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„Promis unter Palmen“ bleibt ein kalkulierter Skandal. Die ersten neuen Episoden zeigen, was von Anti-Mobbing-Schwüren und sonstigen Gelöbnissen zu halten ist.
Beides erscheint rückwirkend ermüdend. Sowohl die Empörung über „Promis unter Palmen“ als auch die Antworten von Sat.1 darauf. Erst das Rausekeln von Claudia Obert aus Staffel 1 durch die anderen Kandidaten. Dann ein Homophobie-Eklat in Staffel 2 und rückwirkend entschärfte Szenen. Dann das vorzeitige Serien-Aus nach dem Tod von Willi Herren. Was an vermeintlichen Handgreiflichkeiten und Alkohol-Exzessen in der Staffel, von denen hier und dort zu lesen war, wirklich dran ist, wird man vermutlich nie erfahren. Schließlich folgte die scheinheilige Lossagung.
Sat.1 twitterte 2021 noch „Wir sind überzeugt: Gutes Reality-TV ist hervorragende Fernsehunterhaltung. Aber ‚Promis unter Palmen‘ passt nicht mehr zu uns. Veränderung braucht Zeit. Wir versuchen aus Fehlern zu lernen. Wir versprechen. Hier bleiben wir nicht stehen, sondern lassen unseren Worten weitere Taten folgen.“ Zu den weiteren Taten gehörte offenbar vor allem das Abwarten, bis Gras über die Sache gewachsen ist und man das alte Konzept neu aufwärmen kann. Und aus dem Ende wurde lediglich eine längere Pause. Denn bekanntlich ist „Promis unter Palmen“ mittlerweile zurück im TV und macht dort weiter, wo die bisherigen Staffeln aufgehört haben.
Enthemmung im Trash-Fernsehen
Der Zeitpunkt für ein Comeback schien reif, schließlich haben sich die Grenzen des Sag- und Zeigbaren im Reality-TV zuletzt ohnehin verschoben. Das „Sommerhaus der Stars“ von RTL etwa gleicht mittlerweile einem Dauergebrüll. In den vergangenen Staffeln spuckten sich Leute an, wurden handgreiflich, mobbten sich in Grund und Boden oder fuchtelten sogar zu übelsten Beleidigungen mit einem Messer vor anderen herum. Dagegen wirken die Bösartigkeiten, die Carina Spack, Bastian Yotta und Co. damals Claudia Obert bei „Promis unter Palmen“ an den Kopf warfen, fast zurückhaltend.
Das Problem bei derlei Szenen war selten eine fehlende Einordnung seitens der Produktion, nach der viele Menschen riefen. Man kann einem Publikum zumuten, derlei Abartigkeiten als sozial unverträglich zu begreifen. Viel interessanter ist doch: Die Eskalation gehört zum festen Erfolgsmodell von Reality-Formaten, will man in dem Überangebot auf dem TV- und Streaming-Markt überhaupt auf sich aufmerksam machen. Eine Ellenbogengesellschaft soll ihr überzeichnetes Spiegelbild zu sehen bekommen, um sich selbst ein wenig erhabener zu fühlen. Das Problem ist überdies, dass derlei Szenen für fast niemanden ernsthafte Konsequenzen haben. Warum sollte man sich auch seiner Markenidentität entledigen?
Ein Großteil der Beteiligten an derlei Eskalationen wird munter von Format zu Format gereicht, weil Schock, Provokation und niederstes Verhalten natürlich zum Konzept gehören und für Gesprächsstoff sorgen, auch bei „Promis unter Palmen“. Notfalls nimmt Olivia Jones beim „Promi Büßen“, noch so ein bigottes Format, die Beichte ab und schon kann es weitergehen. Das abwechselnde öffentliche Grenzüberschreiten und anschließende Reinwaschen ist heute feste Routine im Reality-Zirkus.
