„Vaiana 2“: Bei Disney herrscht kreative Flaute

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Vaiana mit einem Paddel
Foto: The Walt Disney Company Germany

Disney setzt seinen animierten Erfolgshit fort: „Vaiana 2“ ist jedoch so ermüdend wie eine CD mit seichtem Meeresrauschen.

„Besser kann es wirklich nicht sein“, singen Vaiana und ihre Weggefährten auf offener See. Zu diesem Zeitpunkt haben sie ihre Heimat hinter sich gelassen, um in das nächste Abenteuer zu segeln. Doch der Songtext könnte kaum eine größere Lüge sein. „Vaiana 2“ ist einer dieser Animationsfilme, die einem permanent gute Laune, permanent das große Gefühl vorgaukeln, um ihre eigene kreative Einfallslosigkeit zu übertünchen. Nun ist es keine große Neuigkeit, dass Disney in den vergangenen Jahren erhebliche künstlerische Durststrecken an den Tag gelegt hat, von Lichtblicken wie der „Eiskönigin“, „Zoomania“ oder einigen Titeln von Searchlight und 20th Century Studios abgesehen.

Nicht nur, aber insbesondere im animierten Segment setzt der Konzern schon länger auf Recycling, Zweit- und Drittverwertung. Frühere Erfolge werden fortgesetzt, Klassiker schablonenhaft neu verfilmt. Wobei Klassiker ein zu großes Wort ist. Selbst jüngere Filme wie „Vaiana“ von 2016 sollen ein Realfilm-Remake bekommen. Parallel dazu wollte man den animierten Stoff als Serie bei Disney+ weitererzählen. Bis man sich umentschied und aus besagter Serie kurzerhand diesen nun veröffentlichten Film entwickelte. Man quetscht also die Geschichte um die polynesische Häuptlingstochter weiter aus, auch wenn es gar nichts nennenswert Neues zu zeigen gibt.

Vaiana im Sonnenuntergang
Vaiana im Inselparadies. Foto: © 2024 Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved.

Aus einer Disney+ Serie wird ein Kinofilm

„Vaiana 2“ versprüht mit seinen kunterbunten Farben und Aufnahmen einer exotischen Schönwetterwelt zumindest reichlich Sommerfeeling in der kühlen Jahreszeit. Der Familienfilm stellt darüber hinaus die Gebräuche der traditionell lebenden Inselbewohner einmal mehr neben allerlei Naturkitsch, lebende Wellen, konkurrierende Götterwesen und fabulöse Meeresgestalten. Manche Kritiker, die den Film schon vor Kinostart sehen konnten, haben in ihren Texten und Videos die Animationen, die Bildgewalt gelobt. So ganz will sich dieses Versprechen nicht einlösen. Ja, es gibt imposante Szenen in diesem Film. Etwa wenn sich eine Insel aus dem Nebeldunst herausschält und sich als riesiges Maul eines Ungeheuers entpuppt. Die maritime Odyssee von Vaiana birgt so manche Gefahr.

Deren Animation an sich ist jedoch ziemlich dürftig und einfallslos geraten. Die Bilder bergen selten Wundersames oder Überraschendes. Faszinierend ist allein ihre plastische Technik, die Haare, nasses Holz oder saftig grüne Blätter im Dschungel mal wieder verblüffend nah an einen Realismus heranbewegt. Computer-Animationen sind das also, die mangels Fantasie nur noch die Realität nachahmen können.

Der Halbgott Maui in "Vaiana 2"
Maui kehrt zurück. Foto: © 2024 Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved.

Darum geht es in „Vaiana 2“

Was wartet am Ende dieser Irrfahrt, hat man die flache Dramaturgie, die aufgewärmten Gags (ein schreiendes Huhn, missglückte Verwandlungen, ein süßes Schweinchen) und die schnell vergessenen Musical-Nummern überstanden? Spannung kann es nicht sein. Dafür ist der Film viel zu wiederkäuend, langatmig und klischeehaft erzählt. Vaiana zieht aus, weil sie das Ende ihrer Zivilisation fürchtet. Eine Vision hat sie ereilt. Ohne fremde Hilfe, ohne eine Zusammenarbeit mit anderen Völkern können ihre Lieben nicht überleben. Also will sie mit ihren Begleitern und dem Halbgott Maui das versunkene „Motufetu“ bergen, das die Menschen und Inseln wieder untereinander und vor allem mit dem Ozean vereinen soll. Einem fiesen Gewittergott will man so das Handwerk legen und einen alten Fluch brechen.

