Oscar-Preisträger Martin McDonagh zieht es in irische Seelenlandschaften: Sein neuer Film „The Banshees of Inisherin“ erzählt vom blutigen Ende einer Männerfreundschaft.
Der Tor fühlt sich mit der Eselin wohl. Pádraic ist einer, der einfach nicht verstehen will. Seine Schwester Siobhán (Kerry Condon) quasselt er um den Verstand. Sie wird sich aus dem Staub machen, ihr Leben leben, einen Ausbruch aus der Tristesse wagen. Colm, ein Geiger und sein ehemaliger Kumpel, hat sich zu diesem Zeitpunkt schon von ihm abgewandt. Pádraic ist ihm schlicht zu dumm. Der Musiker will sich lieber den Künsten widmen, etwas komponieren, Jünger um sich scharen, sich nicht mit dem immergleichen Geschwätz und Smalltalk aufhalten. Also bleibt Pádraic nur noch das Tier, dieses Sinnbild des Dümmlichen und Störrischen zugleich.
Nun gehört viel dazu, eine Figur so zu spielen, dass sie sich selbst dem Esel annähert, besagte Attribute in sich vereint. Colin Farrell kann das. Er spielt diesen Pádraic mit verdutztem Welpenblick, staunender Miene, unbeholfenem Singsang. Gequält, ohne nach Mitleid zu heischen, stur beharrend, Aufmerksamkeit suchend, ohne lästig zu erscheinen. Ihm gegenüber tritt Brendan Gleeson als grummelnder, mürrischer Musiker auf, der alle Annäherungsversuche an sich abprallen lässt.
Wenn Gleeson und Farrell miteinander auf der Leinwand spielen, dann erscheint für einige Momente selbst die imposante, verschlingende Natur im Hintergrund ganz unbedeutend und nebensächlich. Gerade, weil sich die beiden Gockel so gegensätzlich aneinander reiben. Sie sind die Hauptakteure in einem Darling der aktuellen Award-Saison. Allein bei den Golden Globes ist „The Banshees of Inisherin“ in acht Kategorien nominiert.
„The Banshees of Inisherin“ spielt in mythischer Landschaft
Der Autorenfilmer Martin McDonagh ist sich derweil treu geblieben. Er erzählt nach seinem zweifach Oscar-prämierten „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ erneut auf tragikomische Weise vom gegenseitigen Verletzen. Es ist auch in „The Banshees of Inisherin“ ganz wörtlich zu verstehen: Eine von jetzt auf gleich aufgekündigte Freundschaft strebt in Richtung Eskalation. Zuerst wird mit Worten gekämpft, dann geht es ans Physische. Die Hand, die man sich einander reichte, wird nach und nach in ihrer Verbindung und Verbandelung gekappt: Finger um Finger. Wann immer Pádraic es wagt, seinen ehemaligen Kumpel zu belästigen, will sich Colm einen Finger abschneiden.
Damit ist das Ruppige, Barbarische, grausam Archaische schon zu Beginn gesetzt. Mann gegen Mann, Mensch gegen Natur, Gewalt gegen Gewalt. Was ist die Freundschaft also noch wert und darf sie von jetzt auf gleich dem eigenen Aufstieg geopfert werden? McDonagh lässt dieses Szenario in einem mythisch aufgeladenen, eindrucksvoll abgefilmten Niemandsland spielen. Seine Figuren irren durch Umgebungen, die trotz ihrer Weiten kaum bedrückender erscheinen könnten: leere Wiesen, überall Wiesen und Gestein, bis die schroff abfallenden Klippen in die tosende Brandung führen. Steinmauern ziehen Pfade über die Insel. Wie ein Labyrinth, das man überschauen und doch nicht verlassen kann. Eine Alte im schwarzen Gewand treibt dort ihr Unwesen und murmelt Prophezeiungen. Und drüben auf dem Festland, dort donnern Kanonen, steigt Rauch auf.
