Köln – Der Anteil der digitalen Fernsehhaushalte nimmt stetig zu. Von Ende 2003 bis Ende 2005 hat sich die Zahl der digitalisierten Kabel-TV-Haushalte in Deutschland von 1,9 Millionen auf 3,5 Millionen (9,7 Prozent) erhöht.
Als einen Schlüssel zur Migration von analogen Kabelkunden in die digitalen Netze nannte Prof. Dr. Torsten J. Gerpott (Universität Duisburg) auf der 11. EUROFORUM-Jahrestagung „Die Zukunft der Kabel-TV-Netze“ den digitalen Receiver. Ein deutliches digitales Wachstum könne ebenso durch die Verbreitung von DVB-T und digitaler Satellitenreceiver festgemacht werden. Der Vormarsch von DVB-T habe den Kabelnetzbetreibern dabei einen neuen Konkurrenten beschert.
Da sich der Kabel-TV-Markt weiterhin nur sehr langsam entwickle, betonte Prof. Gerpott vor den rund 130 Teilnehmern die Notwendigkeit von digitalen Zusatzdiensten, um Kunden zu generieren und zu halten. Der Anteil von klassischen Rundfunkdiensten sei in Deutschland nach wie vor sehr hoch, der größte in Europa. Als eine Möglichkeit von Zusatzdiensten nannte Gerpott den Einstieg in das Bezahl-Fernsehen. KDG und Ish versuchten sich hier bereits durchzusetzen. Durch das attraktive Free-TV sei es aber nicht einfach, in Deutschland digitale Pay-TV-Sender anzubieten, räumte der Experte ein. Auf Dauer könnten auch die privaten Sender die Digitaliserung nicht aufhalten. Dass private Fernsehsender durchaus zum Umdenken bereit sind, zeigte auch das am Morgen im Handelsblatt veröffentlichte Interview mit RTL-Vorstandschef Gerhard Zeiler. Er kündigte einen Strategiewechsel der RTL-Group in Sachen Bezahl-TV an: „Nicht alle Sender können allein mit Werbung bezahlt werden. Deshalb werden wir Sender gründen, für die die Zuschauer auch eine Gebühr zahlen.“ (Handelsblatt, 21.02.2005).
Der Markt für die Kabelnetzbetreiber wird nach Ansicht von Prof. Gerpott auch durch Fernsehdienste via Internet zunehmend schwieriger. Da die Bandbreiten hier immer attraktiver würden, könnte im Film-Bereich eine ähnliche Situation wie mit Napster im Musik-Geschäft entstehen. Eine Bedrohung durch Pay-TV-Pakete über DSL sähe er dagegen mittelfristig nicht, da die Leistungen von DSL dazu einfach noch nicht stark genug seien.
Große Potenziale für das Kabel sieht Prof Gerpott weiterhin im Breitband-Internet und in der Telefonie. Zwar hätten schon 17 Prozent der Haushalte einen DSL-Anschluss, aber es gäbe ja noch 83 Prozent zu verteilen. Da die Erfahrungen im europäischen Ausland zeigten, dass starke DSL-Länder auch starke Kabel-Länder seien, müsse die Branche hier ihre Chancen nutzen. In der Telefonie sieht Gerpott eine starkes Kundenbindungsinstrument. Außer Kabel BW hätten sich die Netzbetreiber hier aber sehr zurückgehalten. Abschließend stellte er fest, dass sich die Digitalisierung in Deutschland von den Netzbetreibern nur durch das schnelle Internet und durch weitere Pay-TV-Sender durchsetzen lasse.
Den Siegeszug der Digitaliserung in deutschen Wohnzimmern bestätigte auch Prof. Dr. Klaus Goldhammer (Goldmedia GmbH). Er prognostizierte, dass bis 2010 rund 47 Prozent der Haushalte digitale Programme empfangen und sehen werden. Vorangetrieben würde dieser Boom jedoch durch den Satellit. Im Breitband-Wettbewerb läge das Kabel in Deutschland weit hinter DSL zurück, ebenso im Angebot vom Zusatzdiensten. Insgesamt habe sich das Kabel im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich entwickelt.
