Hugh Jackman spielt in „The Son“ einen Vater, der verzweifelt versucht, seinem depressiven Sohn eine Stütze zu sein.
Zu Beginn von Florian Zellers neuem Film klopft es an der Tür: Laura Dern, die Mutter, hat eine schlechte Nachricht für Hugh Jackman, den Vater. Ihr gemeinsamer Sohn, gespielt von Zen McGrath, hat Probleme in der Schule und im Privaten. Die Trennung seiner Eltern hat er anscheinend nicht verkraftet, Vergangenes schwelt noch im Raum. Jetzt zieht er bei Hugh Jackmans Figur und dessen neuer Familie ein, wo schon bald die Gefühle überkochen.
Nach dem Demenzdrama „The Father“ folgt nun das Depressionsdrama „The Son“. Wieder hat Regisseur Zeller dabei eines seiner eigenen Theaterstücke für die große Leinwand adaptiert. Es ist der zweite Teil einer Trilogie, die sich rund um familiäre Schicksalsschläge dreht. Zugegeben: Das Resultat ist dieses Mal formal weit weniger aufregend gelungen als der radikalere „The Father“. Dieser hatte für sein Porträt eines schleichenden Gedächtnisverlustes eine unzuverlässige, höchst subjektive Erzählform verschwimmender Identitäten und Räume entworfen. Sein Nachfolger präsentiert sich nun weitgehend als beobachtendes, dialoglastiges Kammerspiel.
Florian Zeller verfilmt mit „The Son“ sein Theaterstück
In „The Son“ bleibt dem Sprung von der Theaterbühne in den Kinosaal zuvorderst die filmische Nahaufnahme all der prominenten Gesichter, die hier allesamt ihre ganz eigene Oscar-Bewerbungsszene spendiert bekommen, während sie in hübschen Designer-Interieurs ihre privaten Krisen zur Schau stellen. Schwülstig streicht die Musik von Hans Zimmer dazu im Hintergrund. Das Melodram traut sich selbst kaum über den Weg, muss jede Regung überzeichnen, um seinem Publikum ein Mitgefühl zu entlocken.
Jede Emotion muss da klanglich erfahren werden: Einmal verlangsamen sich die Bilder eines ausgelassenen Tanzes durch die Wohnung zu den düsteren Klängen von Awir Leon. Und es stimmt: Man verlässt diesen Film mit einem schweren Gefühl, seiner emotionalen Wucht kann man sich schwer entziehen. Dabei würde die Abgründigkeit des Gezeigten auch ohne all die künstlichen Überhöhungen ausreichen, um das interessante Problem schätzen zu können, das Zeller in seinem Film verhandelt.
Anthony Hopkins in einem eindringlichen Cameo-Auftritt
Es tritt spätestens dann ans Tageslicht, wenn Hollywood-Legende Anthony Hopkins, der in „The Father“ die Hauptrolle spielte, für einen markanten Gastauftritt zurückkehrt. Er spielt ein greises Ekelpaket, einen abgebrühten Kapitalisten, der den Westen an Gefühlsduselei krepieren sieht und der für Weinerlichkeit keinen Sinn hat. Weitermachen ist seine Devise, die er störrisch seinem Sohn, Hugh Jackman, um die Ohren haut. Die Karriere steht über der familiären Befindlichkeit. Sie hat eigentlich nur den gesellschaftlich aufoktroyierten Auftrag zur Selbstverwirklichung zu erfüllen.
Was aber, wenn dieses Unterfangen scheitert? Wenn das Streben, Kalkulieren und Planen plötzlich von der Kehrseite, einer ausgelösten Depression, heimgesucht wird? Das ist der Knackpunkt von Zellers Drama. „The Son“ beleuchtet damit eine gesellschaftlichen Struktur, die für Krankheit, mentale Probleme, generell all das Andersartige und Verdrängte keinen Platz mehr finden kann.
Florian Zeller fächert besagte Krise innerhalb des Ensembles auf: Mutter, Stiefmutter, Vater, Sohn, die alle von der Unberechenbarkeit der Erkrankung immer wieder aus der Bahn geworfen werden und mit ihren eigenen (etwas zu stereotyp gezeichneten) Rollen hadern. Ein Rückschlag jagt den nächsten. Die heilende Kraft der Kernfamilie, die gerade auch das Hollywood-Kino immer wieder propagiert und ausschlachtet – hier scheitert sie krachend, ihre Traumblase platzt. Da lauert eine bemerkenswerte Unerbittlichkeit und Konsequenz unter der allzu konventionell inszenierten Oberfläche!
„The Son“ läuft seit dem 26. Januar 2023 in den deutschen Kinos. Seine Weltpremiere feierte der Film bei den Filmfestspielen von Venedig 2022.