Walter Bingham floh während des 2. Weltkriegs aus Karlsruhe nach Großbritannien, kämpfte in der britischen Armee gegen die Nazis und hält mit 94 Jahren den Guinness-Weltrekord als ältester Radio-Talker. Seinen Lebensabend verbringt der jüdische Journalist in Israel.
Knapp eine Stunde Radioprogramm stellt Walter Bingham pro Woche zusammen. Er reist auch mal zu einem Religions-Kongress nach Kasachstan, führt Interviews über Archäologie oder äußert sich kritisch über das Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen (UNRWA). Der gebürtige Karlsruher hält damit den Guinness-Weltrekord als ältester Radio-Talkshow-Gastgeber – mit 94 Jahren.
„Ich brauche Druck, ich muss gefordert sein“, sagt Bingham – weißer Bart, kariertes Hemd, graue Hose – in seiner Wohnung in einem Hochhaus im Zentrum Jerusalems. Er berichtet auf Englisch für das rechtsreligiöse Nachrichtenportal Arutz Sheva als Podcast im Internet. Seine Show ist aber unter anderem auch bei dem australisch-jüdischen Radiosender J-Air Radio in Melbourne zu hören, wie er erzählt.
Seine Themen wählt er dabei selbst aus. Er erzählt auch Geschichten aus der Tora, einem Teil der Bibel, und bindet Musik ins Programm ein. „Man schreibt mir nicht vor, was ich zu tun habe“, sagt Bingham auf Deutsch. „Ich weiß selbst, wie weit ich gehen kann. Ich hatte noch nie Beschwerden.“ Seine politische Meinung deckt sich mit der seines israelischen Arbeitgebers – und großen Teilen der Bevölkerung. Einen palästinensischen Staat lehnt Bingham grundsätzlich ab und verweist auf Sicherheitsbedenken.
Bingham wurde als Wolfgang Billig 1924 in Karlsruhe geboren. Als die Nazis an die Macht kamen, wurde das Leben der jüdisch-polnischen Familie immer schwieriger. Die Mutter schickte den Jungen schließlich mit einem der Kindertransporte nach Großbritannien – so wie 10 000 meist jüdische Kinder aus Deutschland, Österreich, Polen und der Tschechoslowakei. Sein Vater überlebte den Krieg nicht.
Rund ein Jahr vor Kriegsende ging Bingham zur britischen Armee und kämpfte in der Normandie gegen deutsche Truppen, wie Bingham erzählt. Nach Kriegsende habe er für den Geheimdienst auch den ehemaligen NS-Außenminister Joachim von Ribbentrop befragt. Was er von der Judenverfolgung wusste?, habe er ihn gefragt. „‚Ich wusste davon nichts, das war der Führer‘, sagt er und schaut mir in die Augen“, erzählt Bingham. „Der war der Erste, der bei den Nürnberger Prozessen gehängt wurde.“
Nach seiner Zeit bei der Armee schlug sich Bingham in London durch, bekam mit seiner Frau eine Tochter. Erst mit Mitte, Ende 40 sei er zum Radio gekommen. Er fing beim Privatradio an, nahm die Anrufe für Talkshows entgegen. „Dann sahen die, dass ich ein bisschen Grips habe“, sagt er. Er wechselte ans Mikrofon, schrieb später auch für eine jüdische Zeitung in London.
Mit Mitte 60 studierte er noch Politik und politische Philosophie in London. „Es hat mich immer gestört, dass ich keine gute Schulausbildung hatte“, sagt Bingham. Nebenher spielte der Mann mit dem markanten Bart auch noch meist kleine Rollen in Filmen, wie etwa einen Zauberer in zwei der „Harry Potter“-Filme. Er warb als Weihnachtsmann beim Luxuskaufhaus Harrods oder als extravagantes Männermodell in Magazinen.
Als Bingham 2004 14 Jahre nach dem Tod seiner Frau nach Israel auswanderte, berichtete er über den bürokratischen Prozess bereits für Arutz Sheva. Danach blieb er bei dem Sender, fuhr zur Produktion einmal in der Woche in die israelische Siedlung Bet El im besetzten Westjordanland. Heute macht er seine Beiträge in seinem kleinen Studio zu Hause fertig: Einsprechen, Aufnehmen, Schneiden, alles selbst. Mit Elan hantiert er dabei an Mischpult, Computer und Mikrofonen herum.
Das „Guinness-Buch“ hat Binghams Weltrekord im Mai 2018 gewürdigt, wie ein Sprecher bestätigt. Doch Walter Bingham will mehr. Er hat sich bereits für den nächsten Rekord beworben, wie er sagt: ältester Journalist der Welt. [Stefanie Järkel]
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