Optionen für Kabel und Digitalisierung sieht auch Goldhammer im Digital-TV. Bis 2010 würden 2000 neue Spartenkanäle in Westeuropa erwartet. Der Sparten-TV-Markt wachse jedes Jahr um rund 100 Kanäle. Auch hier läge Deutschland weit zurück, obwohl hier große Potenziale für die Netzbetreiber auszuschöpfen seien. Der Berater zeigte auf, dass allein in Großbritannien 280 Programme angeboten würden. 40 davon seien allein Teleshopping-Kanäle. Der Teleshopping-Markt sei in Deutschland völlig unterentwickelt. Goldhammer verwies weiter auf eine Studie, aus der hervorgeht, dass Nutzer die heute schon Sparten-Kanäle schauen, gerne ein noch größeres Angebot nutzen würden. Individuelle Interessen ließen sich durch Sparten-Kanale wesentlich besser nutzen und darum seien mit solchen Angeboten erhebliche Zuwächse zu erwarten.
Rund 70 Prozent der Bevölkerung wisse gar nicht, was digitales Fernsehen überhaupt sei, stellte Goldhammer weiter fest: „Wir reden an der Bevölkerung vorbei.“ Als eine Ursache für das fehlende Bewußtsein der Bevölkerung für die Vorteile eines digitalen Kabels nannte er das Fehlen eines einheitlichen Brandings und eines einheitlichen Pricings: „Hier könnte sich das Kabel besser organisieren. Es gibt keine Marke und Marketing. Darum wissen die Zuschauer auch nicht, was Ihnen die Digitalisierung geben könnte“, sagte er. Das die Branche dieses Manko durchaus erkannt hat, machte Rüttger Keienburg vom Deutschen Kabelverband deutlich: „Wir brauchen eine gemeinsame Marke. Der Kunde muss verstehen, was das Kabel alles kann.“ Die Kabelbetreiber müßten sich einheitlich als Kommunikationsdienstleister ins Bewußtsein der Menschen bringen. Dazu sei es notwendig, dass alle gemeinsam an einem besseren Image des Kabels arbeiteten. Keienburg zeigte sich auch optimistisch, dass es schon bald eine Einigung zwischen den TV-Sendern und den Betreibern in Bezug auf die Rechte für digitale Inhalte gebe. Damit würde das digitale Kabel noch attraktiver für den Kunden gemacht werden.
Ein weiteres Problem der Kabelbetreiber, so Prof. Goldhammer weiter, sei die falsche Vorstellungen von der Zielgruppe. So würde zum einen die Gruppe junger Männer zwischen 18 und 34 Jahren überschätzt. Diese Gruppe nutze das Fernsehen stärker für Videospiele – auch interaktive – als zum Empfang von TV-Programmen. Vernachlässigt würde vor allem die Zielgruppe von Frauen über 40. Besonders Teleshopping würde von diesen Frauen genutzt. Je nach Sender machten schon heute Frauen rund 40 Prozent der Zuschauer aus. Auch im Spiele-Bereich würden Frauen stark unterschätzt. Hardcore-Spieler seien zwar zu 95 Prozent Männer, Casual-Gamer seien dagegen überwiegend Frauen im mittleren Alter. Weitere Potenziale ergeben sich für Prof. Goldhammer auch durch Call Media. Immer mehr Sender würden sich schon heute weniger über Werbung als über die Zuschauer selbst finanzieren. Im großen Stil funktioniere bereits heute schon die Interaktion mit Hilfe des Telefons. Zwar sagen noch 60 Prozent, sie würden Call-In-Möglichkeiten nicht nutzen. Aber auch hier zeigt sich, dass Frauen über 40 die typischen Call-Media-Nutzer sind. Die Bündelung der im Kabel möglichen Dienste seien entscheidend für den zukünftigen Erfolg der Netzbetreiber.
