Im Netflix-Film „Spaceman“ spielt Adam Sandler einen Astronauten, der seiner verlassenen Frau auf der Erde nachtrauert. Auf der Berlinale feierte das emotionsgeladene Sci-Fi-Drama seine Weltpremiere.
Das Horror-Szenario ist perfekt: Plötzlich hockt eine riesige, mit pechschwarzem Fell überzogene Spinne in der Raumstation. Jakub, der Astronaut, gespielt von Adam Sandler („Der schwarze Diamant“), weicht erschrocken zurück. Dennoch kann er den Blick von den durchbohrenden, zahlreichen Augen des außerirdischen Wesens kaum abwenden. Mit verstörend sanfter Stimme (Paul Dano) spricht der Eindringling zu ihm. Man weiß nicht so recht, ob er sein Gegenüber umgarnen und in eine Falle locken oder tatsächlich beruhigen, sich mit ihm anfreunden will.
Mit dem Spinnen-Monstrum, das Jakub später auf den Namen Hanuš tauft, installiert der Drehbuchautor Colby Day eine interessante, ambivalente Gestalt. Zumindest solange, wie man beim Zusehen grübeln, irritiert sein, sich fürchten kann, was Hanuš im Schilde führt. Im ersten Moment erscheint das Wesen als Ausgeburt eines Albtraums oder als Visualisierung der Sorgen, Zweifel und Trübseligkeit, die den Raumfahrer Jakub gerade plagen. Zukunftsängste, die Entfernung zu seiner Frau und die Brüchigkeit ihrer Beziehung lassen ihn leiden. Spielt ihm seine Fantasie in der Isolation nun plötzlich schaurige Streiche? Auf die Frage, ob die Spinne real sei, entgegnet diese jedenfalls, so real zu sein, wie es Jakub eben wolle.
„Spaceman“ basiert auf einem Roman von Jaroslav Kalfar
Regisseur Johan Renck, zuvor verantwortlich für die starke HBO-Miniserie „Chernobyl„, inszeniert diese ersten Begegnungen zwischen Mensch und Monstrum mit beachtlicher Spannung. Gerade weil „Spaceman“ auf engstem Raum so unsicher zwischen den Genres der Science-Fiction, des Beziehungsdramas sowie des Abenteuer- und Horrorfilms pendelt. Das Schiff, mit dem Jakub das All durchquert, erscheint als beklemmende Gerümpelkammer mit liederlich vollgestopften Vorratsschränken, eigenartigen Boxen, Kabeln, Drähten, Rohren. Nachts träufelt sich der Astronaut Beruhigungsmittel in den Mund, um in seiner kleinen Schlafkapsel überhaupt Ruhe zu finden.
Jakub ist auf einsamer Mission am Rande des Sonnensystems unterwegs. Ein seltsamer violetter Nebel überzieht das Gestirn. Jakub soll nun Fotografien aus der Nähe anfertigen und erkunden, was sich in der wolkenförmigen Formation versteckt. Von der Erde aus wird derweil Druck auf ihn ausgeübt. Raumfahrt und Wissenschaft, das sind immer auch Konkurrenzverhältnisse. Man befindet sich im Wettstreit mit den Südkoreanern, wie man am Telefon wiederholt zu hören bekommt.
Simulation für die Mission
Wie Jakub mit seinen Vorgesetzten und der Basis in Kontakt tritt, ist die interessanteste Ebene dieses Films. „Spaceman“ zeigt dabei die Schwierigkeit menschlicher Kommunikation über mediale Grenzen hinweg. Im selben Moment hat die berufliche Autorität die Macht über Jakubs Gefühlswelt, denn nur sie ist in Besitz eines Videos, in dem Jakubs schwangere Frau Lenka (Carey Mulligan) ihre Trennungspläne offenbart. Was also tun? Das Video dem seit mehreren Monaten Abwesenden zukommen lassen und damit die Mission gefährden? Oder lässt man ihn im Unklaren, simuliert man munter weiter eine Scheinwelt, die nach den Regeln des Jobs zu spielen hat? Wie „Spaceman“ also das uralte Szenario der vorgegaukelten Trugbilder und Lichtspiele an der Wand der Höhle namens Raumschiff wiederholt, bietet allerlei Potential für einen spannenden Film.
In der Tat fällt das Gerüst dieser Romanverfilmung jedoch recht schnell zusammen, da es sich fortwährend dazu entschließt, in verkitscht brodelnden, oberflächlich ausformulierten Emotionen zu schwelgen. Den Dimensionen ihrer Handlung und Rahmung wird das nicht gerecht. So verkommt auch die Auseinandersetzung des Eingesperrten mit seiner Riesenspinne zur weinerlichen Gesprächstherapie, die in allerlei Herzschmerz und freundschaftlichen Gefühlen nach tief hängenden Affekten greift.
Der „Spaceman“ und seine Beziehungskrise
Im Kern – und der ist nach der ersten Filmhälfte völlig freigelegt – ist „Spaceman“ Sci-Fi-Kino, das sich gar keine Mühe gibt, in größeren Bahnen zu denken, Perspektiven zu erweitern, etwas zu erfinden, das vielleicht tatsächlich die menschliche Vorstellung sprengt und in der Fremde bohrt. Stattdessen serviert Netflix eine Space Soap Opera, die nur bis zur gegenüberliegenden Wand des heimischen Wohnzimmers denkt. Menschen zieht es hier in die Weiten des Alls, um private Eheprobleme zu lösen. Das Gleiten durch die Schwerelosigkeit als visualisiertes Auseinanderdriften eines Paares. Kontakte, die darum kämpfen, ihre immense Distanz im übertragenen und wörtlichen Sinne zu überwinden. Mehrfach erinnert „Spaceman“ an James Grays Drama „Ad Astra“ mit Brad Pitt. Dessen Netflix-Pendant ist jedoch mit bedeutend weniger Feingefühl, Intensität und Raffinesse in der Bildgestaltung konstruiert.
Wieder zum Partner finden, die eigenen Fehler und falschen Entscheidungen reuevoll eingestehen, optimistisch nach vorn blicken, das führt „Spaceman“ in tränenreichen Dialogen und Selbstbespiegelungen vor. Angeleitet von einem außerirdischen Seelenklempner, der seiner geheimnisvollen Rolle spätestens dann beraubt wird, wenn er nur noch banale Kalenderweisheiten über Menschlichkeit und Hoffnung aufzusagen hat. Dazu streicht die Musik von Max Richter mit aufgesetzter Schwere und Schwülstigkeit, um hinter jede eingefangene Regung noch einmal ein überdimensioniertes Ausrufezeichen zu setzen. Wenn dieser überraschungsarme Film irgendwann in das Zentrum des Außerweltlichen vordringt, findet er nur Profanes in aufgebauschten, psychedelisch glänzenden Bildern. Überspitzt bis ins märchenhafte Entrückte, wenn der Ritter nach allerlei Visionen und Träumen auf seine Prinzessin trifft. Bis es soweit kommt, bleibt wahrscheinlich nur ein hemmungsloses Weinen oder beschämtes Lachen.
„Spaceman: Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ feierte seine Premiere im Rahmen der 74. Berlinale als Special Gala und läuft ab dem 1. März bei Netflix.