Regisseur Justin Kurzel („Macbeth“) hat mit „The Order“ einen altmeisterlichen Krimi über den rassistischen Untergrund der USA gedreht.
Die HBO-Erfolgsserie „True Detective“ mag derlei Stilmittel und Motive nicht erfunden, sondern vielmehr aus früheren Noir-Traditionen gefiltert und aktualisiert haben. Aber sie hat das Genre des Krimis im bisherigen 21. Jahrhundert und dessen Wahrnehmung maßgeblich geprägt. Abgehalfterte, getriebene Ermittlerfiguren, die sich durch mythische amerikanische Landschaften bewegen, in denen tiefere, schwer zu durchdringende kulturelle Dynamiken am Wirken sind. Sie beschäftigen sich mit Fällen, in denen äußere Verbrechen und die inneren Abgründe der vermeintlich Guten Hand in Hand gehen. Dichte, deprimierende Stimmungen und Momentaufnahmen einer Welt sind das, die an positive Veränderungen nicht mehr zu glauben scheint. Auflösungen, die keine Erlösungen mehr bergen.
Justin Kurzel, unter anderem bekannt für seine „Macbeth“-Verfilmung mit Michael Fassbender und das Amokläufer-Porträt „Nitram“, schlägt tonal und stilistisch voll und ganz in diese Kerbe. Sein neuer Film „The Order“ könnte sich nahtlos in das mittlerweile vier Staffeln umfassende Universum von „True Detective“ einfügen, ist aber bedeutend rasanter erzählt. Kurzel unternimmt dabei eine weitere Annäherung an Figuren des Bösen. Zu dröhnenden und wummernden Klängen fahren seine Ermittler durch fahle Wälder und Berglandschaften. Die USA der 1980er-Jahre, die er, basierend auf einem wahren Kriminalfall, wiederaufleben lässt, ist ein vergifteter Kosmos, der seine Schatten auf die Gegenwart vorauswerfen wird.
Bei den Filmfestspielen von Venedig, wo „The Order“ Weltpremiere feierte, ist dies der erste herausragende Genrefilm im Wettbewerb des Festivals. Laut eines „Variety“-Berichts wird er künftig offenbar bei Amazon Prime Video erscheinen.
„The Order“ erzählt von einem realen Verbrechen in den 1980ern
„The Order“ rekonstruiert eine Reihe brutaler Überfälle, denen ein alternder, mit Isolation und Sucht hadernder FBI-Agent (Jude Law) auf die Schliche zu kommen versucht. Die Spuren führen ihn zu einer Vereinigung von Rechtsextremisten, die im Untergrund an einem amerikanischen Rassenkrieg arbeitet. Als Anleitung dient ihnen der rassistische und antisemitische Roman „The Turner Diaries“, ein Standardwerk der sogenannten White Supremacy-Bewegung.
Justin Kurzel beleuchtet somit einen historischen Fall, dessen ideologischer Kern bis heute als gesellschaftliche Bedrohung im Raum steht. Als Vorlage diente ihm dafür das Sachbuch „The Silent Brotherhood: America’s Racist Underground“ von 1989. Die parallele Welt, die er zeigt, in der Kinder am Straßenrand den Hitlergruß vollführen, Hakenkreuzfahnen wehen und Prediger ihre Gemeinden mit Gewalt- und Hoheitsfantasien einschwören, erscheint skurril und verstörend zugleich. Man könnte sie für eine Überzeichnung und ein banalisiertes Feindbild halten, wüsste man nicht um die unverhohlene Existenz derartiger Bewegungen und Vereinigungen. Nicht nur in den USA.
Einer der spannendsten Genre-Filme des Jahres
Der Australier Kurzel strickt daraus jedoch keine schnöde Milieustudie oder ein belehrendes Drama, sondern einen Mix aus Krimi, Thriller und zeitgenössischem Western. Er ist so packend, stimmungsvoll und schnörkellos inszeniert, als hätte der Regisseur in seiner ganzen Karriere nichts anderes gedreht. Seine Schusswechsel und Verfolgungsjagden, die Überfälle und Belagerungen sind mit einer wuchtigen Gewalt und einem Tempo auf die Leinwand gebracht, dass „The Order“ aus dem Stand zu den mitreißendsten Genrefilmen des Jahres gehört. Das ist sicher kein allzu nachhaltiges Seherlebnis. Es lässt keinen Raum für Ungewissheiten, Uneindeutigkeiten und offene Fragen. Stattdessen regiert dort die pure Lust am Hochspannungskino. Kurzel zelebriert brenzlige Situationen, in denen Menschen erbarmungslos zwischen Leben und Tod kämpfen.
Was ihn so erschütternd und düster erscheinen lässt, ist die Aussichtslosigkeit des Falls. Das Netzwerk, das er enthüllt, ist mit einer singulären Festsetzung und Bestrafung nicht zu zerschlagen. Das Böse, das „The Order“ markiert, atmet zum Schluss unter schauriger Gasmaske. Seine Erben und Nachfolger scheinen bereits überall ihr Unwesen zu treiben. Die ultrarechte Ideologie ist längst in der Welt. Und der letzte Akt dieses Films gerät zum explosiven, blendenden Spiel lauter Geräusche und expressiver, greller Lichteffekte in einem sinnbildlich brennenden Haus. Eine Aussicht auf gesellschaftliche Versöhnung hat sich zu diesem Zeitpunkt längst in Luft aufgelöst. Dafür sind all die fundamentalistischen Kräfte zu stark. Ein freies Land, wie es zu Beginn heißt, und trotzdem sind alle in ihren Ansichten gefangen.
„The Order“ feierte seine Weltpremiere bei den 81. Filmfestspielen von Venedig. Ein regulärer Starttermin ist noch nicht bekannt.
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