Wie erfolgreich eine solche Bündelung von Diensten sein, machte auch Marco Quinter (cablecom GmbH) am Erfolgsmodell des schweizerischen Kabelbetreibers cablecom deutlich. Durch Innovation und Wettbewerb habe cablecom gegenüber dem alten Monopolisten swisscom einen echten Infrastrukturwettbewerb geschaffen. Heute habe cablecom bereits 1,6 Millionen Kunden. Entscheidend für diesen Erfolg seien die langfristigen Investionen von 3 Milliarden Euro in den Netzausbau gewesen. So habe sich cablecom als Monopolbrecher etablieren können. Der Wettbewerb sei vor allem durch Innovationen vorangetrieben worden. In der Schweiz habe man die höchste Kabelpenetration (90 Prozent) in Europa erreicht. cablecom bediene mit seinen Partnern bereits 74 Prozent der Kunden. Als Erfolgsfaktor für diese Entwicklung nannte Quinter das Triple Play. Die gute Infrastruktur erlaube es, alle Kommunikationsinteressen der Kunden bedienen zu können.
Aus Sicht des in ganz Europa tätigen Kabeloperators UPC erläuterte Lorenz Glatz, (UPC Telekabel Wien GmbH) die Bedeutung des weiteren technischen Ausbaus der Netze. Die große Bandbreite des Kabels sei der Schlüssel für den weiteren Erfolg. Zukünftige Techniken wie HD-TV könne DSL nicht anbieten. Als Kabeloperator habe man darum HDTV voranzutreiben. Die technischen Herausforderungen seien allerdings enorm.
Die Besonderheiten des französischen Kabel- und Satelliten-Marktes stellte Jacques Raynaud (EUROSPORT S.A.) vor. Er betonte, dass sich dieser Markt in Frankreich als PAY-TV-Markt verstehe. Ein großer Unterschied zu Deutschland bestehe darin, dass das TV per ADSL in Frankreich auf dem Vormarsch sei. Hier werde der Wettbewerb noch stärker. DVB-T sei derzeit in Frankreich noch kein Thema. Aus Sendersicht befürwortete Raynaud, dass digitale Angebote in Frankreich nur Pay-Angebote seien. Hier gäbe es viele neue Möglichkeiten für Paket-Angebote und Preisgestaltung. Bei richtiger Produktpolitik könnte die Digitaliserung auch für Sender ein Erfolg werden.
Ein Vergleich zwischen den Kabel-Märkten in Österreich und Deutschland zogen der Medienexperte Werner Lauff und Karl Pachner (ORF Österreichischer Rundfunk). Pachner verwies darauf, dass Österreich immer noch sehr stark terrestrisch geprägt sei. Die Digitalisierung würde hier stark durch den Satelliten bestimmt. Die digitale Terrestrik sei in dem Alpenland erst in einer Testphase. Eine Erfolgsstory für die österreichischen Netzbetreiber sei aber das Internet geworden. Das Breitwandgeschäft würde stark von den Kabelbetreibern dominiert. Hier sei es von Vorteil gewesen, dass die Betreiber schon früh kostengünstige Angebote gemacht hätten. Eine Gefahr durch TV über IP sieht Pachner allerdings nicht, da die Telekom hier die Bandbreiten nicht entsprechend erhöhen könnte. Unterentwickelt sei in Österreich die Telefonie über IP. Die Preise im Festnetz und im Mobilbereich seien dafür aber auch zu attraktiv.
In Österreich sei durch die frühen Investionen in das Netz relativ viel erreicht worden. Dadurch konnten die Kundenbeziehungen vertieft werden, obwohl der Kabelkunde in Österreich höhere Preise zu zahlen hat als in Deutschland. In Bezug auf den deutschen Markt stellte Pachner fest, dass der Markt hier wesentlich robuster sei, als oft gedacht. Seiner Ansicht nach sei in Deutschland zuviel Kraft für Fusionen etc. vergeudet und dabei die Kunden und deren Bedürfnisse aus den Augen verloren worden.
