„The Dead Don’t Hurt“: Ein starker Western von Viggo Mortensen

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Viggo Mortensen und Vicky Krieps unter einem Baum
Foto: Marcel Zyskind/ Alamode

„The Dead Don’t Hurt“ ist die zweite eigene Regiearbeit von Viggo Mortensen. Sein Film wählt einen ungewöhnlichen Zugriff auf das Western-Kino.

Man könnte erst denken, man habe sich im Kinosaal geirrt. Schließlich ist es nicht die naheliegendste Entscheidung, einen Western mit der Aufnahme eines saftig grünen Waldes zu eröffnen, in dem ein gerüsteter Ritter zu Pferde herbeigeritten kommt. Oder ist es eine Ritterin? Man kann das nicht so genau sagen. Ist das der strahlende Ritter, der als Erlöser kommt? Oder sieht sich die weibliche Heldin selbst in ihm gespiegelt? Diese märchenhafte Vision schwankt, spätestens nachdem ihr Bezug zur legendären Johanna von Orléan, der Jeanne d’Arc, offengelegt wurde. Schon als Kind hört Vivienne, die Hauptfigur dieses Films, die Geschichte der berühmten Kämpferin und Märtyrerin. Jetzt droht ihr selbst eine Art Märtyrer-Schicksal.

Viggo Mortensen („Herr der Ringe“) hat seinen zweiten Film nach „Falling“ voll und ganz um diese weibliche Heldin konstruiert, die von der Schauspielerin Vicky Krieps mit einnehmender Leinwandpräsenz verkörpert wird. Vivienne ist eine Figur, die versucht, der Gewalt der Männer ein Streben nach Kultivierung und Bildung entgegenzusetzen. Eine Waffe benötigt sie dafür kaum. Oder doch? „The Dead Don’t Hurt“ zeigt die Beschwerlichkeit dieses Unterfangens in den Regeln seiner historischen wie gegenwärtigen Welt. Der Western als Genre der Grenzerkundung und Grenzverschiebung, der Erschließung von Land erstrahlt in seiner ganzen melancholischen Suchbewegung. Das Idyll muss erst geschaffen werden und auch im Anschluss ist keine Ruhe in jener Welt zu finden. Kaum haben sich die Figuren niedergelassen, werden sie wieder ausgestoßen, hinein in die Wildnis.

Viggo Mortensen mit seinem Pferd in "The Dead Don't Hurt"
Foto: Marcel Zyskind/ Alamode Film

„The Dead Don’t Hurt“ erzählt eine Romanze im Schatten des Bürgerkriegs

Vivienne lernt den Zimmermann Holger (Mortensen) im Hafen kennen, als sie sich gerade aus ihrer unglücklich spießigen Liebesbeziehung befreit. Den wortkargen Holger nimmt sie mit ins Museum, in die Welt der schönen Künste, in der die Wohlhabenden ihr eigenes Schaulaufen veranstalten. Doch Holger und seine Beziehung zu Vivienne sind Fremdkörper in diesem Kosmos. Also ziehen beide aus, um sich ein neues Leben aufzubauen. Eine kleine Holzhütte soll ihr Zuhause werden, umgeben von kargem, vertrocknetem Boden und Gestein. Pflanzen müssen hier erst angebaut werden, die Dielenböden unter Schweiß geschrubbt werden, um einen kleinen Flecken Zivilisation und Heimeligkeit in das Niemandsland von Nevada zu tragen.

„The Dead Don’t Hurt“ setzt kurz vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg ein. Als er ausbricht, zerfällt das kleine angestrebte Paradies von Vivienne und Holger. Der Mann sieht es als seine blinde Pflicht, in den Krieg zu ziehen. Was seine Frau davon hält, wird ihn nicht abhalten. Also lässt er sie zurück. Vivienne schlägt sich allein durch den Alltag, sieht sich mit den Übergriffen des brutalen Weston Jeffries (Danny Huston) konfrontiert, der den Menschen in der Gegend das Leben zur Hölle macht. Als Holger lange Zeit später nach Hause zurückkehrt, wird sich die Beziehung zu seiner Frau verändert haben.

