen können. Und das was Spotify eben nicht bringt, sind Servicedienste wie Nachrichten. Insofern glaube ich, dass das Radio mit diesem Mix an Wort- und Musikunterhaltung und an Serviceprodukten wichtig bleiben wird.
Vielen Dank für das Gespräch.[Benno Schwinghammer/sho]
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