Die Entwicklungen und Strategien der großen Kabelnetzbetreiber zur weiteren Digitalisierung stellten Dr. Margot Schohmann (Kabel Deutschland GmbH, KDG), Nakul Dewan (ish GmbH & Co. KG) und Axel Dürr (Kabel BW)vor. KDG und ish betreiben bereits eigene Digital-TV-Pakete und zeigten sich zufrieden mit den ersten Erfolgen. So vermarktet Kabel Deutschland seit dem Herbst 2004 das Paket Kabel Digital Home mit 31 TV- und 47 Audio. Bis heute konnte Kabel Deutschland insgesamt 200.000 Abonnenten für seine digitalen Angebote generieren. Schohmann betonte die Möglichkeiten, die durch das Digital-TV für das Kabel bestehen: „Digitale TV-Produkte haben einen nachweisbaren positiven Effekt auf die Entwicklung der Kundenbasis“, stellte sie fest.
Premiere decke bereits den hochpreisigen Premium-Bereich ab, es fehle aber ein breites und preisattraktives Familienpaket. Mit Digital Home habe die KDG diese Lücke geschlossen. Mit diesem digitalen Programmpaket könne Vielfalt und Qualität angeboten und so die Zuschauerinteressen besser befriedigt werden. Dazu brauche man allerdings starke Partner und starke internationale Marken – wie zum Beispiel Playboy oder Disney. Wichtig sei darüber hinaus auch der Preis, der nicht über 10 Euro liegen dürfe.
Um die Digitalisierung weiter voranzubringen, möchte KDG auch einen offenen Gerätemarkt beschleunigen. Darum habe sich die KDG auch aus der Boxenfrage herausgenommen. Die Zertifizierung solle von denHerstellern selbst vorgenommen werden und nicht vonden Kabelnetzbetreibern. Auch mit Blick auf das hochauflösende Fernsehen, HDTV, sei die weitere Digitalisierung unabdingbar, führte Schohmann weiter aus.
HDTV ist auch ein Thema von ish. Ish setzt bei seinem digitalen Angeboten stark auf Fremdsprachenkanäle und auf ein a-la-carte Angebot. Ish bietet keine Pakete an, sondern der Kunde kann selbst seine Spartenkanäle wählen. Diese Strategie würde bei ish derzeit diskutiert, so dass es auch hier bald neben a-la-carte auch Programm-Pakete geben könnte. Nakul Dewan betonte auch die Bedeutung eines eigenständigen Pay-per-View-Angebotes. Diese Angebote würden stark durch das Marketing genutzt und seien häufig der Einstieg ins digitale Fernsehen.
Kabel BW setzt dagegen weniger auf eigene Digital-TV-Pakete, sondern versteht sich als eine offene Plattform für alle Anbieter von digitalen Programminhalten. Axel Dürr betonte, wie wichtig es sei, bei den Technologien führend zu sein, um eine große Dienstevielfalt mit viel Free-TV, Digital Pay-TV, Telefonie und Internet auch in Zukunft anbieten zu können. Ebenso gelte es die Interaktivität und HDTV weiter voranzutreiben. HDTV ist für Dürr die Fernsehnorm der Zukunft. Dazu müßten die Netze aber auf 862 MHz ausgebaut werden.
Als wichtiges Instrument zur Kundenbindung betonte Dürr auch die Bedeutung der Telefonie. Bereits über 80 Prozent der Kabel-Internet-Kunden würden auch über das Kabel telefonieren.
Die Sicht eines Produzenten auf die Digitalisierung des Fernsehens, beschrieb Martin Hoffmann, Vorstandschef der Me, Myself & Eye Entertainment AG (MME). In Bezug auf die Rechtfragen für die Vermarktung von TV-Formaten im digitalen Bereich stellte er Forderung an den Gesetzgeber. Dieser möge regeln, dass die Rechte für Sendungen, die an die TV-Sender verkauft würden, nach einer gewissen Zeit wieder an die Produzenten zurückfallen würden. So könnten auch die Produzenten ihre Inhalte dem digitalen Fernsehen zur Verfügung stellen. [fp]
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