Auf der IFA 2012 präsentierte die Deutsche TV-Plattform (DTVP) den Abschlussbericht des DVB-T2-Projektes Nord. Dabei wurden auch mehrere Szenarien für die Einführung des neuen Übertragungstandards dargestellt. Im Interwiew mit DIGITALFERNSEHEN.de spricht Dr. Ulrich Liebenow von der DTVP über die Möglichkeiten von DVB-T2 und gibt sich optimistisch, was eine baldige Einführung des Standards anbelangt.
Die neu gegründete Arbeitsgruppe Infrastruktur der Deutschen TV-Plattform steht seit 20. August unter Leitung von Dr. Ulrich Liebenow, Betriebsdirektor des MDR. Eines ihrer Schwerpunktthemen ist neben der Förderung der digitalen Kabelnutzung, der TV-Verbreitung über das Internet und dem störungsfreien Miteinander von Rundfunk und Mobilfunk auch die Zukunft der Fernsehterrestrik. Was dazu nötig ist, erläutert Dr. Liebenow als AG-Leiter und Vorstandsmitglied der TV-Plattform.
Herr Liebenow, worin sehen Sie die größten Vorteile des Übertragungsstandards DVB-T2 gegenüber dem Standard DVB-T?
Dr. Ulrich Liebenow: Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Nachfolgestandard für das digital-terrestrische Fernsehen ist in der Frequenznutzung deutlich effizienter und insgesamt leistungsfähiger als DVB-T. Das ist keine Labor-Theorie, sondern im DVB-T2-Projekt Norddeutschland, dessen Abschlussbericht uns bei der IFA übergeben wurde, praktisch bewiesen worden. Ohne auf Details und Parameter einzugehen, steht fest: HDTV über Antenne geht in Deutschland sinnvollerweise nur mittels DVB-T2. Und ein modernes „ÜberallFernsehen“ ist für Zuschauer nur mit Programmvielfalt und als hochauflösendes Fernsehen attraktiv – auch im Vergleich zu den anderen TV-Empfangswegen Satellit, Kabel und IPTV.
Die Umstellung der terrestrischen Fernsehübertragung auf DVB-T ist in Deutschland seit Ende 2008 abgeschlossen. Jetzt steht mit DVB-T2 bereits schon der Nachfolgestandard in den Startlöchern, der in einigen Staaten sogar bereits eingeführt wurde. Rechnen Sie generell damit, dass sich DVB-T2 beim deutschen Zuschauer durchsetzen kann?
Dr. Liebenow: Da bin ich mir ziemlich sicher, wenn man die Nutzung und Beliebtheit von DVB-T in Deutschland sieht. Besonders in Ballungsräumen mit mehr als zwei Dutzend Programmen kommt die digitale TV-Terrestrik auf über 20 Prozent Marktanteil über alle stationären Empfangswege. Nimmt man den mobilen und portablen TV-Empfang, ist die Antenne schlicht DER Königsweg. Bemerkenswert ist, dass parallel die internetbasierte Videonutzung auf mobilen und portablen Endgeräten ansteigt. Dieser Trend ergänzt die Rundfunkverbreitung auf ideale Weise, er wird DVB-T2 aber gerade in Hinblick auf stark nachgefragte Inhalte nicht überflüssig machen. Entscheidend für die Akzeptanz einer weiterentwickelten Terrestrik durch die Zuschauer ist, welche Inhalte darüber angeboten werden.
Für wann halten sie eine flächendeckende Einführung von DVB-T2 in Deutschland für realistisch?
Dr. Liebenow: Ob die Einführung komplett flächendeckend oder schrittweise in Ballungsräumen erfolgt, ist noch offen – ebenso wie die Frage, wie schnell bzw. mit wie viel Simulcast von DVB-T und DVB-T2 das gelingt. Ich gehe davon aus, dass wir uns als AG Infrastruktur der Deutschen TV-Plattform zeitnah zu einem möglichen Umstiegszenario äußern werden. Diese zeitliche Notwendigkeit ergibt sich daraus, dass ein Teil der bisherigen DVB-T-Vereinbarungen Ende 2014 auslaufen und aus der Tatsache, dass die Zukunft der Fernsehfrequenzen derzeit diskutiert wird. Ein von allen Markteilnehmern getragenes Konzept gibt Investitions- und Planungssicherheit sowie nötigen Vorlauf für technische Umrüstungen. Und zwar für alle Beteiligten: Programmveranstalter, Sendenetzbetreiber, Geräteindustrie und Verbraucher.
