„Star Wars“ in Frankreich und Männer in Kisten: Die Highlights der Berlinale 2024

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Frau mit Laserschwert in "L'Empire"
Bruno Dumont zeigt in "L'Empire" einen Sternenkrieg in Frankreich. Foto: Tessalit Productions

Mit kontroversen Debatten im Vorfeld und Verlauf endete am Wochenende die 74. Berlinale. Ein Blick auf die Kino-Höhepunkte von Deutschlands größtem Filmfestival.

Sonderlich neue Perspektiven auf Kino und filmische Formen suchte man während dieser letzten Berlinale unter der Leitung von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek vergeblich. Höchstens vage Ideen, zaghafte Annäherungen, Spielereien, gepaart mit den üblichen trägen, thesenhaften Sozialdramen und Themenfilmen im Programm, für die das Festival längst berüchtigt ist. Wenige Filme und Lichtblicke waren dennoch dabei, die die Berlinale überdauern werden, über die noch genauer zu sprechen sein wird, sofern sie hoffentlich demnächst eine breitere Veröffentlichung erfahren. Werke, die klug zwischen Genres arbeiten, das Eigenwillig suchen, oder aber gerade im radikal Begrenzten, nur auf den ersten Blick Schlichten eine enorme Kraft entfalten. Konsequent und angemessen, dass mehrere von ihnen am Ende mit Preisen bedacht wurden.

L’Empire

Bruno Dumont gelingt ein Meisterstück in Sachen Verfremdung. „L’Empire“, ausgezeichnet mit dem Preis der Jury, führt Altvertrautes in einer Art und Weise vor, die durchweg staunend, irritiert auf die Leinwand starren lässt. Politische Kräfte streiten sich um die kommende Generation, in der man den Messias vermutet. Die Bewohner eines französischen Dorfes zanken untereinander, Polizisten tapsen nur ratlos umher. Plötzlich zückt jemand in den trügerisch realistischen Bildern ein Laserschwert. Zeitgenossen sprechen in pathetischen Formeln und Sci-Fi-Klischees und dann diese gewaltige Raumstationen: eine Kathedrale, ein pompöser Palast.

Bruno Dumont reißt Narrative und Motive, mit denen wir uns popkulturell die Welt erzählen, parodistisch aus dem Andersweltlichen und Immsersiven. Was man sonst aus „Star Wars“, „Star Trek“, „Dune“ und Co. kennt, implantiert Dumont brüchig in unser Hier und Jetzt. Er dekonstruiert und feiert das Genrekino zugleich – mit finaler Bildgewalt, die so manchen Hollywood-Blockbuster in die Tasche steckt.

"L'Empire" auf der Berlinale
Bildwelten aus „Dune“ und Co. Foto: Tessalit Productions

Dahomey

Erneut geht ein Dokumentarfilm als Sieger aus der Berlinale hervor. Nach „Auf der Adamant“ im Vorjahr hat die Internationale Jury 2024 Matti Diops Film „Dahomey“ mit dem Goldenen Bären prämiert. Eine gute Entscheidung! Ihr Werk über die Restitution geraubter Kunstwerke sticht in einem Wettbewerb mit einigen sehr starken, aber auch vielen anmaßenden, überlangen Dramen heraus. In kurzer Laufzeit von nur einer reichlichen Stunde gelingt Diop ein dichtes, diskussionswürdiges Werk über ruhelose koloniale Gespenster und ein ästhetisch hochpräzise konstruiertes, klug montiertes obendrein.

„Dahomeys“ Auseinandersetzung mit dem Auratischen der Kunst, die hier zu sprechen beginnt, trifft auf einen aufgeheizten Diskurs über ihre Einbettung oder Herauslösung aus dem Kult. Die Kamera in Diops Film ist nicht nur dokumentierender Begleiter, sondern dringt zugleich in jenseitige Bereiche vor, führt die Grenzen zum Fiktionalen aufs Glatteis und begräbt den Blick des Publikums in der dunklen Kiste, in der die geraubten Kostbarkeiten ein weiteres Mal zur Fracht werden.

Geraubte Kunstwerke kehren in „Dahomey“ zurück. Foto: Les Films du Bal – Fanta Sy

A Traveler’s Needs

Endlich gibt es Isabelle Huppert mal wieder in einer richtig starken Rolle zu erleben! Im neuen Film von Festival-Dauergast Hong Sangsoo spielt sie die sympathische, aber mysteriöse, unnahbare Französin, die sich entschließt, in Südkorea als Sprachlehrerin durchzustarten. „A Traveler’s Need“, preisgekrönt mit dem Silbernen Bären, entfaltet die Reaktionen ihres Umfelds auf die Fremde in amüsanten Dialogen zwischen unbeholfenen Menschen. Sprache wird hier in ihrer Selbstverständlichkeit auf den Prüfstand gestellt: über das Lernen von Vokabeln, über das Rezipieren von Literatur. Wie kann sie zu Empfindungen überhaupt durchdringen, sie in Worte fassen? Aus welchen Worten entspringen Emotionen, wie äußern sie sich im Verbalen und Nonverbalen?