Will man den Film positiv auslegen, könnte man sagen: „Vaiana 2“ erzählt von einem Wiederentdecken und einem symbolträchtigen Bergen des Universalismus. Ein jeder erkennt sich im anderen und weiß um den Wert der natürlichen Ressourcen. Man versteht, dass man als Menschheit nur in Kooperation sowie mit geteilten Rechten bestehen und eine Zukunft gestalten kann. Es geht darum, Verbindungslinien freizulegen, die hier mit allerlei mystischem Hokuspokus aufbereitet werden. Kritischer könnte man sagen: „Vaiana 2“ entpuppt sich dabei auch als grundlegend reaktionäres Werk.

Vaiana und ihr Vater am Strand
Vaiana und ihr Vater am Strand Foto: © 2024 Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved.

Das Bergen einer versunkenen Insel

Altes, verschüttetes Wissen kann nicht schaden, gewiss. Es ist notwendig! Insofern passt die Message dieses Films in eine geschichtsvergessene Zeit. Doch seine wohlwollende Botschaft schmeckt ebenso säuerlich, weil sie die Vorfahren, die immer wieder geehrt werden und als Geister spuken, dermaßen überhöht und verklärt, dass sie sich nahezu sklavisch in deren Dienste stellt. Fast so, als sei der Kontakt zu den Ahnen ein Wert an sich. Würde man ihn auf gewisse Gesellschaften der Welt übertragen, ließe sich damit höchst verachtenswerte Politik betreiben! „Vaiana 2“ ist ein zutiefst nostalgischer Film, der sich nach einer Aussöhnung mit der Vergangenheit und zugleich nach deren Wiedergeburt sehnt, um der gegenwärtigen gesellschaftlichen Struktur stützend unter die Arme zu greifen.

Die Philosophin Barbara Cassin beschreibt Heimweh und Sehnsucht als Ausdrücke von Nostalgie. Beides führt dieser Film vor. „Vaiana“ sehnt sich unaufhaltsam nach ihrer Familie, nach einer Heimkehr zu ihrer kleinen Schwester. Zugleich träumen die Figuren von einer neu zusammengesetzten, natürlichen und naturverbundenen Identität. Da ist etwas entzweit worden, das als zivilisatorisches Projekt wieder repariert werden soll. Die Trümmer und Relikte von einst weisen den Weg. Hier ist das zunächst ein altes Tongefäß und bald darauf schalten sich himmlische Sphären ein. Auch andere Gesellschaften sollen herausfinden, wer sie „wirklich sind“. Das Heute will man heimatlich an ein Gestern koppeln, um eine gekappte Bindung zwischen Mensch und Natur, zwischen Mensch und Mensch und zwischen Mensch und kultischer Tradition wiederherzustellen.

Vaianas Familie
Heim zur Familie. Foto: © 2024 Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved.

„Vaiana“ zeigt die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit

Anders ausgedrückt heißt das also: „Vaiana 2“ fantasiert von einer Rückbesinnung auf eine kulturelle Authentizität und Ganzheit. All das kommt mit der Heimkehr der Titelheldin zur Vollendung. Es handelt sich um verunsicherte Hirngespinste als Kontrast zu einer pluralistischen Gegenwart. Insofern zeigt „Vaiana“ in seinen traditionellen Praktiken eine naiv kindliche Utopie, bei der Skepsis geboten ist. Mechanismen der Geschichtsschreibung, mit denen sich auch Barbara Cassin in ihrem „Nostalgie“-Essay befasst, stehen hier etwa überhaupt nicht zur Debatte. Es geht nur noch darum, das Gespenstische, angeblich Vorherbestimmte in eine Realität zu überführen, das des Nachts im Traum erscheint. Es manifestiert sich sogar als Tattoo unter der eigenen Haut. Das Beziehen auf irgendwelche ominösen Wurzeln, auch in einem religiösen Sinn, spielte schon in Teil 1 eine zentrale Rolle. Im zweiten Teil wird es nun exzessiv wiederholt. Und die Ahnen werden, wie es im finalen Song heißt, auf ewig besungen.

Vielleicht würde etwas mehr kritische Reflexion diesem Inselparadies gut zu Gesicht stehen! Aber mit solch trüben Gedanken will Disney sein Publikum nicht belästigen. Also bleibt es bei kleinen Schlaglichtern. Hier soll die folkloristische Welt noch heile sein. Hier singt das Völkchen schon am Anfang glückselig darüber, dass es wächst und werkelt und sich fröhlich weiter ausbreitet. „In Rente zu gehen, wär‘ gescheiter“, singt ein greiser Herr bei der beschwerlichen körperlichen Arbeit. Aber natürlich ist das nur ein Gag, denn Tüchtigsein, Anpacken heißt die Devise. Vielleicht singen und tanzen auch in Deutschland bald Konservative, wenn sie mal wieder überlegen, das Rentenalter auf 70 anzuheben.

„Vaiana 2“ läuft seit dem 28. November 2024 in den deutschen Kinos. Der erste Teil ist auf DVD und Blu-ray sowie im Streaming-Abo bei Disney+ verfügbar.

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