Ein Krieg und sein Strohfeuer
Es sind die frühen 1920er-Jahre, der irische Bürgerkrieg tobt. Die große Gewalt findet im Duell der beiden Männer auf der Insel ihr Spiegelbild im Kleinen. Ein Zurückziehen aus dem kollektiven Miteinander, ein Ende des tagtäglichen Verstellens und Verschweigens, um den Frieden untereinander zu wahren, führt zur Katastrophe. Das hat der Strebsame und Ehrliche, der Musiker Colm, in seinem radikalen Schlussstrich nicht geahnt. Und dort drüben, jenseits der Abgeschiedenheit: Will man wirklich hinaus in die Welt, wo die Kriege toben? „The Banshees of Inisherin“ gelingt damit eine spannende Konstellation. Nur bringt der Törichte, durch dessen Augen er seine Welt zu betrachten versucht, auf Dauer wenig Schläue mit. Gemeint ist damit nicht automatisch jenes, was man für gewöhnlich unter „Dummheit“ versteht. Vielmehr geht es um die Frage der filmischen Rolle.
Mit den Außenseitern auf die Gesellschaft schauen – das sind die klassisch komischen Züge, mit denen McDonagh arbeitet. Aber bleibt dieser Pádraic nicht seltsam blind? Eilt man ihm als Zuschauer nicht längst voraus? Übernimmt McDonaghs Film nicht viel zu sehr den Blick von außen auf seinen belächelten Protagonisten, obwohl er so lustvoll zwischen den Parteien zu schwanken versucht? Er wird damit damit zum Opfer seiner eigenen Parabel, ohne das eigene Zusehen zu hinterfragen. Menschen beschießen sich mit Gemeinheiten, denen die Larve des Witzigen übergestülpt wird. Was sie demonstrieren soll, verliert an Wucht im endlosen Breittreten und Wiederholen.
Verfilmung eines Theaterstücks
McDonaghs neue Tragikomödie vergeudet letztlich unzählige, akribisch geschliffene Worte, um überhaupt von der Stelle zu kommen: Verenden im Durchschnitt oder Ausbrechen aus der sozialen Erstarrung? Ging es in „Three Billboards“ noch um den Versuch, ein Behördensystem anzuklagen, die Grenzen von Selbstjustiz auszuloten, in einem Treten nach oben und unten ständig Sympathien zu verschieben, erscheinen die „Banshees“ wie nett und sorgfältig konstruiertes, aber allzu selbsterklärendes Seemannsgarn. McDonagh hat einen düsteren Sagenstoff gedreht, eine aufgeräumte, sinnbildliche Versuchsanordnung, die sich allzu schnell in die Karten schauen lässt und nachher nur noch das Pendel zwischen leichtgläubig dahingesagtem Gemeinschaftssinn und zerstörerischem Egoismus ausschwingen lässt. Ja, die menschliche Natur, möchte man raunen und hat doch nichts kapiert.
„The Banshees of Inisherin“ hat dabei seine Ursprünge in einem nie aufgeführten Theaterprojekt des Regisseurs. Es ist in der Tat ein Film des dramatischen Sprechens. Seine Handlung und Zustände entspinnen sich zuvorderst im Dialogischen. So üppig ist dieses geraten, dass es die reduzierte Klarheit seines Konflikts unterschätzt, erdrückt, in aufgebauschte Worte kleidet, wo längst alles gesagt ist. Und vielleicht nähern sich die „Banshees“ damit unfreiwillig ihrem plappernden Toren an, der selbstbewusst wie selbstzweifelnd um die eigene Achse kreist und seinem Umfeld am laufenden Band ein Ohr abkaut. Dabei ist er es doch eigentlich, der als Letzter den Ernst der Lage erkennt. Weiter immer weiter Quasseln – womöglich, um nicht selbst in der steifen Brise und kargen Ödnis zu erstarren.
„The Banshees of Inisherin“ feierte seine Weltpremiere bei den Filmfestspielen von Venedig 2022. Seit dem 5. Januar 2023 läuft der Film im Verleih der Walt Disney Company bundesweit in den deutschen Kinos.
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