Einmal mehr ist dabei das zunächst völlig Minimalistische in Hong Sangsoos Inszenierung eine falsche Fährte. Die verpixelte Oberflächenstruktur seiner Bilder und die pointiert eingesetzten Bewegungen seiner sonst so statischen Kamera weisen wiederholt auf sich selbst zurück. Was vertraut, banal und simpel erscheint, hat das Medium längst in seine Einzelteile zerlegt und zur Debatte gestellt.

Isabelle Huppert in ihrer stärksten Rolle seit langem. Foto: 2024 Jeonwonsa Film Co.

The Box Man

Kōbō Abes Roman aus dem Jahr 1973 verwandelt der Filmemacher Gakuryu Ishii in das wohl aufregendste Genre-Experiment dieser 74. Berlinale. „The Box Man“ erzählt von einem, der akribisch an sich selbst arbeitet, der sich abhärtet, nach den eigenen Regeln formen will – und sich in eine Box zurückzieht. Aus einer Pappkiste heraus beobachtet er die Welt. Feinde und Nachahmer werden nicht lang auf sich warten lassen.

Superhelden-Motive, Voyeurismus-Studie, Softporno, Paranoia-Thriller und Horrorfilm geben sich auf unberechenbare Weise die Hand in diesem labyrinthischen Werk, das eine kleine Kiste mittels geschickter Perspektiv-Verschiebungen in die ganze Welt zu wandeln vermag. Nur ein Schlitz, ein Fenster, das ist auch die Kadrierung des Films selbst, gibt den Blick nach außen frei und führt doch tief, tief, ins Innere. In das Kino, das dieser Karton ist und das Ishii explizit bildhaft spiegelt. In diesen Raum der Begierde, der das Feige oder Kämpferische seiner wachsenden Weltflucht-Fantasien immer wieder neu aushandeln muss.

"The Box Man" auf der Berlinale
Ein Mann zieht sich aus der Welt zurück. Foto: 2024 The Box Man Film Partners

Love Lies Bleeding

Kristen Stewart und Katy O’Brian spielen in diesem Film ein Paar, das hemmungslos durch Blut watet: im Kampf gegen die eigenen Triebe, aber auch die repressive Welt des mächtigen Vaters und Gangsterbosses, den Ed Harris in skurriler Maskerade verkörpert. Wieder geht es um Wahn, wie bereits im letzten Film von Regisseurin Rose Glass, dem religiösen Fanatismus-Horror „Saint Maud„. Dieses Mal ist es der Wahn einer Körperbeherrschung, um sich selbst in ganzer Stärke profilieren zu können. Immerzu werden Muskeln gestählt, krachen und knacken Knochen, werden Rücken gedreht und Häute durchstochen.

„Love Lies Bleeding“ verortet sich damit auch in einem jüngeren feministischen Kino a la Julia Ducournau („Titane„), das mit äußerst brutaler Körperlichkeit an Geschlechterklischees rüttelt. Dieser Film ist exzentrisch, kontrastreich stilisiertes Pulp-Thrillerkino. Ein rasantes, feministisches und knallhartes USA-Porträt zwischen Muckibuden, Konkurrenzdenken, Korruption und Waffen-Fetisch. Plaion Pictures wird den Film in Deutschland künftig veröffentlichen.

Kristen Stewart in "Love Lies Bleeding"
Kristen Stewart und Katy O’Brian rebellieren gegen die Welt. Foto: Anna Kooris

Abiding Nowhere

Zum zehnten Mal schickt Tsai Ming-Liang seinen Stammdarsteller Lee Kang-Sheng auf radikal entschleunigte Wanderschaft. In Zeitlupe geht er an Monumenten, Ampelkreuzungen, Straßen, Bäumen und Gewässern vorbei. Viel wurde über die „Walker“-Reihe, dieses jahrelange und Künste übergreifende Experiment gesagt und geschrieben. Über seine meditative, rituelle Wirkung und Ästhetik, das Spiel mit der Langsamkeit. Auch im zehnten Teil hat sie nichts von ihrer Faszination verloren. „Abiding Nowhere“ ist in seiner Ausgangsidee subversiv, wie Kino nur sein kann. Indem es ganz offen in den Alltag außerhalb des Saals eingreift, Menschen konfrontiert, die Umgebung auf einmal anders wahrnehmen lässt. Raum und Zeit als Körperpraxis.

Tsai Ming-Liang demonstriert, wie spannend und hypnotisch es sein kann, das Gewöhnlichste überhaupt, nämlich einen Fuß auf einen Boden zu setzen, so in Frage zu stellen. Während sein Wanderer an verschiedenen Orten auf der Welt auftaucht, zeigt Tsai Ming-Liang den Gegenpart, Anong Houngheuangsy, beim Museumsbesuch, beim Kochen und einsamen Verzehren. Zwei getrennte Figuren treffen sich im Alleinsein, zwei parallele Abläufe, die dazu zwingen, das Profane als etwas Besonderes zu sehen.

"Abiding Nowhere" auf der Berlinale
Der Wanderer lässt Zeit und Raum neu erleben. Foto: Claude Wang/ Homegreen Films

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