„The Bikeriders“ ist ein brutaler Abgesang auf die amerikanische Biker-Szene der 60er-Jahre und spricht doch unmittelbar zur Gegenwart.
Fäuste, Messer, Barhocker, eine Schaufel – das Waffeninventar fällt schon in den ersten Minuten von „The Bikeriders“ üppig aus. Jeff Nichols‘ neuer Film zeigt gleich in seiner Eröffnungsszene, wie sich Männer über den Tresen prügeln und eine Rauferei bis aufs Blut eskalieren lassen. Die hypermaskuline Welt, in der „The Bikeriders“ spielt, ist beklemmend und grausam zugleich und Jeff Nichols gibt alles, um jeden Schlag und jeden Hieb und Stich mit aller Körperlichkeit erfahrbar werden zu lassen.
Hände werden durch Autoscheiben geschmettert, Glassplitter im Anschluss blutig aus der Haut gezogen. Die Charaktere dieses Films schlagen sich als versehrte, abgehalfterte Gestalten durch die Welt. Sie glauben, ihr Umfeld beherrschen zu können, Revier zu markieren, und in der Tat: Es gelingt ihnen für begrenzte Zeit. Gruppendynamiken schaukeln sich hoch, genießen Gefühle von Einheit und Zusammenhalt und streben doch unaufhaltsam auf den Zerfall und die Desillusionierung zu. Zumindest aus Publikumssicht. Ob und inwiefern in den Köpfen der Charaktere ein echter Denkprozess einsetzt, sei dahingestellt.
„The Bikeriders“ basiert auf einem Fotoband von 1968
Nichols hat für sein prominent besetztes Werk einen interessanten Ansatz gewählt. „The Bikeriders“ basiert auf dem gleichnamigen Buch von Danny Lyon, das eine Sammlung von Interviews und Fotografien enthält. Lyon hat die Welt der der Biker-Gangs Mitte der 1960er-Jahre von innen heraus erforscht und dokumentiert. Das Fotobuch kam ’68 auf den Markt. Was Regisseur und Drehbuchautor Nichols nun unternimmt, ist eine filmische Interpretation dieser Publikation und zeigt zugleich eine fiktionale Entstehungsgeschichte derselben.
Der amerikanische Schauspieler Mike Faist („Challengers„) tritt dabei als Danny Lyons Alter Ego mit Mikrofon und Fotoapparat auf, um die Handlung wiederholt zu unterbrechen. „The Bikeriders“ haucht den überlieferten Fotografien Leben ein, zeigt Menschen, die Posen einnehmen, sich inszenieren – nicht nur vor der Kamera, die gerade auf sie gerichtet ist.
Verrauchte Kneipen, blutende Hände, röhrende Motoren
Die raue Äußerlichkeit dieses herausragenden Films bei alldem ist bemerkenswert. Sie ist mit einem gewissen nostalgischen Kalkül verbunden, auch bezüglich analoger Bildproduktion. Sie entwickelt damit aber einen ungeheuren Sog, wenn sie den vernebelten Dunst der Kneipen atmet, den Schlamm und Lagerfeuerrauch beim gemeinsamen Fest in der Wildnis genießt, hautnah die Stofflichkeit der Kutten, Jeanshosen und Lederjacken einfängt. Oder den Kinosaal mit dem Knattern und Röhren der Motoren erzittern lässt und, wie eingangs angedeutet, Zuschauer schmerzerfüllt aufatmen lässt, wenn Gewalt auf der Leinwand geschieht. Diese einnehmende Bild- und Klangwelt ist nicht deshalb eine Qualität des Films, weil sie so hingebungsvoll die Ästhetik dieser vermeintlich ganzen Kerle und Raubeine reproduziert, sondern weil Nichols ein Drama für Erwachsene inszeniert hat, die Ambivalenzen und Grautöne aushalten können.
Die Gefahr existiert, dass „The Bikeriders“ ganz unkritisch als verführerische Wiederauferstehung einer brutalen Macho-Welt gefeiert werden kann. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass seine Verführungskraft nicht ebenso das Widersprüchliche und Kritische mit einschließt. Wenn hier nach einem finalen Gewaltakt vom Ende eines goldenen Motorrad-Zeitalters sinniert wird, dann ist die Nostalgie von „The Bikeriders“ ein ganz offensichtlich vergiftetes Versprechen. Weil er von Beginn an nicht nur die faszinierenden, sondern auch die grotesken und verachtenswerten Seiten der Gangs und Clubs transparent macht. War dieses Zeitalter wirklich so golden, oder hat es nur gewisse Verschiebungen und Entlarvungen erfahren?