„The Dead Don’t Hurt“ ist ein zäher, schleppender, ein langatmiger Film, Ja, und er verweigert dem Publikum herkömmliche Spektakel-Szenen, wie man sie aus anderen Western-Filmen kennt. Viggo Mortensens Drama entfaltet über seine stillen Beobachtungen alltäglicher Verrichtungen und der Kommunikation zwischen den Figuren aber eine umso stärkere Kraft. Es lohnt sich unbedingt, sich dieser Entschleunigung hinzugeben, die weniger von der Brutalität der Vergangenheit als der bleiernen, unauflösbaren Schwere der Gegenwart erzählt.

Foto: Marcel Zyskind/ Alamode Film

Was „The Dead Don’t Hurt“ und „Falling“ verbindet

Wie „The Dead Don’t Heart“ die genannten Versuche einer Kultivierung und Bildung, eines aufklärerischen und emanzipierten Handelns und Sprechens einfängt, formt ein immer tragischeres Sinnbild, das an den Gewalten der Realität und den reaktionären Kräften scheitert, die am längeren Hebel zu sitzen scheinen. Mortensens Drehbuch und Inszenierung knüpfen dabei unmittelbarer an sein Erstlingswerk an, als man zunächst denken könnte. Und es ist der stärkere, reifere der beiden Filme!

Schon „Falling“ war ein ganz heutiges Porträt der USA, in dem ein gesellschaftlicher Riss verhandelt wurde. Vorgeführt anhand einer recht schlicht gestrickten Familienaufstellung zwischen einer progressiven jüngeren Generation und den Wutausbrüchen des greisen, gestrigen Patriarchen. Beide Filme eint die Freude am verschachtelten Erzählen, das die Chronologie der Handlung wiederholt irritiert und durcheinanderbringt. Reales und Träumerisches, Vergangenes und Kommendes stehen nebeneinander. Eine trübselige Katastrophe steht bereits am Beginn, um später noch einmal Licht und Freude sehen zu können. Gesellschaft und Film finden dort zusammen, wo sie auseinanderfallen.

Schusswechsel in "The Dead Don't Hurt"
Foto: Marcel Zyskind/ Alamode Film

Die Suche nach dem Kern des Western

Es scheint so, als würde Mortensen in „The Dead Don’t Hurt“ noch einmal testen, wie sich der Schmerz des Vorgängerwerks neu erzählen lässt. Er befragt seine eigene Erzählung, dieses Mal im historischen Genrefilm-Gewand. Er weiß um die festgefahrene Gegenwart auf der Suche nach einer Perspektive. Jene Gegenwart lässt sich aber weder damit auflösen, den Feindbildern einen Frieden zu schenken, wie es der Vorgängerfilm unternommen hat, noch eine gewalttätige Abrechnung zu liefern, die alle Fronten nur verhärtet. Gewiss, am Feindbild dieses Films gibt es keine Zweifel und zu Recht! Wenn Mortensens Western – und da kommen die obligatorischen Genre-Formeln doch zum Vorschein – auf einen Schusswechsel zusteuert, dann geschieht auch das in einer erstaunlich unspektakulären, unbefriedigenden, vielmehr elendig brutalen und trostlosen Sequenz.

Die malerische Landschaft, die man aus artverwandten Werken kennt, hat sich derweil in eine außerirdisch fremd anmutende Ödnis mit merkwürdigen Gesteinsformationen verwandelt. Also bleibt nur noch das Ende der Welt, das Meer, in dem noch Leben haust und das selbst im Abspann weiter über die Dinge schwappt. „The Dead Don’t Hurt“ findet hier seine letzte Inspiration und Augenweide, ehe er wieder umkehren muss, um nach anderen Mythen und Neuanfängen zu suchen, die sich irgendwo in diesem wilden Land noch verstecken mögen. Also auch: nach dem Kern, der das Western-Kino so zeitlos faszinierend erscheinen lässt. Dass Mortensen zu einem so offenen, aber ergreifenden Punkt findet, beweist, dass er das Genre keineswegs verrät oder überwirft, sondern mit Hochachtung zu verwandeln versucht.

„The Dead Don’t Hurt“ läuft seit dem 8. August 2024 in den deutschen Kinos.

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