Skandalregisseur Lars von Trier („Nymphomaniac“) wagt sich mit der fünfteiligen Miniserie „The Kingdom: Exodus“ noch einmal in sein „Hospital der Geister“. Ein würdiger Abschluss für die ’90er-Jahre-Show.
Der Doktor verarztet sein Krankenhaus. Lars von Trier zieht es erneut in die verrückten Abgründe des Kopenhagener Reichskrankenhauses, um seinen Spuk von einst noch einmal aufleben zu lassen und offene Stellen zu verschließen. Zwei Staffeln von „Riget“ bzw. „The Kingdom“ hatte das dänische Enfant Terrible in den 90er-Jahren gedreht. 1995 lief die Serie unter dem Titel „Hospital der Geister“ zum ersten Mal bei Arte im deutschen Fernsehen. Von Trier hatte damals auf einzigartig schräge Weise Seifenoper und Arztserie mit Mystery-Grusel vermengt, der sich kräftig bei den Größen des Genres bediente. Um eine kollabierende Welt selbstherrlicher Wissenschaft ging es da. Unergründliches, Irrationales drängte nach oben.
Das Krankenhaus wurde in einem Moor auf alten Färberteichen gebaut. Die Gespenster von damals trieben noch ihr Unwesen. Am Ende gab es kein Ende. Das brauchte es eigentlich auch gar nicht, funktioniert doch von Triers Serie ohnehin in erster Linie über ihre anekdotische, bewusst ziellose Erzählweise. Das „Hospital der Geister“ war nie ein Format inhaltlicher Kohärenz, ausgetüftelter Handlungsbögen. Und dennoch greift von Trier einige unverknüpfte Erzählfäden ein letztes Mal auf, um die Spukgeschichte zu einem späten Abschluss zu führen.
„The Kingdom: Exodus“ reist zurück in der Zeit
Die fünf Episoden von „The Kingdom: Exodus“, so heißt die neue Staffel, die bei den Filmfestspielen Venedig Premiere feierte, beginnen auf der Metaebene. Eine ältere Dame sitzt da in ihrem Wohnzimmer und sieht sich Lars von Triers Serie auf DVD an, um sich über das halbgare Ende zu beschweren. Nachts schlafwandelt sie, träumt von dem heimgesuchten Krankenhaus. Heute wird sie sich dorthin auf den Weg begeben. Der gläserne Eingang der Klinik wird zum Drehkreuz in eine andere Welt. Während sie die Schleuse durchschreitet, verändert sich das Format der Bilder, die nun in nostalgischem Sepia schimmern. Alles ist wieder wie früher, die Vergangenheit lebt auf: „The Kingdom“ ist zurück. Und auch erzählerisch setzt von Trier auf Altbewährtes, das bedeutet: allerhand Kuriositäten aneinanderzureihen. Der Provokateur präsentiert sein humoristisches Talent, das schon immer in ihm lauerte.
Im Keller finden verschwörerische Treffen statt, Ärzte schließen sich ein, um Nonsensgedichte zu verfassen, auf der Toilette führt man dringende Gespräche mit dem Anwalt, Willem Dafoe geistert als satanische Präsenz durch das Gemäuer und ein Paternoster führt wie eine Geisterbahn in eine andere Welt. Weniges hat sich verändert, darunter die Besetzung am Spülbecken. Wo früher zwei Menschen mit Down Syndrom Teller wuschen und die Serienhandlung kommentierten, wurde nun eine der Rollen durch eine künstliche Intelligenz ersetzt. Sie zerstört nur und arbeitet nicht.
Und dann ist da noch der riesige Schädel von Udo Kier, der „kleine Bruder“. Inzwischen: „großer Bruder“. Das ikonische, monströse Riesenbaby aus den ersten beiden Staffeln ist noch immer da und krankt an der Welt. Früher war das einmal eine sinnbildliche, utopische Vision einer Zusammenkunft von Wissenschaft und übersinnlicher Geisterwelt. Nun ersäuft es in einem Meer aus Tränen.
OP am offenen Herzen
Ohnehin schlagen diese fünf Episoden zwischen all ihrem absurden Klamauk erstaunlich melancholische Töne an. Kosmischer Schmerz hat diese Welt fest im Griff, die von Trier entwirft. Einen Tumor trägt sie im Herzen, das da unten überlebensgroß in den Kellermauern pocht und nach einer Operation verlangt. Der Serien-Kosmos selbst ist es, der sie unheilbar erkranken lässt. Und so ist es bei allen betont ziellosen Soap-Verirrungen zuvorderst ein Abschied vom eigenen Wirken, eine Befreiung. Der Maestro selbst fehlt dabei lange Zeit: Lars von Trier. Wo er früher selbstironisch jede Folge abmoderierte, hängt nur noch ein Adventskranz. Hinter dem roten Vorhang wackeln ein paar Füße. Was nicht bedeuten soll, dass sich der Zeremonienmeister des Bösen nicht noch einmal einen letzten großen Auftritt in „The Kingdom: Exodus“ verschafft.
Bleibt zu hoffen, dass es sich nicht tatsächlich um das letzte Werk des großen europäischen Autorenfilmers handelt. Seit einiger Zeit ist bekannt, dass von Trier an Parkinson erkrankt ist. Sein Körper, den er bei der Weltpremiere in Venedig mittels einer Videobotschaft zur Schau stellte, ist sichtlich davon gezeichnet. „Exodus“ wirkt wie ein erneutes Lebewohl eines Künstlers, der so langsam einen Punkt hinter die Karriere zu setzen versucht. Bereits sein letzter Kinofilm, der Serienkiller-Essay „The House that Jack Built“ erschien wie eine letzte große Selbstbespiegelung, ein Rückblick auf das eigene Leinwandschaffen.
In „The Kingdom: Exodus“ wiederholt er das Vorgehen für sein TV-Projekt, wenngleich die Selbstreferenzen hier wesentlich subtiler eingeflochten sind. Wahrscheinlich ist es schlichtweg als charmante Ohrfeige zu verstehen, die von Trier mit seinem herrlich verschrobenen Serienende an das Fernsehpublikum verteilt, welches er zuvor noch einmal mit Gewohntem füttert. Ein Ruf nach schmerzhafter Finalität im Unauflösbaren, Destruktion, ein Ende des ewig Fortsetzbaren. Und das Publikum, das diesen Abschied nicht wahrhaben will, brennt wörtlich in der Hölle.
„The Kingdom: Exodus“ wird über Plaion Pictures 2023 in Deutschland veröffentlicht. Ein konkreter Starttermin ist noch nicht bekannt. Ihre Weltpremiere feierte die Serie im Rahmen der 79. Internationalen Filmfestspiele von Venedig.
Bildquelle:
- riget-exodus: Venice Film Festival