Die meisten Empfangsgeräte am hiesigen Markt sind nicht für den Empfangvon DVB-T2 ausgerüstet. Sehen Sie in der geringen Verbreitung vongeeigneter Empfangstechnik ein Hindernis für eine zeitnahe Einführungdes Standards?
Dr. Liebenow: Klar ist, dass mit DVB-T2-Technik auch DVB-T empfangenwerden kann, aber nicht umgekehrt. Gerätetechnisch darf man Deutschlandaber nicht isoliert betrachten: Weil in etlichen Ländern der moderneDigital-TV-Standard bereits eingeführt ist, gibt es schon MillionenDVB-T2-Empfangsgeräte zu akzeptablen Preisen im Markt. Sowohl was dieSende- und die Empfangstechnik für DVB-T2 wie auch die Gerätepreisebetrifft – beides ist kein Hindernis für eine schnelle Einführung inDeutschland.
Sehen Sie die Gefahr, dass sich bei den Verbrauchern nach der Umstellung auf DVB-T in den vergangenen Jahren eine gewisse Innovationsmüdigkeit einstellen könnte? Schließlich müssten diese für den neuen Übertragungsstandard ihrerseits in neue Empfangstechnik investieren.
Dr. Liebenow: Innovationsmüdigkeit bei Verbrauchern stellt sich nur ein, wenn das Angebot nicht attraktiv genug ist. Die Gefahr ist bei DVB-T2 vermeidbar, wenn alle an einem Strang ziehen. Sobald sich alle Marktpartner zu einem gemeinsamen Vorgehen positioniert haben, besteht ausreichend Zeit, auch über den Ersatz von Altgeräten quasi automatisch die Voraussetzungen zum Empfang von DVB-T2 zu schaffen. Da unterscheidet sich die zweite Generation von Digitalstandards bei der Terrestrik nicht von denen bei Satellit oder Kabel. Und wer nachrüsten möchte, sollte auf eine breite Endgerätepalette (z.B. Set-top-Boxen und USB-Sticks) in allen Preisklassen zurückgreifen können. Förderlich wird es zudem sein, wenn der Markt ebenso Lösungen für die neue Generation der mobilen/portablen Endgeräte, also Smartphones und Tablet-Computer, anbieten kann. Ich bin sicher, dass die Einführung gelingen wird, wenn der Nutzer vom Gesamtangebot überzeugt ist.
Die privaten Programmanbieter bemängeln beim digitalen terrestrischen Fernsehen den hohen finanziellen Aufwand bei vergleichsweise geringer Reichweite, im Vergleich zu Satellit und Kabel. Glauben Sie, dass das terrestrische Fernsehen mit einer Umstellung auf DVB-T2 für diese Programmanbieter an Attraktivität gewinnen könnte?
Dr. Liebenow: Das mit dem Glauben ist so eine Sache – Wissen und Fakten sind da bessere Argumente. Und Kosten-Nutzen-Rechnungen stellen nicht nur kommerzielle Sender, sondern auch öffentlich-rechtliche Programmveranstalter an. Sie sind gehalten, mit den Gebührengeldern verantwortungsbewusst umzugehen – auch was die Verbreitung von TV-Signalen betrifft.
Die Kunst beim DVB-T2-Umstieg in Deutschland wird darin bestehen, für alle Programmveranstalter Anreize zu schaffen, sich zu beteiligen. Gemeinsam müssen wir daher in Kooperation mit den Sendenetzbetreibern, der Geräteindustrie und der Medienpolitik die Attraktivität der digitalen Fernsehterrestrik für die Verbraucher erhalten und möglichst steigern. Hilfreich wäre eine konzertierte Aktion, die zu ähnlichen Erfolgen wie zuletzt beim Satelliten-TV-Umstieg führen könnte. Wir als Deutsche TV-Plattform und speziell als AG Infrastruktur sind dazu ein geeignetes Forum.
Vielen Dank für das Gespräch![ps]
Bildquelle:
- Empfang_DVB-T_Artikelbild: © JuergenL - Fotolia.com