„Promis unter Palmen“ macht in gewohntem Stil weiter
Dementsprechend wäre es verlogen, würde man nun ein gänzlich neues „Promis unter Palmen“ erwarten. Und ein Blick auf die ersten beiden Episoden der neuen Staffel bestätigt diesen Eindruck (hier unsere Quotenanalyse von Folge 1 und Folge 2). Das Format gibt seinem Publikum die volle Dröhnung Trash: Sex, Intrigen, Slapstick, nackte Haut, Boulevard-Geschichten, Rosenkrieg, Ekelspiele, Alkohol und heftige Streitereien. Und das in einer Dichte und Schlagzahl und einer treibenden Montage, die tatsächlich vielen anderen Sendungen überlegen ist. Davon abgesehen, dass „Promis unter Palmen“ weiterhin ein treffsicheres Händchen beweist, die möglichst extremsten Kandidaten anderer Shows auszumustern und in einen Topf zu werfen. Nur: Was sich hier zwischendurch immer wieder abspielt, ist dennoch so stillos, so weit unter der Gürtellinie, dass durchaus tief blicken lässt, warum ein größerer Aufschrei inzwischen ausbleibt.
Dass „Promis unter Palmen“ kaum noch zur großen Empörungswelle taugt, hat einerseits damit zu tun, dass dieser Show ein Momentum fehlt, wie es noch bei Staffel 1 inmitten der Corona-Pandemie gegeben war. Es geht einfach unter zwischen Dschungelcamp, „Let’s Dance“, „Big Brother“, „Germany’s Next Topmodel“ und all den anderen Shows, bei denen kaum noch ein Überblick zu behalten ist. Es liegt andererseits daran, dass sich in derlei Formaten eine immense Enthemmung in den vergangenen Jahren abgezeichnet hat. Die „Immer lauter, immer krasser“-Logik macht gerade vor dem Trash nicht Halt, wo sich so viele Formate gegenseitig kannibalisieren. Und es liegt auch am Stil, in dem „Promis unter Palmen“ seine Szenen mittlerweile auf das Publikum einprasseln lässt.
Entmenschlichung zur Primetime
„Promis unter Palmen“ hat bislang Abgründe ausgereizt und macht damit nahtlos weiter. Schon der Auftakt von Staffel 3 zeigte erbitterte Auseinandersetzungen, Gehässigkeiten und Entgleisungen, zuvorderst zwischen Lisha Savage, Kim Virgina und Janina Youssefian. In Folge 2 dann die kalkulierte Eskalation: Iris Klein trifft auf ihre Erzfeindin Yvonne Woelke, die ihr den Ehemann ausgespannt haben soll. Es fallen Wörter wie „Dreckschlampe“. Ein Tisch mit Gläsern wird umgeworfen, um das Gegenüber zu besudeln. Iris Klein wirft eine gerade gerauchte Zigarette nach Woelke. Und andere stimmen fröhlich in das Schreikonzert mit ein.
Profis, Inszenierung, Selbstdarstellung, gewiss, aber mitunter derart niederträchtig und entmenschlichend, dass man mit Sorge auf die noch verbleibenden Episoden blicken kann. Im Schnitt werden solche Momente nicht weiter entwickelt oder thematisiert. Es geht schnell über zum nächsten grellen Reiz: Küssen und Fummeln am Traumstrand. Claudia Obert, wie sie betrunken das nächste Meme in die Kamera säuselt. Alles steht gleichförmig nebeneinander. Als würde man schlicht darauf setzen, dass sich derlei Ereignisse versenden in einer Show, welche sich nunmehr wie ein TikTok-Feed anfühlt, der das ganze Potpourri an Skurrilitäten und Emotionen knapp gebündelt auf die Netzhaut schießt.
Medial geistert gerade ein „Bild“-Zitat von Sat.1-Sendersprecher Christoph Körfer umher: „Wer mobbt, fliegt! Und zwar sofort.“ Nun, nach den ersten beiden Episoden von „Promis unter Palmen“ erscheint die Mobbing-Definition doch allzu fragwürdig und rätselhaft. Interessant so oder so, welche Grenzen also noch überschritten werden müssten, bis die Produktion eingreift?
„Promis unter Palmen“ läuft immer montags um 20.15 Uhr bei Sat.1 und jeweils schon eine Woche vor Ausstrahlung bei Joyn.
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