Auf den Spuren von Marlon Brando
Johnny, gespielt von Tom Hardy, ist das Herzstück des Films, der Gründer der Vandals-Gang. Inspiriert wurde er von Marlon Brandos Rolle im Film „Der Wilde„. Männer imitieren die Popkultur. Hinterher schart er einen Halbstarken nach dem anderen um sich. Junge, eigentlich bemitleidenswerte Männer, Ausgestoßene, Gebeutelte und Traumatisierte sehnen sich nach einem Zugehörigkeitsgefühl. Man will Teil von etwas Größerem sein, oder sich einfach nur wie kleine Buben im Dreck suhlen. Zugleich festigen sich damit erbarmungslose Grenzen. Wer von der Gruppen-Identität und Norm abweicht, wird aussortiert oder angefeindet. Man beansprucht Räume für sich, schließt sie ab, schmückt sich teils mit faschistoiden Codes und Symbolen. Erkennt man einen anderen Look, der die Zugehörigkeit zu einem fremden Klan suggeriert, ist der Hang zur Gewalt nicht fern. Also schließt sich der Kreis zur Auftaktszene.
Für eine Zeit, in der vergleichbare Zugehörigkeiten und (erzwungene) Bekenntnisse zu bestimmten Weltbildern und homogen gedachten Gruppen weiter für Konflikte sorgen, ist ein solches Werk eine passende Antwort. Wenn der Universalismus abhandenkommt, sich Menschen in immer kleinere Gemeinschaften aufspalten und ein neuer Tribalismus regiert, zeigen sich schnell die Schattenseiten dessen. Davon zeugt aktuell nicht nur in einer Serie wie „House of the Dragon„, sondern auch ein Drama wie „The Bikeriders“.
Jeff Nichols‘ Film kann man als Erzählung über desillusionierte Träume und das Gleiten in die Brutalität oder aber die schnöde Unterhaltungsindustrie ganz konkret vor dem Hintergrund der US-Geschichte, der Kriegserfahrungen und der Gegenkulturen der 60er-Jahre lesen. Er führt dabei aber ebenso fundamentalere und ganz allgemeine, zeitlose menschliche Gruppendynamiken vor. Das Publikum kann die Wurzeln des Übels schon erkennen, bevor die Welt auf der Leinwand ihren eigenen Veränderungen und Abgründen ins Auge blickt. Der Grat zwischen Happyend und düsterer Hoffnungslosigkeit ist dabei überaus schmal.
„The Bikeriders“ lädt zum Diskutieren ein
Wie also dieser brutalen Domäne begegnen? „The Bikeriders“ versucht es mit einer Liebesgeschichte. Jodie Comer mimt die weibliche Figur im Film, die sich in den wortkargen Benny (Austin Butler, „Dune: Part Two„) verguckt. Der junge Mann lehnt sich beim Kneipenabend so lasziv und erregend über den Billardtisch. Zwischen Bennys Aufstieg in der Motorradgang und der Flucht in das private Liebesnest pendelt die Handlung nun hin und her. Johnny, der Kopf der Gruppe, wähnt in Benny seinen Nachfolger, aber an welchem Punkt nimmt die Teilhabe an der Gang ausbeuterische und verheerende Züge an?
„The Bikeriders“ zeigt spätestens in seinem diskussionswürdigen und uneindeutigen Finale, dass sich dieser Konflikt und die innere Zerrissenheit nicht einfach mit einem Rückzug ins familiäre, romantische Idyll auflösen lassen. Dafür ist die gelebte Ideologie so tief in den Körper und das Denken eingesickert, dass sie auch nach einem möglichen Ausstieg noch fest in den Knochen steckt. Und aus der Ferne röhren bereits die Maschinen. Vielleicht als sehnsüchtiges Hirngespinst, vielleicht als gefährlicher Trigger.
„The Bikeriders“ läuft seit dem 20. Juni 2024 in den deutschen Kinos.
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